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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Rrieg und Lruährung

solcher Kostschemata noch beliebig vermehren. Untersucht man die Kost bei
verschiedenen Rassen, verschiedenen Nationen, verschiedenen Gesellschaftsklassen,
so zeigen sich, wie bekannt, weitgehende Unterschiede in der Zusammensetzung.
Berechnet man aber in diesen verschiedenen Kostformen den Kraftinhalt, so er¬
gibt sich, daß bei gleichen Leistungen auch die Kraftzufuhr dieselbe ist. Das
beweist wohl aufs Deutlichste, daß in der Tat dem Kraftinhalt der Nahrung
die wesentliche Rolle zukommt, die wir ihm heute zuschreiben.

Aus dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft folgt, daß solange die
Leistungen eines Menschen unverändert bleiben, auch sein Kraftbedarf derselbe
bleiben muß, daß ihm also bei ausreichender Ernährung auch immer derselbe
Betrag an Kraft in der Nahrung geliefert werden muß. Ist das nicht der
Fall, enthält die Nahrung weniger Calorien als für die Bestreitung der Lebens-
Vorgänge erforderlich ist, so kann unmöglich, -- wie man sich das wohl zu¬
weilen vorstellt, -- der Mensch mit der geringeren Zufuhr gleichwohl "aus¬
kommen". Er muß die Kraft, die ihm in der Nahrung nicht geliefert wird,
aus einer anderen Quelle entnehmen: er bestreitet sie aus den Vorräten seines
Körpers. Der unzureichend Ernährte, der Hungernde lebt von seinem eigenen
Leibe. Aus eingehenden Stoffwechselversuchen wissen wir, daß unter diesen
Umständen in erster Linie Fett von: Körper abgegeben und für die Bestreitung
des Kraftbedarfs verbraucht wird, in viel geringerem Maße Kohlehydrat und
Eiweiß. Und ebenso wird bei einer den Bedarf überschreitenden Nahrungs¬
zufuhr der Überschuß keineswegs etwa einfach ebenfalls verbraucht, er wird
vielmehr am Körper abgelagert, und zwar wiederum in der Hauptsache in
Form von Fett, außerdem auch in beschränktem Maße als Kohlehydrat und
Eiweiß. Der eigentliche Neservestosf des Körpers ist das Fett, es ist hierfür
in besonderem Maße geeignet, einmal weil es an und für sich in der Gewichts¬
einheit mehr als doppelt soviel chemische Kraft enthält als Kohlehydrate und
Eiweiß, und dann weil es im Körper fast wasserfrei abgelagert wird: so ent¬
hält es im kleinsten Volumen die größte Kraftmenge. Vielfach wird jeder
Fettansatz am Körper als eine unerwünschte Erscheinung angesehen, als Ideal
eines gesunden Körpers gilt der aufs äußerste trainierte Sportsmann, der nur
noch aus Haut, Muskeln und Knochen besteht. Das ist eine durchaus irrtümliche
Auffassung. Solange die Fettablagerung am Körper nicht einen übermäßigen
Umfang annimmt, ist sie die durchaus normale Folge einer reichlichen Er¬
nährung und stellt einen erwünschten Vorrat für Zeiten mangelhafter Ernährung
dar, wie sie z. B. bei Krankheiten für jeden kommen können. Versagt dabei
wie so häufig der Appetit, so daß die Nahrungszufuhr unzureichend wird, so
muß die für die Bestreitung der Lebensvorgänge erforderliche Kraft ebenfalls
vom Körper genommen werden: wer alsdann über einen gewissen Vorrat ver¬
fügt, wird besser daran sein als der, bei dem dies nicht der Fall ist.

Unter gewöhnlichen Verhältnissen regelt unser Appetit die Nahrungszufuhr
in so vollkommener Weise, daß für längere Zeiträume die Zufuhr dem Verbrauch


Rrieg und Lruährung

solcher Kostschemata noch beliebig vermehren. Untersucht man die Kost bei
verschiedenen Rassen, verschiedenen Nationen, verschiedenen Gesellschaftsklassen,
so zeigen sich, wie bekannt, weitgehende Unterschiede in der Zusammensetzung.
Berechnet man aber in diesen verschiedenen Kostformen den Kraftinhalt, so er¬
gibt sich, daß bei gleichen Leistungen auch die Kraftzufuhr dieselbe ist. Das
beweist wohl aufs Deutlichste, daß in der Tat dem Kraftinhalt der Nahrung
die wesentliche Rolle zukommt, die wir ihm heute zuschreiben.

Aus dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft folgt, daß solange die
Leistungen eines Menschen unverändert bleiben, auch sein Kraftbedarf derselbe
bleiben muß, daß ihm also bei ausreichender Ernährung auch immer derselbe
Betrag an Kraft in der Nahrung geliefert werden muß. Ist das nicht der
Fall, enthält die Nahrung weniger Calorien als für die Bestreitung der Lebens-
Vorgänge erforderlich ist, so kann unmöglich, — wie man sich das wohl zu¬
weilen vorstellt, — der Mensch mit der geringeren Zufuhr gleichwohl „aus¬
kommen". Er muß die Kraft, die ihm in der Nahrung nicht geliefert wird,
aus einer anderen Quelle entnehmen: er bestreitet sie aus den Vorräten seines
Körpers. Der unzureichend Ernährte, der Hungernde lebt von seinem eigenen
Leibe. Aus eingehenden Stoffwechselversuchen wissen wir, daß unter diesen
Umständen in erster Linie Fett von: Körper abgegeben und für die Bestreitung
des Kraftbedarfs verbraucht wird, in viel geringerem Maße Kohlehydrat und
Eiweiß. Und ebenso wird bei einer den Bedarf überschreitenden Nahrungs¬
zufuhr der Überschuß keineswegs etwa einfach ebenfalls verbraucht, er wird
vielmehr am Körper abgelagert, und zwar wiederum in der Hauptsache in
Form von Fett, außerdem auch in beschränktem Maße als Kohlehydrat und
Eiweiß. Der eigentliche Neservestosf des Körpers ist das Fett, es ist hierfür
in besonderem Maße geeignet, einmal weil es an und für sich in der Gewichts¬
einheit mehr als doppelt soviel chemische Kraft enthält als Kohlehydrate und
Eiweiß, und dann weil es im Körper fast wasserfrei abgelagert wird: so ent¬
hält es im kleinsten Volumen die größte Kraftmenge. Vielfach wird jeder
Fettansatz am Körper als eine unerwünschte Erscheinung angesehen, als Ideal
eines gesunden Körpers gilt der aufs äußerste trainierte Sportsmann, der nur
noch aus Haut, Muskeln und Knochen besteht. Das ist eine durchaus irrtümliche
Auffassung. Solange die Fettablagerung am Körper nicht einen übermäßigen
Umfang annimmt, ist sie die durchaus normale Folge einer reichlichen Er¬
nährung und stellt einen erwünschten Vorrat für Zeiten mangelhafter Ernährung
dar, wie sie z. B. bei Krankheiten für jeden kommen können. Versagt dabei
wie so häufig der Appetit, so daß die Nahrungszufuhr unzureichend wird, so
muß die für die Bestreitung der Lebensvorgänge erforderliche Kraft ebenfalls
vom Körper genommen werden: wer alsdann über einen gewissen Vorrat ver¬
fügt, wird besser daran sein als der, bei dem dies nicht der Fall ist.

Unter gewöhnlichen Verhältnissen regelt unser Appetit die Nahrungszufuhr
in so vollkommener Weise, daß für längere Zeiträume die Zufuhr dem Verbrauch


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[0340] Rrieg und Lruährung solcher Kostschemata noch beliebig vermehren. Untersucht man die Kost bei verschiedenen Rassen, verschiedenen Nationen, verschiedenen Gesellschaftsklassen, so zeigen sich, wie bekannt, weitgehende Unterschiede in der Zusammensetzung. Berechnet man aber in diesen verschiedenen Kostformen den Kraftinhalt, so er¬ gibt sich, daß bei gleichen Leistungen auch die Kraftzufuhr dieselbe ist. Das beweist wohl aufs Deutlichste, daß in der Tat dem Kraftinhalt der Nahrung die wesentliche Rolle zukommt, die wir ihm heute zuschreiben. Aus dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft folgt, daß solange die Leistungen eines Menschen unverändert bleiben, auch sein Kraftbedarf derselbe bleiben muß, daß ihm also bei ausreichender Ernährung auch immer derselbe Betrag an Kraft in der Nahrung geliefert werden muß. Ist das nicht der Fall, enthält die Nahrung weniger Calorien als für die Bestreitung der Lebens- Vorgänge erforderlich ist, so kann unmöglich, — wie man sich das wohl zu¬ weilen vorstellt, — der Mensch mit der geringeren Zufuhr gleichwohl „aus¬ kommen". Er muß die Kraft, die ihm in der Nahrung nicht geliefert wird, aus einer anderen Quelle entnehmen: er bestreitet sie aus den Vorräten seines Körpers. Der unzureichend Ernährte, der Hungernde lebt von seinem eigenen Leibe. Aus eingehenden Stoffwechselversuchen wissen wir, daß unter diesen Umständen in erster Linie Fett von: Körper abgegeben und für die Bestreitung des Kraftbedarfs verbraucht wird, in viel geringerem Maße Kohlehydrat und Eiweiß. Und ebenso wird bei einer den Bedarf überschreitenden Nahrungs¬ zufuhr der Überschuß keineswegs etwa einfach ebenfalls verbraucht, er wird vielmehr am Körper abgelagert, und zwar wiederum in der Hauptsache in Form von Fett, außerdem auch in beschränktem Maße als Kohlehydrat und Eiweiß. Der eigentliche Neservestosf des Körpers ist das Fett, es ist hierfür in besonderem Maße geeignet, einmal weil es an und für sich in der Gewichts¬ einheit mehr als doppelt soviel chemische Kraft enthält als Kohlehydrate und Eiweiß, und dann weil es im Körper fast wasserfrei abgelagert wird: so ent¬ hält es im kleinsten Volumen die größte Kraftmenge. Vielfach wird jeder Fettansatz am Körper als eine unerwünschte Erscheinung angesehen, als Ideal eines gesunden Körpers gilt der aufs äußerste trainierte Sportsmann, der nur noch aus Haut, Muskeln und Knochen besteht. Das ist eine durchaus irrtümliche Auffassung. Solange die Fettablagerung am Körper nicht einen übermäßigen Umfang annimmt, ist sie die durchaus normale Folge einer reichlichen Er¬ nährung und stellt einen erwünschten Vorrat für Zeiten mangelhafter Ernährung dar, wie sie z. B. bei Krankheiten für jeden kommen können. Versagt dabei wie so häufig der Appetit, so daß die Nahrungszufuhr unzureichend wird, so muß die für die Bestreitung der Lebensvorgänge erforderliche Kraft ebenfalls vom Körper genommen werden: wer alsdann über einen gewissen Vorrat ver¬ fügt, wird besser daran sein als der, bei dem dies nicht der Fall ist. Unter gewöhnlichen Verhältnissen regelt unser Appetit die Nahrungszufuhr in so vollkommener Weise, daß für längere Zeiträume die Zufuhr dem Verbrauch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/340>, abgerufen am 22.07.2024.