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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Serbien und "Oesterreich vor einem Jahrhundert

Infolge dieser kaiserlichen Anordnung wurden die serbischen Sendboten
für den 28. Februar, 7 Uhr, in die Staatskanzlei bestellt, wo sie nach dem
Sekretär Wallenburg zu fragen hatten. AIs sie kamen, stellten sie die Bitte,
es möge den Serben gestattet werden, nicht nur einzeln, sondern auch truppen¬
weise, wenn sie waffenlos kämen oder vorher die Waffen ablegten, über die
Grenze nach Österreich zu kommen. Weil sie gesagt hatten, daß ihre Sendung
auch an den Kaiser Alexander gerichtet sei, wurden sie gefragt, was sie nun
tun wollten, da doch der Zar nicht in Wien sei? Sie antworteten, daß dies
ein Grund mehr sei, daß sie sich an den Kaiser Franz wenden, weil Rußland
so weit sei, sie aber rasche Hilfe 'benötigten. Deshalb möge man den Brief
an den Zaren diesem "gelegentlich" senden. Dann schilderten sie ihre gegen¬
wärtige Lage als sehr bedenklich. Sie hätten allerdings 40 000 Mann unter
Waffen und könnten diese Zahl auch auf 100 000 steigern, sofern sie nur
Waffen und Schießbedarf für diese hätten. So aber hätten sie davon so
wenig, daß es ihnen schwer sei noch ferner den Türken zu widerstehen, deren
Truppen von allen Seiten herannahen. Sie würden deshalb sicher untergehen,
wenn sich der Kaiser nicht ihrer erbarme und einem leidenden und so ergebenen
Nachbarvolke kräftige Hilfe sende. Was sie brauchten, wären geschickte An¬
führer, hauptsächlich reguläre Truppen, Schießbedarf und Waffen. Deshalb
seien sie nach Wien gekommen und im Besitz besonderer Vollmachten.

Man antwortete ihnen Folgendes: Der Kaiser hat immer Mitgefühl mit
ihren Leiden gehabt und den guten Willen ihnen zu helfen, und darum hat
er sich beim Sultan für sie verwendet. Aber Osterreich ist jetzt im Frieden
mit der Türkei und deshalb sei nicht im Schlaf daran zu denken, daß ihnen
Österreich Truppen und Schießbedarf sende. Sie sollten derlei Gedanken also
aufgeben und sich nicht in falschen Hoffnungen wiegen und selbst täuschen,
sondern solche Bedingungen stellen, wie sie von der Pforte eingegangen werden
könnten. Dann würde sie der Kaiser beim Sultan unterstützen.

Die Sendlinge antworteten, daß sie für diese schönen Worte sehr erkenntlich
seien, aber daß sie ihnen nicht genügen. Ihr einziger Wunsch sei, österreichische
Truppen zur Unterstützung zu bekommen, denn sonst müßten sie unterliegen
und jede weitere Hilfe würde zu spät kommen. Immer wieder kehrten sie
auf diese Forderungen zurück, so oft auch ihnen auseinandergesetzt wurde, daß
diesem Verlangen unmöglich entsprochen werden könnte, und selbst wenn es
geschähe, daß es ihrer Sache eher schaden als nützen würde. Denn wenn
Österreich ihnen Truppen und Schießbedarf senden wollte, so würde dies
offene Feindseligkeit gegen die Pforte bedeuten und der Kaiser würde damit
seinen Eid verletzen, was er unter keinen Umständen tun werde. Die natür¬
liche Folge wäre ein Krieg zwischen Österreich und der Türkei und dann
würden sich die beiderseitigen Verbündeten einmengen.

Diese Vorstellungen schienen einigen Eindruck auf die Sendlinge zu machen.
Sie hörten gedankenvoll zu und dann sprachen sie untereinander, daß sie nun


Serbien und «Oesterreich vor einem Jahrhundert

Infolge dieser kaiserlichen Anordnung wurden die serbischen Sendboten
für den 28. Februar, 7 Uhr, in die Staatskanzlei bestellt, wo sie nach dem
Sekretär Wallenburg zu fragen hatten. AIs sie kamen, stellten sie die Bitte,
es möge den Serben gestattet werden, nicht nur einzeln, sondern auch truppen¬
weise, wenn sie waffenlos kämen oder vorher die Waffen ablegten, über die
Grenze nach Österreich zu kommen. Weil sie gesagt hatten, daß ihre Sendung
auch an den Kaiser Alexander gerichtet sei, wurden sie gefragt, was sie nun
tun wollten, da doch der Zar nicht in Wien sei? Sie antworteten, daß dies
ein Grund mehr sei, daß sie sich an den Kaiser Franz wenden, weil Rußland
so weit sei, sie aber rasche Hilfe 'benötigten. Deshalb möge man den Brief
an den Zaren diesem „gelegentlich" senden. Dann schilderten sie ihre gegen¬
wärtige Lage als sehr bedenklich. Sie hätten allerdings 40 000 Mann unter
Waffen und könnten diese Zahl auch auf 100 000 steigern, sofern sie nur
Waffen und Schießbedarf für diese hätten. So aber hätten sie davon so
wenig, daß es ihnen schwer sei noch ferner den Türken zu widerstehen, deren
Truppen von allen Seiten herannahen. Sie würden deshalb sicher untergehen,
wenn sich der Kaiser nicht ihrer erbarme und einem leidenden und so ergebenen
Nachbarvolke kräftige Hilfe sende. Was sie brauchten, wären geschickte An¬
führer, hauptsächlich reguläre Truppen, Schießbedarf und Waffen. Deshalb
seien sie nach Wien gekommen und im Besitz besonderer Vollmachten.

Man antwortete ihnen Folgendes: Der Kaiser hat immer Mitgefühl mit
ihren Leiden gehabt und den guten Willen ihnen zu helfen, und darum hat
er sich beim Sultan für sie verwendet. Aber Osterreich ist jetzt im Frieden
mit der Türkei und deshalb sei nicht im Schlaf daran zu denken, daß ihnen
Österreich Truppen und Schießbedarf sende. Sie sollten derlei Gedanken also
aufgeben und sich nicht in falschen Hoffnungen wiegen und selbst täuschen,
sondern solche Bedingungen stellen, wie sie von der Pforte eingegangen werden
könnten. Dann würde sie der Kaiser beim Sultan unterstützen.

Die Sendlinge antworteten, daß sie für diese schönen Worte sehr erkenntlich
seien, aber daß sie ihnen nicht genügen. Ihr einziger Wunsch sei, österreichische
Truppen zur Unterstützung zu bekommen, denn sonst müßten sie unterliegen
und jede weitere Hilfe würde zu spät kommen. Immer wieder kehrten sie
auf diese Forderungen zurück, so oft auch ihnen auseinandergesetzt wurde, daß
diesem Verlangen unmöglich entsprochen werden könnte, und selbst wenn es
geschähe, daß es ihrer Sache eher schaden als nützen würde. Denn wenn
Österreich ihnen Truppen und Schießbedarf senden wollte, so würde dies
offene Feindseligkeit gegen die Pforte bedeuten und der Kaiser würde damit
seinen Eid verletzen, was er unter keinen Umständen tun werde. Die natür¬
liche Folge wäre ein Krieg zwischen Österreich und der Türkei und dann
würden sich die beiderseitigen Verbündeten einmengen.

Diese Vorstellungen schienen einigen Eindruck auf die Sendlinge zu machen.
Sie hörten gedankenvoll zu und dann sprachen sie untereinander, daß sie nun


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[0364] Serbien und «Oesterreich vor einem Jahrhundert Infolge dieser kaiserlichen Anordnung wurden die serbischen Sendboten für den 28. Februar, 7 Uhr, in die Staatskanzlei bestellt, wo sie nach dem Sekretär Wallenburg zu fragen hatten. AIs sie kamen, stellten sie die Bitte, es möge den Serben gestattet werden, nicht nur einzeln, sondern auch truppen¬ weise, wenn sie waffenlos kämen oder vorher die Waffen ablegten, über die Grenze nach Österreich zu kommen. Weil sie gesagt hatten, daß ihre Sendung auch an den Kaiser Alexander gerichtet sei, wurden sie gefragt, was sie nun tun wollten, da doch der Zar nicht in Wien sei? Sie antworteten, daß dies ein Grund mehr sei, daß sie sich an den Kaiser Franz wenden, weil Rußland so weit sei, sie aber rasche Hilfe 'benötigten. Deshalb möge man den Brief an den Zaren diesem „gelegentlich" senden. Dann schilderten sie ihre gegen¬ wärtige Lage als sehr bedenklich. Sie hätten allerdings 40 000 Mann unter Waffen und könnten diese Zahl auch auf 100 000 steigern, sofern sie nur Waffen und Schießbedarf für diese hätten. So aber hätten sie davon so wenig, daß es ihnen schwer sei noch ferner den Türken zu widerstehen, deren Truppen von allen Seiten herannahen. Sie würden deshalb sicher untergehen, wenn sich der Kaiser nicht ihrer erbarme und einem leidenden und so ergebenen Nachbarvolke kräftige Hilfe sende. Was sie brauchten, wären geschickte An¬ führer, hauptsächlich reguläre Truppen, Schießbedarf und Waffen. Deshalb seien sie nach Wien gekommen und im Besitz besonderer Vollmachten. Man antwortete ihnen Folgendes: Der Kaiser hat immer Mitgefühl mit ihren Leiden gehabt und den guten Willen ihnen zu helfen, und darum hat er sich beim Sultan für sie verwendet. Aber Osterreich ist jetzt im Frieden mit der Türkei und deshalb sei nicht im Schlaf daran zu denken, daß ihnen Österreich Truppen und Schießbedarf sende. Sie sollten derlei Gedanken also aufgeben und sich nicht in falschen Hoffnungen wiegen und selbst täuschen, sondern solche Bedingungen stellen, wie sie von der Pforte eingegangen werden könnten. Dann würde sie der Kaiser beim Sultan unterstützen. Die Sendlinge antworteten, daß sie für diese schönen Worte sehr erkenntlich seien, aber daß sie ihnen nicht genügen. Ihr einziger Wunsch sei, österreichische Truppen zur Unterstützung zu bekommen, denn sonst müßten sie unterliegen und jede weitere Hilfe würde zu spät kommen. Immer wieder kehrten sie auf diese Forderungen zurück, so oft auch ihnen auseinandergesetzt wurde, daß diesem Verlangen unmöglich entsprochen werden könnte, und selbst wenn es geschähe, daß es ihrer Sache eher schaden als nützen würde. Denn wenn Österreich ihnen Truppen und Schießbedarf senden wollte, so würde dies offene Feindseligkeit gegen die Pforte bedeuten und der Kaiser würde damit seinen Eid verletzen, was er unter keinen Umständen tun werde. Die natür¬ liche Folge wäre ein Krieg zwischen Österreich und der Türkei und dann würden sich die beiderseitigen Verbündeten einmengen. Diese Vorstellungen schienen einigen Eindruck auf die Sendlinge zu machen. Sie hörten gedankenvoll zu und dann sprachen sie untereinander, daß sie nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/364>, abgerufen am 22.07.2024.