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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Mit der Kirche beherrscht das Deutschtum die zahlreichen von der Kirche
ins Leben gerufenen Wohlfahrts- und Wohltätigkeitsinstitutionen. Wie die
drei in den letzten zwei Jahrzehnten neugebauten lettischen Kirchen in Riga,
Mitau und Goldingen fast ausschließlich deutscher Opferwilligkeit ihr Entstehen
verdanken, werden die Diakonissenhäuser, Krankenhäuser, Taubstummen- und
Blindenanstalten beinahe vollständig von deutschem Gelde unterhalten, obgleich
sie zum allergrößten Teil der undeutschen Bevölkerung zugute kommen. Als
Beispiel seien hier nur die Diakonissen-, die Taubstummen- und die Blöden-
anstalt in Mitau erwähnt, eine Schöpfung von Pastor L. Katterfeld, die einen
ganzen Stadtteil einnimmt. Ebenso ist die ganze Armenpflege, die auch
wiederum hauptsächlich zum Besten der Altdeutschen wirkt, in deutschen Händen.

Nicht anders steht es mit den von der Kirche unabhängigen Wohlfahrts¬
institutionen. Die Städte können hier, da die Negierung bei der Schaffung
neuer Einnahmequellen nach Möglichkeit Schwierigkeiten schafft und das Budget
beschneidet, nur wenig leisten. In großem Stile hat ans dem Gebiete der
Wohlfahrt nur die Stadt Riga gearbeitet, wo Deutsche an der Spitze stehen.
Einiges leisten, namentlich in der Form der Unterstützungen, die Ritterschaften.
Z. B. unterhält die Kurländische Ritter- und Landschaft die Irrenanstalt Güntershof
in Mitau. Die Hauptarbeit ist auf private Opferwilligkeit angewiesen, da der
Staat natürlich nichts tut. Der aus Deutschen (und Juden) bestehende Lepra¬
verein in Kurland unterhält z. B. drei Leprosorien. Ich weiß nicht,
ob es in Deutschland eine Provinz gibt, wo es soviel Stiftungen mit so an-
sehnlichen Kapitalien gibt, wie im Baltikum. Die Zahl dieser Stiftungen, von
denen Waisenhäuser, Heime. Asyle, Kleinkmderhorte. Witwen- und Altfräuleinstifte.
Armen- und Siechenhäuser erhalten werden oder die diesen zugute kommen, ist
Legion. Die Stadt Pernau in Livland mit zirka 20000 Einwohnern besitzt
nach dem Adreßbuch 13 solcher Stiftungen. In Riga sind es oft recht große
Kapitalien, z. B. beträgt das "Fischersche Legat" 127875 Rubel, das "Kapital
John und Karoline Armstead"*) 142000 Rubel. Aus dem Kapital der James
Armsteadschen Stiftung ist 1899 ein Kinderhospital errichtet worden, in dem
1913 in 79240 Pflegetagen 3382 Kinder verpflegt und dessen Ambulanz von
3536 Personen in Anspruch genommen wurde. Die Unterhaltungskosten betrugen
1913 über 182000 Rubel. Das Kinderhospital besitzt selbst wieder ein Kapital
von 25509 Rubeln, gestiftet von Dr. I. C. Schwartz, dessen Zinsen für Freibetten
verwendet werden. Ein geringer Teil der in Riga bestehenden Stiftungen wird
von einem Verein "der literarisch-praktischen Bürgerverbindung" verwaltet;
1913 hatten diese Kapitalien die Summe von 583918 Rubeln erreicht. Sieht
man von einigen von russischen Kaufleuten gestifteten Kapitalien ab. so sind der
bei weitem überwiegende Teil deutsche Kapitalien. Von Letten und Ehlen ist
hierin so gut wie nichts geleistet worden.



'') Die Armsteadts sind eine deutsche ins England stammende Familie,

Mit der Kirche beherrscht das Deutschtum die zahlreichen von der Kirche
ins Leben gerufenen Wohlfahrts- und Wohltätigkeitsinstitutionen. Wie die
drei in den letzten zwei Jahrzehnten neugebauten lettischen Kirchen in Riga,
Mitau und Goldingen fast ausschließlich deutscher Opferwilligkeit ihr Entstehen
verdanken, werden die Diakonissenhäuser, Krankenhäuser, Taubstummen- und
Blindenanstalten beinahe vollständig von deutschem Gelde unterhalten, obgleich
sie zum allergrößten Teil der undeutschen Bevölkerung zugute kommen. Als
Beispiel seien hier nur die Diakonissen-, die Taubstummen- und die Blöden-
anstalt in Mitau erwähnt, eine Schöpfung von Pastor L. Katterfeld, die einen
ganzen Stadtteil einnimmt. Ebenso ist die ganze Armenpflege, die auch
wiederum hauptsächlich zum Besten der Altdeutschen wirkt, in deutschen Händen.

Nicht anders steht es mit den von der Kirche unabhängigen Wohlfahrts¬
institutionen. Die Städte können hier, da die Negierung bei der Schaffung
neuer Einnahmequellen nach Möglichkeit Schwierigkeiten schafft und das Budget
beschneidet, nur wenig leisten. In großem Stile hat ans dem Gebiete der
Wohlfahrt nur die Stadt Riga gearbeitet, wo Deutsche an der Spitze stehen.
Einiges leisten, namentlich in der Form der Unterstützungen, die Ritterschaften.
Z. B. unterhält die Kurländische Ritter- und Landschaft die Irrenanstalt Güntershof
in Mitau. Die Hauptarbeit ist auf private Opferwilligkeit angewiesen, da der
Staat natürlich nichts tut. Der aus Deutschen (und Juden) bestehende Lepra¬
verein in Kurland unterhält z. B. drei Leprosorien. Ich weiß nicht,
ob es in Deutschland eine Provinz gibt, wo es soviel Stiftungen mit so an-
sehnlichen Kapitalien gibt, wie im Baltikum. Die Zahl dieser Stiftungen, von
denen Waisenhäuser, Heime. Asyle, Kleinkmderhorte. Witwen- und Altfräuleinstifte.
Armen- und Siechenhäuser erhalten werden oder die diesen zugute kommen, ist
Legion. Die Stadt Pernau in Livland mit zirka 20000 Einwohnern besitzt
nach dem Adreßbuch 13 solcher Stiftungen. In Riga sind es oft recht große
Kapitalien, z. B. beträgt das „Fischersche Legat" 127875 Rubel, das „Kapital
John und Karoline Armstead"*) 142000 Rubel. Aus dem Kapital der James
Armsteadschen Stiftung ist 1899 ein Kinderhospital errichtet worden, in dem
1913 in 79240 Pflegetagen 3382 Kinder verpflegt und dessen Ambulanz von
3536 Personen in Anspruch genommen wurde. Die Unterhaltungskosten betrugen
1913 über 182000 Rubel. Das Kinderhospital besitzt selbst wieder ein Kapital
von 25509 Rubeln, gestiftet von Dr. I. C. Schwartz, dessen Zinsen für Freibetten
verwendet werden. Ein geringer Teil der in Riga bestehenden Stiftungen wird
von einem Verein „der literarisch-praktischen Bürgerverbindung" verwaltet;
1913 hatten diese Kapitalien die Summe von 583918 Rubeln erreicht. Sieht
man von einigen von russischen Kaufleuten gestifteten Kapitalien ab. so sind der
bei weitem überwiegende Teil deutsche Kapitalien. Von Letten und Ehlen ist
hierin so gut wie nichts geleistet worden.



'') Die Armsteadts sind eine deutsche ins England stammende Familie,
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[0355] Mit der Kirche beherrscht das Deutschtum die zahlreichen von der Kirche ins Leben gerufenen Wohlfahrts- und Wohltätigkeitsinstitutionen. Wie die drei in den letzten zwei Jahrzehnten neugebauten lettischen Kirchen in Riga, Mitau und Goldingen fast ausschließlich deutscher Opferwilligkeit ihr Entstehen verdanken, werden die Diakonissenhäuser, Krankenhäuser, Taubstummen- und Blindenanstalten beinahe vollständig von deutschem Gelde unterhalten, obgleich sie zum allergrößten Teil der undeutschen Bevölkerung zugute kommen. Als Beispiel seien hier nur die Diakonissen-, die Taubstummen- und die Blöden- anstalt in Mitau erwähnt, eine Schöpfung von Pastor L. Katterfeld, die einen ganzen Stadtteil einnimmt. Ebenso ist die ganze Armenpflege, die auch wiederum hauptsächlich zum Besten der Altdeutschen wirkt, in deutschen Händen. Nicht anders steht es mit den von der Kirche unabhängigen Wohlfahrts¬ institutionen. Die Städte können hier, da die Negierung bei der Schaffung neuer Einnahmequellen nach Möglichkeit Schwierigkeiten schafft und das Budget beschneidet, nur wenig leisten. In großem Stile hat ans dem Gebiete der Wohlfahrt nur die Stadt Riga gearbeitet, wo Deutsche an der Spitze stehen. Einiges leisten, namentlich in der Form der Unterstützungen, die Ritterschaften. Z. B. unterhält die Kurländische Ritter- und Landschaft die Irrenanstalt Güntershof in Mitau. Die Hauptarbeit ist auf private Opferwilligkeit angewiesen, da der Staat natürlich nichts tut. Der aus Deutschen (und Juden) bestehende Lepra¬ verein in Kurland unterhält z. B. drei Leprosorien. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland eine Provinz gibt, wo es soviel Stiftungen mit so an- sehnlichen Kapitalien gibt, wie im Baltikum. Die Zahl dieser Stiftungen, von denen Waisenhäuser, Heime. Asyle, Kleinkmderhorte. Witwen- und Altfräuleinstifte. Armen- und Siechenhäuser erhalten werden oder die diesen zugute kommen, ist Legion. Die Stadt Pernau in Livland mit zirka 20000 Einwohnern besitzt nach dem Adreßbuch 13 solcher Stiftungen. In Riga sind es oft recht große Kapitalien, z. B. beträgt das „Fischersche Legat" 127875 Rubel, das „Kapital John und Karoline Armstead"*) 142000 Rubel. Aus dem Kapital der James Armsteadschen Stiftung ist 1899 ein Kinderhospital errichtet worden, in dem 1913 in 79240 Pflegetagen 3382 Kinder verpflegt und dessen Ambulanz von 3536 Personen in Anspruch genommen wurde. Die Unterhaltungskosten betrugen 1913 über 182000 Rubel. Das Kinderhospital besitzt selbst wieder ein Kapital von 25509 Rubeln, gestiftet von Dr. I. C. Schwartz, dessen Zinsen für Freibetten verwendet werden. Ein geringer Teil der in Riga bestehenden Stiftungen wird von einem Verein „der literarisch-praktischen Bürgerverbindung" verwaltet; 1913 hatten diese Kapitalien die Summe von 583918 Rubeln erreicht. Sieht man von einigen von russischen Kaufleuten gestifteten Kapitalien ab. so sind der bei weitem überwiegende Teil deutsche Kapitalien. Von Letten und Ehlen ist hierin so gut wie nichts geleistet worden. '') Die Armsteadts sind eine deutsche ins England stammende Familie,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/355>, abgerufen am 24.08.2024.