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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen

Feuerwehr.

Einer Institution, die im Baltikum, insbesondere in du: kleinen Städten,
eine größere Rolle spielt, als in Deutschland sei hier noch gedacht: der in jeder
Stadt existierenden freiwilligen Feuerwehr. In ihr arbeiten alle Nationalitäten
zusammen. An der Spitze stehen meist Deutsche, auch in Städten, deren Ver¬
waltung sonst wie zum Beispiel in Wvlmar dem Deutschtum verloren gegangen
ist. Die Geschäfts- und Kommandosprache war offiziell (bis zum Kriegsbeginn)
und meist auch tatsächlich die deutsche. Die "Feuerwehrnachrichten", das Organ
des Baltischen Bezirkes des Kaiserlich russischen Feuerwehrverbandes, erschienen
bis zum 10. September dieses Jahres, wo sie mit den letzten noch übrig ge¬
bliebenen deutschen Zeitungen verboten wurden, in deutscher Sprache (12 Nummern
jährlich). Eine sehr alte Eigentümlichkeit der baltischen Feuerwehr, die im
Zeitalter der Jugendwehren von Interesse sein dürfte, sind die Schülerfeuerwehren
und Schülerkolonnen. Es ist unter den deutschen Schülern der höheren Lehr¬
anstalten Brauch, daß sie vom 17. Lebensjahre ab in der Feuerwehr dienen.
Sie werden entweder in die "fliegenden Kolonnen" eingereiht oder bedienen als
selbständige Kolonnen eine Spritze. Während der Saison hat die Sommer¬
villenkolonie des rigischen Strandes (etwa 25 Kilometer lang, 70--30000 Ein¬
wohner) ihre eigene Knabenfeuerwehr, die bei den sehr häufigen Wald- und
Häuserbränden die freiwillige Erwachsenenfeuerwehr vollständig aus dem Felde
geschlagen hat und im ganzen Baltikum bekannt ist.


Zusammenfassung.

Mindestens die Hälfte alles Besitzes auf dem Lande und in den Städten
und weit über die Hälfte des mobilen Kapitals und des Handels sind im
Baltikum in deutscheu Händen. Die herrschenden Stände bestehen aus Deutschen,
die sich in zahlreichen Vereinen und Korporationen zusammengeschlossen haben.
Ihnen stehen die Altdeutschen als Chaos gegenüber. Das wissenschaftliche und
Kunstleben, alles höhere geistige Leben wird fast nur von Deutschen gepflegt.
Es ist ihnen gelungen, den Zusammenhang mit dem Mutterland zu wahren
und dabei eine besondere Art Deutschtum herauszubilden. Nimmt man hinzu,
daß der Leite und Este ein bis auf die Sprache bereits völlig germanisierter
Bauer ist, der zum großen Teil deutsch versteht und vor allem sich seiner höheren
Art dem Nüssen gegenüber bewußt ist, so dürste man dem Urteil der Kenner,
das Baltikum könne in zwei Generationen germanisiert werden, Recht geben.

Es ist von den Ballen gesagt worden, sie seien "Herrennaturen". Soll
darunter "Junkerhaftigkeit" verstanden werden, so ist das eine Torheit, die die
Befreiung der Bauern und deren jetzige wirtschaftliche Lage, die von der Regierung
zurückgewiesenen Pläne der Heranziehung der Bauern zum obersten Selbst¬
verwaltungsorgan widerlegen. Soll darunter aber verstanden werden, daß
mindestens unter den Führern der Ballen, denen man die Gefolgschaft nicht
versagt hat, das Bewußtsein lebendig gewesen ist, daß die Weltgeschichte den


Stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen

Feuerwehr.

Einer Institution, die im Baltikum, insbesondere in du: kleinen Städten,
eine größere Rolle spielt, als in Deutschland sei hier noch gedacht: der in jeder
Stadt existierenden freiwilligen Feuerwehr. In ihr arbeiten alle Nationalitäten
zusammen. An der Spitze stehen meist Deutsche, auch in Städten, deren Ver¬
waltung sonst wie zum Beispiel in Wvlmar dem Deutschtum verloren gegangen
ist. Die Geschäfts- und Kommandosprache war offiziell (bis zum Kriegsbeginn)
und meist auch tatsächlich die deutsche. Die „Feuerwehrnachrichten", das Organ
des Baltischen Bezirkes des Kaiserlich russischen Feuerwehrverbandes, erschienen
bis zum 10. September dieses Jahres, wo sie mit den letzten noch übrig ge¬
bliebenen deutschen Zeitungen verboten wurden, in deutscher Sprache (12 Nummern
jährlich). Eine sehr alte Eigentümlichkeit der baltischen Feuerwehr, die im
Zeitalter der Jugendwehren von Interesse sein dürfte, sind die Schülerfeuerwehren
und Schülerkolonnen. Es ist unter den deutschen Schülern der höheren Lehr¬
anstalten Brauch, daß sie vom 17. Lebensjahre ab in der Feuerwehr dienen.
Sie werden entweder in die „fliegenden Kolonnen" eingereiht oder bedienen als
selbständige Kolonnen eine Spritze. Während der Saison hat die Sommer¬
villenkolonie des rigischen Strandes (etwa 25 Kilometer lang, 70—30000 Ein¬
wohner) ihre eigene Knabenfeuerwehr, die bei den sehr häufigen Wald- und
Häuserbränden die freiwillige Erwachsenenfeuerwehr vollständig aus dem Felde
geschlagen hat und im ganzen Baltikum bekannt ist.


Zusammenfassung.

Mindestens die Hälfte alles Besitzes auf dem Lande und in den Städten
und weit über die Hälfte des mobilen Kapitals und des Handels sind im
Baltikum in deutscheu Händen. Die herrschenden Stände bestehen aus Deutschen,
die sich in zahlreichen Vereinen und Korporationen zusammengeschlossen haben.
Ihnen stehen die Altdeutschen als Chaos gegenüber. Das wissenschaftliche und
Kunstleben, alles höhere geistige Leben wird fast nur von Deutschen gepflegt.
Es ist ihnen gelungen, den Zusammenhang mit dem Mutterland zu wahren
und dabei eine besondere Art Deutschtum herauszubilden. Nimmt man hinzu,
daß der Leite und Este ein bis auf die Sprache bereits völlig germanisierter
Bauer ist, der zum großen Teil deutsch versteht und vor allem sich seiner höheren
Art dem Nüssen gegenüber bewußt ist, so dürste man dem Urteil der Kenner,
das Baltikum könne in zwei Generationen germanisiert werden, Recht geben.

Es ist von den Ballen gesagt worden, sie seien „Herrennaturen". Soll
darunter „Junkerhaftigkeit" verstanden werden, so ist das eine Torheit, die die
Befreiung der Bauern und deren jetzige wirtschaftliche Lage, die von der Regierung
zurückgewiesenen Pläne der Heranziehung der Bauern zum obersten Selbst¬
verwaltungsorgan widerlegen. Soll darunter aber verstanden werden, daß
mindestens unter den Führern der Ballen, denen man die Gefolgschaft nicht
versagt hat, das Bewußtsein lebendig gewesen ist, daß die Weltgeschichte den


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[0356] Stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen Feuerwehr. Einer Institution, die im Baltikum, insbesondere in du: kleinen Städten, eine größere Rolle spielt, als in Deutschland sei hier noch gedacht: der in jeder Stadt existierenden freiwilligen Feuerwehr. In ihr arbeiten alle Nationalitäten zusammen. An der Spitze stehen meist Deutsche, auch in Städten, deren Ver¬ waltung sonst wie zum Beispiel in Wvlmar dem Deutschtum verloren gegangen ist. Die Geschäfts- und Kommandosprache war offiziell (bis zum Kriegsbeginn) und meist auch tatsächlich die deutsche. Die „Feuerwehrnachrichten", das Organ des Baltischen Bezirkes des Kaiserlich russischen Feuerwehrverbandes, erschienen bis zum 10. September dieses Jahres, wo sie mit den letzten noch übrig ge¬ bliebenen deutschen Zeitungen verboten wurden, in deutscher Sprache (12 Nummern jährlich). Eine sehr alte Eigentümlichkeit der baltischen Feuerwehr, die im Zeitalter der Jugendwehren von Interesse sein dürfte, sind die Schülerfeuerwehren und Schülerkolonnen. Es ist unter den deutschen Schülern der höheren Lehr¬ anstalten Brauch, daß sie vom 17. Lebensjahre ab in der Feuerwehr dienen. Sie werden entweder in die „fliegenden Kolonnen" eingereiht oder bedienen als selbständige Kolonnen eine Spritze. Während der Saison hat die Sommer¬ villenkolonie des rigischen Strandes (etwa 25 Kilometer lang, 70—30000 Ein¬ wohner) ihre eigene Knabenfeuerwehr, die bei den sehr häufigen Wald- und Häuserbränden die freiwillige Erwachsenenfeuerwehr vollständig aus dem Felde geschlagen hat und im ganzen Baltikum bekannt ist. Zusammenfassung. Mindestens die Hälfte alles Besitzes auf dem Lande und in den Städten und weit über die Hälfte des mobilen Kapitals und des Handels sind im Baltikum in deutscheu Händen. Die herrschenden Stände bestehen aus Deutschen, die sich in zahlreichen Vereinen und Korporationen zusammengeschlossen haben. Ihnen stehen die Altdeutschen als Chaos gegenüber. Das wissenschaftliche und Kunstleben, alles höhere geistige Leben wird fast nur von Deutschen gepflegt. Es ist ihnen gelungen, den Zusammenhang mit dem Mutterland zu wahren und dabei eine besondere Art Deutschtum herauszubilden. Nimmt man hinzu, daß der Leite und Este ein bis auf die Sprache bereits völlig germanisierter Bauer ist, der zum großen Teil deutsch versteht und vor allem sich seiner höheren Art dem Nüssen gegenüber bewußt ist, so dürste man dem Urteil der Kenner, das Baltikum könne in zwei Generationen germanisiert werden, Recht geben. Es ist von den Ballen gesagt worden, sie seien „Herrennaturen". Soll darunter „Junkerhaftigkeit" verstanden werden, so ist das eine Torheit, die die Befreiung der Bauern und deren jetzige wirtschaftliche Lage, die von der Regierung zurückgewiesenen Pläne der Heranziehung der Bauern zum obersten Selbst¬ verwaltungsorgan widerlegen. Soll darunter aber verstanden werden, daß mindestens unter den Führern der Ballen, denen man die Gefolgschaft nicht versagt hat, das Bewußtsein lebendig gewesen ist, daß die Weltgeschichte den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/356>, abgerufen am 27.12.2024.