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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

Tinot und bei Vidin erhalten habe. Außerdem habe Rußland den wirklichen
Staatsrat Rodofinikin als diplomatischen Agenten nach Serbien gesandt. Heuer
aber sei es den Russen unmöglich den Serben Lebensmittel zu liefern, ein
denen sie empfindlichen Mangel litten. Anfang des vorigen Jahres seien zwei
französische Offiziere nach Serbien gekommen, welche zwei Millionen Groschen
(türkische Piaster, heute etwa 400000 Mark, damals jedoch angeblich fünfmal mehr
wert) angeboten hätten, wenn Serbien sich unter französische Schutzherrschaft stellen
wolle. Kam Gjorgje habe jedoch geantwortet (und auch Rodofinikin gesagt,) daß die
Serben kein Geld benötigten, sondern Lebensmittel, weil sie alle Hungers sterben
müßten, wenn sie solche nicht über die Sava und Donau bekämen. Und auch Waffen
und Schießbedarf benötige man. Sowohl Rodofinikin als auch die Franzosen hätten
versprochen, daß sie sich bei ihren Höfen verwenden würden, auf daß diese
mit Österreich vereinbaren, daß die Ausfuhr nach Serbien gestattet werde, aber
bisher hätte er noch keine Folgen gesehen. In dieser mißlichen Lage hätten
der Senat und die Stareschine ("Ältesten) die Überzeugung erlangt, daß nament¬
lich in Anbetracht der zwischen Rußland und Frankreich entstandenen Spannung
als einzige Rettung die neuerliche Bitte an Osterreich um Schutz bleibe, denn
da der Kaiser den Grundstein zu ihrem Glück gelegt habe, möge er dieses
auch krönen. Kara Gjorgje hätte gehört, daß Simbschen serbisch verstehe und
seit Kindheit Freund des serbischen Volkes gewesen sei. deshalb habe er ihn
M dieser Besprechmig geladen, um ihn zu bitten, er möge den Wunsch des
Senats und des ganzen serbischen Volkes erfüllen, der dahin gehe, daß Serbien
nicht nur unter österreichischen Schutz gestellt, sondern als Kronland in die
Monarchie einverleibt werde. Denn die Hälfte des Serbenvolkes lebe ja ohne¬
hin schon heute innerhalb der Grenzen des österreichischen Kaiserstaates. Aber
Kam Gjorgje müsse daran folgende Bedingungen knüpfen: Serbien dürfte in
keiner Weise unter die Länder der ungarischen Krone aufgenommen werden,
sondern nach Art der Militärgrenze unter deutschen Gesetzen verwaltet werden,
unabhängig von ungarischen Zöllen, frei von jeder religiösen Beeinflussung,
unmittelbar unter dem Kaiser stehend, der die Serben durch ihre Ältesten
regieren würde. Der Kaiser möge nicht versuchen die Serben zum Friedens¬
schluß mit den Türken zu überreden, bevor sie nicht Risch und andere Teile
Serbiens erobert hätten. Und das könnten sie leicht tun, wenn sie nur
Kanonen bekämen nebst den zugehörigen Artilleristen und Schießbedarf. Die
Kanoniere könnten ja in serbischer Tracht die Geschütze bedienen, damit
niemand ahne, daß es kaiserliche seien. Die Serben benötigen aber auch
Lebensmittel, die den Armen auf Abzahlung zu liefern wären, wobei alle gegen-
seitig für einander bürgen würden. Den Schluß der Rede bildeten die Worte:

"Wirke uns dies alles von unserem rechtmäßigen Kaiser und Vater aus
und dann magst du mit uns Serben verfahren, wie du willst, für was du
willst und was du glaubst mit so guten Soldaten machen zu können, die be¬
reit wären, mit dir auch gegen Konstantinopel zu ziehen."


Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

Tinot und bei Vidin erhalten habe. Außerdem habe Rußland den wirklichen
Staatsrat Rodofinikin als diplomatischen Agenten nach Serbien gesandt. Heuer
aber sei es den Russen unmöglich den Serben Lebensmittel zu liefern, ein
denen sie empfindlichen Mangel litten. Anfang des vorigen Jahres seien zwei
französische Offiziere nach Serbien gekommen, welche zwei Millionen Groschen
(türkische Piaster, heute etwa 400000 Mark, damals jedoch angeblich fünfmal mehr
wert) angeboten hätten, wenn Serbien sich unter französische Schutzherrschaft stellen
wolle. Kam Gjorgje habe jedoch geantwortet (und auch Rodofinikin gesagt,) daß die
Serben kein Geld benötigten, sondern Lebensmittel, weil sie alle Hungers sterben
müßten, wenn sie solche nicht über die Sava und Donau bekämen. Und auch Waffen
und Schießbedarf benötige man. Sowohl Rodofinikin als auch die Franzosen hätten
versprochen, daß sie sich bei ihren Höfen verwenden würden, auf daß diese
mit Österreich vereinbaren, daß die Ausfuhr nach Serbien gestattet werde, aber
bisher hätte er noch keine Folgen gesehen. In dieser mißlichen Lage hätten
der Senat und die Stareschine („Ältesten) die Überzeugung erlangt, daß nament¬
lich in Anbetracht der zwischen Rußland und Frankreich entstandenen Spannung
als einzige Rettung die neuerliche Bitte an Osterreich um Schutz bleibe, denn
da der Kaiser den Grundstein zu ihrem Glück gelegt habe, möge er dieses
auch krönen. Kara Gjorgje hätte gehört, daß Simbschen serbisch verstehe und
seit Kindheit Freund des serbischen Volkes gewesen sei. deshalb habe er ihn
M dieser Besprechmig geladen, um ihn zu bitten, er möge den Wunsch des
Senats und des ganzen serbischen Volkes erfüllen, der dahin gehe, daß Serbien
nicht nur unter österreichischen Schutz gestellt, sondern als Kronland in die
Monarchie einverleibt werde. Denn die Hälfte des Serbenvolkes lebe ja ohne¬
hin schon heute innerhalb der Grenzen des österreichischen Kaiserstaates. Aber
Kam Gjorgje müsse daran folgende Bedingungen knüpfen: Serbien dürfte in
keiner Weise unter die Länder der ungarischen Krone aufgenommen werden,
sondern nach Art der Militärgrenze unter deutschen Gesetzen verwaltet werden,
unabhängig von ungarischen Zöllen, frei von jeder religiösen Beeinflussung,
unmittelbar unter dem Kaiser stehend, der die Serben durch ihre Ältesten
regieren würde. Der Kaiser möge nicht versuchen die Serben zum Friedens¬
schluß mit den Türken zu überreden, bevor sie nicht Risch und andere Teile
Serbiens erobert hätten. Und das könnten sie leicht tun, wenn sie nur
Kanonen bekämen nebst den zugehörigen Artilleristen und Schießbedarf. Die
Kanoniere könnten ja in serbischer Tracht die Geschütze bedienen, damit
niemand ahne, daß es kaiserliche seien. Die Serben benötigen aber auch
Lebensmittel, die den Armen auf Abzahlung zu liefern wären, wobei alle gegen-
seitig für einander bürgen würden. Den Schluß der Rede bildeten die Worte:

„Wirke uns dies alles von unserem rechtmäßigen Kaiser und Vater aus
und dann magst du mit uns Serben verfahren, wie du willst, für was du
willst und was du glaubst mit so guten Soldaten machen zu können, die be¬
reit wären, mit dir auch gegen Konstantinopel zu ziehen."


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[0367] Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert Tinot und bei Vidin erhalten habe. Außerdem habe Rußland den wirklichen Staatsrat Rodofinikin als diplomatischen Agenten nach Serbien gesandt. Heuer aber sei es den Russen unmöglich den Serben Lebensmittel zu liefern, ein denen sie empfindlichen Mangel litten. Anfang des vorigen Jahres seien zwei französische Offiziere nach Serbien gekommen, welche zwei Millionen Groschen (türkische Piaster, heute etwa 400000 Mark, damals jedoch angeblich fünfmal mehr wert) angeboten hätten, wenn Serbien sich unter französische Schutzherrschaft stellen wolle. Kam Gjorgje habe jedoch geantwortet (und auch Rodofinikin gesagt,) daß die Serben kein Geld benötigten, sondern Lebensmittel, weil sie alle Hungers sterben müßten, wenn sie solche nicht über die Sava und Donau bekämen. Und auch Waffen und Schießbedarf benötige man. Sowohl Rodofinikin als auch die Franzosen hätten versprochen, daß sie sich bei ihren Höfen verwenden würden, auf daß diese mit Österreich vereinbaren, daß die Ausfuhr nach Serbien gestattet werde, aber bisher hätte er noch keine Folgen gesehen. In dieser mißlichen Lage hätten der Senat und die Stareschine („Ältesten) die Überzeugung erlangt, daß nament¬ lich in Anbetracht der zwischen Rußland und Frankreich entstandenen Spannung als einzige Rettung die neuerliche Bitte an Osterreich um Schutz bleibe, denn da der Kaiser den Grundstein zu ihrem Glück gelegt habe, möge er dieses auch krönen. Kara Gjorgje hätte gehört, daß Simbschen serbisch verstehe und seit Kindheit Freund des serbischen Volkes gewesen sei. deshalb habe er ihn M dieser Besprechmig geladen, um ihn zu bitten, er möge den Wunsch des Senats und des ganzen serbischen Volkes erfüllen, der dahin gehe, daß Serbien nicht nur unter österreichischen Schutz gestellt, sondern als Kronland in die Monarchie einverleibt werde. Denn die Hälfte des Serbenvolkes lebe ja ohne¬ hin schon heute innerhalb der Grenzen des österreichischen Kaiserstaates. Aber Kam Gjorgje müsse daran folgende Bedingungen knüpfen: Serbien dürfte in keiner Weise unter die Länder der ungarischen Krone aufgenommen werden, sondern nach Art der Militärgrenze unter deutschen Gesetzen verwaltet werden, unabhängig von ungarischen Zöllen, frei von jeder religiösen Beeinflussung, unmittelbar unter dem Kaiser stehend, der die Serben durch ihre Ältesten regieren würde. Der Kaiser möge nicht versuchen die Serben zum Friedens¬ schluß mit den Türken zu überreden, bevor sie nicht Risch und andere Teile Serbiens erobert hätten. Und das könnten sie leicht tun, wenn sie nur Kanonen bekämen nebst den zugehörigen Artilleristen und Schießbedarf. Die Kanoniere könnten ja in serbischer Tracht die Geschütze bedienen, damit niemand ahne, daß es kaiserliche seien. Die Serben benötigen aber auch Lebensmittel, die den Armen auf Abzahlung zu liefern wären, wobei alle gegen- seitig für einander bürgen würden. Den Schluß der Rede bildeten die Worte: „Wirke uns dies alles von unserem rechtmäßigen Kaiser und Vater aus und dann magst du mit uns Serben verfahren, wie du willst, für was du willst und was du glaubst mit so guten Soldaten machen zu können, die be¬ reit wären, mit dir auch gegen Konstantinopel zu ziehen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/367>, abgerufen am 23.07.2024.