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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die russischen Finanzen

Papier. Er bedingt eine vollkommene Entwertung des Geldes im inneren
Verkehr, eine gewisse Geldhypertrophie, die.das Wachsen der Einlagen in den
Staatssparkassen und den Depositenkassen der Banken erklärt, auch den Erfolg
weiterer kleinerer innerer Anleihen nicht ausschließt, andererseits aber die Ver¬
teuerung aller Produkte und der Arbeitskraft im Lande zur Folge gehabt hat.

Die Währung ist somit ruiniert, die Staatsschulden auf eine unglaubliche
Höhe gewachsen, die das russische Budget kolossal belasten wird. Nach den
Angaben von Bark werden, wie erwähnt, bis Ende dieses Jahres 9,6 Milliarden,
wir können wohl rechnen 10 Milliarden Rubel ausgegeben sein -- das bedingt
ein jährliches Anwachsen der Zinsenlast von ungefähr 550--600 Millionen Rubel.
Rußland hatte zu Beginn des Krieges eine Staatsschuld, die ungefähr ebenso
hoch war, wie die des deutschen Reiches einschließlich der Schulden der Bundes¬
staaten. Diese Schuldenlast war einigermaßen erträglich, wenn man die Größe
Rußlands und seine Einwohnerzahl als Kompensation für den Mangel an
Kapital und wirtschaftlicher Entwicklung ansehen will. Jetzt ist die Lage so,
daß die wirtschaftliche Entwicklung durch den Krieg zurück, die Verschuldung
aber mit Riesenschritten vorwärts gegangen ist. Am Ende eines weiteren
Kriegsjahres wird Rußland ungefähr 18 Milliarden Rubel mehr zu verzinsen,
also eine neue Zinsenlast von über einer Milliarde Rubel jährlich aufzubringen
haben, ohne die Ausbesserung der Schäden des Krieges, die Pensionen an die
Kriegsteilnehmer zu rechnen und ohne in Betracht zu ziehen, daß die finanziellen
Verhältnisse der russischen Semstwos und der russischen Städte, die nie glänzend
waren, durch die Mehrbelastung infolge des Krieges vollkommen darniederliegen.
Wenn Nußland in diesem Augenblicke den Krieg abbrechen würde, möchte es
wohl imstande sein, durch Wiedereinführung des Branntweinmonopols, das in
normalen Zeiten sehr gut ungefähr 600--700 Millionen Rubel ergeben kann,
unter gleichzeitiger Belassung der gegenwärtigen Steuererhöhungen sich aus der
Lage herauszuziehen, in der es sich befindet. Je länger der Krieg dauert,
desto unmöglicher wird eine solche Aussicht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
die Konsolidierung der russischen Kriegsschulden im Inlande zunächst überhaupt
nicht, im Auslande nur unter ungeheuren Schwierigkeiten mit großen weiteren
Geldopfern und allein durch Hinweis auf das Argument des Nichtzahlenkönnens
seitens Rußlands möglich sein wird.

England, das zum Hauptgläubiger Rußlands geworden sein wird, wird
sich zu dieser Konsolidierung nur bereit erklären, wenn ihm die größten Garantien
für eine Kontrolle der russischen Finanzen und Wirtschaft gewährt werden.
Wie nach dem japanischen Kriege die stille Anwesenheit der Abgesandten von
Rockefeller und Gould in Nußland auf die von Amerika damals eskomptierte
Übergabe der russischen Staatseisenbahnen und anderer Betriebe an die kommenden
ausländischen Gläubiger deutete, so wird nach diesem Kriege das zur Wirklichkeit
werden, was damals bei der immerhin geringen Notlage des Handels vermieden
werden konnte. England wird nach diesem Kriege in Rußland eine neue


Die russischen Finanzen

Papier. Er bedingt eine vollkommene Entwertung des Geldes im inneren
Verkehr, eine gewisse Geldhypertrophie, die.das Wachsen der Einlagen in den
Staatssparkassen und den Depositenkassen der Banken erklärt, auch den Erfolg
weiterer kleinerer innerer Anleihen nicht ausschließt, andererseits aber die Ver¬
teuerung aller Produkte und der Arbeitskraft im Lande zur Folge gehabt hat.

Die Währung ist somit ruiniert, die Staatsschulden auf eine unglaubliche
Höhe gewachsen, die das russische Budget kolossal belasten wird. Nach den
Angaben von Bark werden, wie erwähnt, bis Ende dieses Jahres 9,6 Milliarden,
wir können wohl rechnen 10 Milliarden Rubel ausgegeben sein — das bedingt
ein jährliches Anwachsen der Zinsenlast von ungefähr 550—600 Millionen Rubel.
Rußland hatte zu Beginn des Krieges eine Staatsschuld, die ungefähr ebenso
hoch war, wie die des deutschen Reiches einschließlich der Schulden der Bundes¬
staaten. Diese Schuldenlast war einigermaßen erträglich, wenn man die Größe
Rußlands und seine Einwohnerzahl als Kompensation für den Mangel an
Kapital und wirtschaftlicher Entwicklung ansehen will. Jetzt ist die Lage so,
daß die wirtschaftliche Entwicklung durch den Krieg zurück, die Verschuldung
aber mit Riesenschritten vorwärts gegangen ist. Am Ende eines weiteren
Kriegsjahres wird Rußland ungefähr 18 Milliarden Rubel mehr zu verzinsen,
also eine neue Zinsenlast von über einer Milliarde Rubel jährlich aufzubringen
haben, ohne die Ausbesserung der Schäden des Krieges, die Pensionen an die
Kriegsteilnehmer zu rechnen und ohne in Betracht zu ziehen, daß die finanziellen
Verhältnisse der russischen Semstwos und der russischen Städte, die nie glänzend
waren, durch die Mehrbelastung infolge des Krieges vollkommen darniederliegen.
Wenn Nußland in diesem Augenblicke den Krieg abbrechen würde, möchte es
wohl imstande sein, durch Wiedereinführung des Branntweinmonopols, das in
normalen Zeiten sehr gut ungefähr 600—700 Millionen Rubel ergeben kann,
unter gleichzeitiger Belassung der gegenwärtigen Steuererhöhungen sich aus der
Lage herauszuziehen, in der es sich befindet. Je länger der Krieg dauert,
desto unmöglicher wird eine solche Aussicht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
die Konsolidierung der russischen Kriegsschulden im Inlande zunächst überhaupt
nicht, im Auslande nur unter ungeheuren Schwierigkeiten mit großen weiteren
Geldopfern und allein durch Hinweis auf das Argument des Nichtzahlenkönnens
seitens Rußlands möglich sein wird.

England, das zum Hauptgläubiger Rußlands geworden sein wird, wird
sich zu dieser Konsolidierung nur bereit erklären, wenn ihm die größten Garantien
für eine Kontrolle der russischen Finanzen und Wirtschaft gewährt werden.
Wie nach dem japanischen Kriege die stille Anwesenheit der Abgesandten von
Rockefeller und Gould in Nußland auf die von Amerika damals eskomptierte
Übergabe der russischen Staatseisenbahnen und anderer Betriebe an die kommenden
ausländischen Gläubiger deutete, so wird nach diesem Kriege das zur Wirklichkeit
werden, was damals bei der immerhin geringen Notlage des Handels vermieden
werden konnte. England wird nach diesem Kriege in Rußland eine neue


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[0334] Die russischen Finanzen Papier. Er bedingt eine vollkommene Entwertung des Geldes im inneren Verkehr, eine gewisse Geldhypertrophie, die.das Wachsen der Einlagen in den Staatssparkassen und den Depositenkassen der Banken erklärt, auch den Erfolg weiterer kleinerer innerer Anleihen nicht ausschließt, andererseits aber die Ver¬ teuerung aller Produkte und der Arbeitskraft im Lande zur Folge gehabt hat. Die Währung ist somit ruiniert, die Staatsschulden auf eine unglaubliche Höhe gewachsen, die das russische Budget kolossal belasten wird. Nach den Angaben von Bark werden, wie erwähnt, bis Ende dieses Jahres 9,6 Milliarden, wir können wohl rechnen 10 Milliarden Rubel ausgegeben sein — das bedingt ein jährliches Anwachsen der Zinsenlast von ungefähr 550—600 Millionen Rubel. Rußland hatte zu Beginn des Krieges eine Staatsschuld, die ungefähr ebenso hoch war, wie die des deutschen Reiches einschließlich der Schulden der Bundes¬ staaten. Diese Schuldenlast war einigermaßen erträglich, wenn man die Größe Rußlands und seine Einwohnerzahl als Kompensation für den Mangel an Kapital und wirtschaftlicher Entwicklung ansehen will. Jetzt ist die Lage so, daß die wirtschaftliche Entwicklung durch den Krieg zurück, die Verschuldung aber mit Riesenschritten vorwärts gegangen ist. Am Ende eines weiteren Kriegsjahres wird Rußland ungefähr 18 Milliarden Rubel mehr zu verzinsen, also eine neue Zinsenlast von über einer Milliarde Rubel jährlich aufzubringen haben, ohne die Ausbesserung der Schäden des Krieges, die Pensionen an die Kriegsteilnehmer zu rechnen und ohne in Betracht zu ziehen, daß die finanziellen Verhältnisse der russischen Semstwos und der russischen Städte, die nie glänzend waren, durch die Mehrbelastung infolge des Krieges vollkommen darniederliegen. Wenn Nußland in diesem Augenblicke den Krieg abbrechen würde, möchte es wohl imstande sein, durch Wiedereinführung des Branntweinmonopols, das in normalen Zeiten sehr gut ungefähr 600—700 Millionen Rubel ergeben kann, unter gleichzeitiger Belassung der gegenwärtigen Steuererhöhungen sich aus der Lage herauszuziehen, in der es sich befindet. Je länger der Krieg dauert, desto unmöglicher wird eine solche Aussicht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Konsolidierung der russischen Kriegsschulden im Inlande zunächst überhaupt nicht, im Auslande nur unter ungeheuren Schwierigkeiten mit großen weiteren Geldopfern und allein durch Hinweis auf das Argument des Nichtzahlenkönnens seitens Rußlands möglich sein wird. England, das zum Hauptgläubiger Rußlands geworden sein wird, wird sich zu dieser Konsolidierung nur bereit erklären, wenn ihm die größten Garantien für eine Kontrolle der russischen Finanzen und Wirtschaft gewährt werden. Wie nach dem japanischen Kriege die stille Anwesenheit der Abgesandten von Rockefeller und Gould in Nußland auf die von Amerika damals eskomptierte Übergabe der russischen Staatseisenbahnen und anderer Betriebe an die kommenden ausländischen Gläubiger deutete, so wird nach diesem Kriege das zur Wirklichkeit werden, was damals bei der immerhin geringen Notlage des Handels vermieden werden konnte. England wird nach diesem Kriege in Rußland eine neue

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/334>, abgerufen am 24.08.2024.