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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

gänzlich verloren seien. Der Sekretär bemühte sich, ihnen Mut zuzusprechen
und ihnen vorzustellen, daß Leute, welche sich nunmehr bereits drei Jahre
siegreich der Türken erwehrt hätten, sicherlich noch weiterhin mehrere Monate
aushalten könnten, bis Österreich sür sie bei der Pforte entsprechende Be¬
dingungen erwirkt habe. Bevor sie den Kampf erneuern, mögen sie aber den
Sultan um Verzeihung bitten und für ihre Zukunft solche Anordnungen ver¬
langen, wie sie zu ihrer Sicherheit nötig wären und wie solche ein mohame-
danischer Herrscher christlichen Untertanen zu geben vermöge.

Es hatte den Anschein, als ob sich die Sendlinge darob getröstet fühlten,
denn sie entfernten sich mit der Äußerung, daß sie sich ganz auf die Ver¬
wendung des kaiserlichen Hofes beim Sultan verlassen wollten.

Am 7. Mai 1806 lud Erzherzog Karl sowohl Kara Gjorgje als die
türkischen Befehlshaber ein, vorläufig die Feindseligkeiten einzustellen. Der
Kaiser schrieb an den Sultan. Baron Schirmer erhielt den Auftrag, mit der
Pforte zu beraten, unter welchen Bedingungen der Frieden hergestellt werden
könnte und dazu Österreichs freundschaftliche Vermittlung anzutragen. Den
Befehlshabern an der Grenze wurde aufgetragen, daß sie auch größere Haufen
von Serben über die Grenze lassen sollen, sofern sie waffenlos kommen oder
die Waffen vorher niederlegen.

Die Pforte lehnte hochmütig ab, behauptend, sie hätte ohnehin gegen
Aufrührer nur zu viel Nachsicht gehabt und dergleichen.

Alle diese Ereignisse waren Wasser auf die Mühle jenes Teils der
serbischen Führer, welche schon von Beginn des Aufstands an sich von Öster¬
reich nichts versprachen und ihr ganzes Vertrauen auf das religionsgemeinsame
Nußland setzten. Sie stellten jetzt vor, daß es so gekommen sei. wie sie stets
vorhergesagt hätten. Man müsse sich nunmehr an Rußland wenden, als die
einzige übrig bleibende Hoffnung.

In Rußland war man weniger gewissenhaft als in Wien. Nicht nur.
daß man besser als in Wien erkannte, welch wichtiger Faktor in der Politik
Serbien werden könnte, trug man auch durchaus kein Bedenken, gegen das
verbündete Österreich illoyal zu handeln und die Vertrauensseligkeit des Kaisers
Franz und seiner Regierung nicht mit Gleichem zu vergelten. Man lachte
vermutlich nur geringschätzig und schadenfroh über die naiven Mitteilungen der
Eolloredo. Kobenzl und Stadion, freute sich, diesbezüglich beständig auf dem
Laufenden erhalten zu werden, schmiedete aber dabei unaufhörlich Ränke gegen
Österreich und die Pforte. Aus den mir vorliegenden geheimen Urkunden des
Petersburger Archivs geht hervor, mit welch zynischer Offenheit da angeordnet
wurde, daß und wie man die Serben auszubeuten und gegen Österreich (und
später gegen Frankreich) auszunutzen hätte, um sie dann schmählich ihrem
Schicksal und der türkischen Rache zu überlassen. Diese Urkunden, deren Ver-
öffentlichung ich in Buchform plane, würden aber fünfmal mehr Raum
beanspruchen als die vorliegenden über Österreich, so daß von einem Abdruck


Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

gänzlich verloren seien. Der Sekretär bemühte sich, ihnen Mut zuzusprechen
und ihnen vorzustellen, daß Leute, welche sich nunmehr bereits drei Jahre
siegreich der Türken erwehrt hätten, sicherlich noch weiterhin mehrere Monate
aushalten könnten, bis Österreich sür sie bei der Pforte entsprechende Be¬
dingungen erwirkt habe. Bevor sie den Kampf erneuern, mögen sie aber den
Sultan um Verzeihung bitten und für ihre Zukunft solche Anordnungen ver¬
langen, wie sie zu ihrer Sicherheit nötig wären und wie solche ein mohame-
danischer Herrscher christlichen Untertanen zu geben vermöge.

Es hatte den Anschein, als ob sich die Sendlinge darob getröstet fühlten,
denn sie entfernten sich mit der Äußerung, daß sie sich ganz auf die Ver¬
wendung des kaiserlichen Hofes beim Sultan verlassen wollten.

Am 7. Mai 1806 lud Erzherzog Karl sowohl Kara Gjorgje als die
türkischen Befehlshaber ein, vorläufig die Feindseligkeiten einzustellen. Der
Kaiser schrieb an den Sultan. Baron Schirmer erhielt den Auftrag, mit der
Pforte zu beraten, unter welchen Bedingungen der Frieden hergestellt werden
könnte und dazu Österreichs freundschaftliche Vermittlung anzutragen. Den
Befehlshabern an der Grenze wurde aufgetragen, daß sie auch größere Haufen
von Serben über die Grenze lassen sollen, sofern sie waffenlos kommen oder
die Waffen vorher niederlegen.

Die Pforte lehnte hochmütig ab, behauptend, sie hätte ohnehin gegen
Aufrührer nur zu viel Nachsicht gehabt und dergleichen.

Alle diese Ereignisse waren Wasser auf die Mühle jenes Teils der
serbischen Führer, welche schon von Beginn des Aufstands an sich von Öster¬
reich nichts versprachen und ihr ganzes Vertrauen auf das religionsgemeinsame
Nußland setzten. Sie stellten jetzt vor, daß es so gekommen sei. wie sie stets
vorhergesagt hätten. Man müsse sich nunmehr an Rußland wenden, als die
einzige übrig bleibende Hoffnung.

In Rußland war man weniger gewissenhaft als in Wien. Nicht nur.
daß man besser als in Wien erkannte, welch wichtiger Faktor in der Politik
Serbien werden könnte, trug man auch durchaus kein Bedenken, gegen das
verbündete Österreich illoyal zu handeln und die Vertrauensseligkeit des Kaisers
Franz und seiner Regierung nicht mit Gleichem zu vergelten. Man lachte
vermutlich nur geringschätzig und schadenfroh über die naiven Mitteilungen der
Eolloredo. Kobenzl und Stadion, freute sich, diesbezüglich beständig auf dem
Laufenden erhalten zu werden, schmiedete aber dabei unaufhörlich Ränke gegen
Österreich und die Pforte. Aus den mir vorliegenden geheimen Urkunden des
Petersburger Archivs geht hervor, mit welch zynischer Offenheit da angeordnet
wurde, daß und wie man die Serben auszubeuten und gegen Österreich (und
später gegen Frankreich) auszunutzen hätte, um sie dann schmählich ihrem
Schicksal und der türkischen Rache zu überlassen. Diese Urkunden, deren Ver-
öffentlichung ich in Buchform plane, würden aber fünfmal mehr Raum
beanspruchen als die vorliegenden über Österreich, so daß von einem Abdruck


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/365>, abgerufen am 22.07.2024.