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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die politischen Beziehungen zwischen Christentum und Islam

dulden konnte. Nur die fünfte der Großmächte, Preußen, hatte auf dem Balkan
und in der Türkei nicht die geringsten Interessen.

Diese Gruppierung der Mächte kam zum kriegerischen Ausbruche im
Krimkriege von 1854--1856, als Kaiser Nikolaus der Erste von Rußland
gelegentlich des Streites um die heiligen Stätten die Türkei in rohester Weise
zu vergewaltigen versuchte. England und Frankreich, denen später noch der
kleine Gernegroß Sardinien unter Viktor Emanuel der Zweite hinzutrat, ver¬
bündeten sich mit der Türkei zur Zurückweisung der russischen Ansprüche.
Rußland wurde zwar nur auf dem räumlich begrenzten Gebiete der Halbinsel
Krim, aber doch so entscheidend besiegt, daß es die Friedensbedingungen der
Verbündeten annehmen mußte und Jahrzehnte lang an keinen neuen
Krieg denken konnte. Osterreich hatte sich zwar nicht am Kriege beteiligt, aber
eine Neutralität beobachtet, die für die Verbündeten mehr als wohlwollend war.

Der Abschluß des Krimkrieges, in dem die Türkei als gleichberechtigter Ver¬
bündeter mit europäischen Mächten aufgetreten war, konnte aber auch nicht
ohne völkerrechtliche Wirkungen bleiben.

Als völlig außerhalb des Völkerrechts stehend, hatte man die Türkei schon
bisher nicht mehr betrachten können. Die verschiedenen Kriege Österreichs und
Rußlands waren durch eine Reihe von Friedensverträgen beendet worden,
deren bindende Kraft man doch auch dem Ungläubigen gegenüber annahm.
Auch schickten die europäischen Mächte zur Vertretung ihrer Interessen
Gesandte nach dem goldenen Horne. Aber als Mitglied der Völkerrechts¬
gemeinschaft wurde die Türkei doch nicht betrachtet. Die Gesandtschaften der
europäischen Mächte erwiderte sie nicht, sondern betrachtete sie als Huldigungs-
Gesandtschaften an den Sultan als den Herrn der Erde. Wenn eine dieser
Mächte mit der Türkei in Kriegszustand trat, so war das die Auflehnung eines
Vasallen. Der Gesandte mutzte dafür büßen und wanderte während des Krieges
in das Gefängnis der sieben Türme.

Das sollte nun anders werden. Der Pariser Frieden vom 30. März 1856
Artikel 7 erklärte die Hohe Pforte teilhaftig der Vorteile des europäischen
öffentlichen Rechts und des europäischen Konzerts. Damit war zum ersten
Male ein nicht christlicher Staat förmlich und feierlich als gleichberechtigtes
Mitglied in die europäische Völkerrechtsgemetnschaft aufgenommen. England
und Frankreich waren es, die als Verbündete der Türkei die völkerrechtlichen
Folgerungen zogen und Rußland diese Friedensbedingung auferlegten.

Die übrigen Beziehungen der christlichen Staaten zu den islamischen
hatten sich Jahrhunderte hindurch auf die nordafrikanischen, zu der Pforte in
einem lockeren Abhängigkeitsverhältnisse stehenden Barbaresken beschränkt, die
seit jeher gegenüber den Christen einen staatlich organisierten Seeraub trieben.
Hier bestand beiderseits die Rechtlosigkeit des Mittelalters fort. Nur einige Staaten
hatten sich durch Tributzahlungen vom Seerande losgekauft. Erst mit der
Eroberung Algiers durch die Franzosen im Jahre 1830 war die Macht der


Die politischen Beziehungen zwischen Christentum und Islam

dulden konnte. Nur die fünfte der Großmächte, Preußen, hatte auf dem Balkan
und in der Türkei nicht die geringsten Interessen.

Diese Gruppierung der Mächte kam zum kriegerischen Ausbruche im
Krimkriege von 1854—1856, als Kaiser Nikolaus der Erste von Rußland
gelegentlich des Streites um die heiligen Stätten die Türkei in rohester Weise
zu vergewaltigen versuchte. England und Frankreich, denen später noch der
kleine Gernegroß Sardinien unter Viktor Emanuel der Zweite hinzutrat, ver¬
bündeten sich mit der Türkei zur Zurückweisung der russischen Ansprüche.
Rußland wurde zwar nur auf dem räumlich begrenzten Gebiete der Halbinsel
Krim, aber doch so entscheidend besiegt, daß es die Friedensbedingungen der
Verbündeten annehmen mußte und Jahrzehnte lang an keinen neuen
Krieg denken konnte. Osterreich hatte sich zwar nicht am Kriege beteiligt, aber
eine Neutralität beobachtet, die für die Verbündeten mehr als wohlwollend war.

Der Abschluß des Krimkrieges, in dem die Türkei als gleichberechtigter Ver¬
bündeter mit europäischen Mächten aufgetreten war, konnte aber auch nicht
ohne völkerrechtliche Wirkungen bleiben.

Als völlig außerhalb des Völkerrechts stehend, hatte man die Türkei schon
bisher nicht mehr betrachten können. Die verschiedenen Kriege Österreichs und
Rußlands waren durch eine Reihe von Friedensverträgen beendet worden,
deren bindende Kraft man doch auch dem Ungläubigen gegenüber annahm.
Auch schickten die europäischen Mächte zur Vertretung ihrer Interessen
Gesandte nach dem goldenen Horne. Aber als Mitglied der Völkerrechts¬
gemeinschaft wurde die Türkei doch nicht betrachtet. Die Gesandtschaften der
europäischen Mächte erwiderte sie nicht, sondern betrachtete sie als Huldigungs-
Gesandtschaften an den Sultan als den Herrn der Erde. Wenn eine dieser
Mächte mit der Türkei in Kriegszustand trat, so war das die Auflehnung eines
Vasallen. Der Gesandte mutzte dafür büßen und wanderte während des Krieges
in das Gefängnis der sieben Türme.

Das sollte nun anders werden. Der Pariser Frieden vom 30. März 1856
Artikel 7 erklärte die Hohe Pforte teilhaftig der Vorteile des europäischen
öffentlichen Rechts und des europäischen Konzerts. Damit war zum ersten
Male ein nicht christlicher Staat förmlich und feierlich als gleichberechtigtes
Mitglied in die europäische Völkerrechtsgemetnschaft aufgenommen. England
und Frankreich waren es, die als Verbündete der Türkei die völkerrechtlichen
Folgerungen zogen und Rußland diese Friedensbedingung auferlegten.

Die übrigen Beziehungen der christlichen Staaten zu den islamischen
hatten sich Jahrhunderte hindurch auf die nordafrikanischen, zu der Pforte in
einem lockeren Abhängigkeitsverhältnisse stehenden Barbaresken beschränkt, die
seit jeher gegenüber den Christen einen staatlich organisierten Seeraub trieben.
Hier bestand beiderseits die Rechtlosigkeit des Mittelalters fort. Nur einige Staaten
hatten sich durch Tributzahlungen vom Seerande losgekauft. Erst mit der
Eroberung Algiers durch die Franzosen im Jahre 1830 war die Macht der


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[0272] Die politischen Beziehungen zwischen Christentum und Islam dulden konnte. Nur die fünfte der Großmächte, Preußen, hatte auf dem Balkan und in der Türkei nicht die geringsten Interessen. Diese Gruppierung der Mächte kam zum kriegerischen Ausbruche im Krimkriege von 1854—1856, als Kaiser Nikolaus der Erste von Rußland gelegentlich des Streites um die heiligen Stätten die Türkei in rohester Weise zu vergewaltigen versuchte. England und Frankreich, denen später noch der kleine Gernegroß Sardinien unter Viktor Emanuel der Zweite hinzutrat, ver¬ bündeten sich mit der Türkei zur Zurückweisung der russischen Ansprüche. Rußland wurde zwar nur auf dem räumlich begrenzten Gebiete der Halbinsel Krim, aber doch so entscheidend besiegt, daß es die Friedensbedingungen der Verbündeten annehmen mußte und Jahrzehnte lang an keinen neuen Krieg denken konnte. Osterreich hatte sich zwar nicht am Kriege beteiligt, aber eine Neutralität beobachtet, die für die Verbündeten mehr als wohlwollend war. Der Abschluß des Krimkrieges, in dem die Türkei als gleichberechtigter Ver¬ bündeter mit europäischen Mächten aufgetreten war, konnte aber auch nicht ohne völkerrechtliche Wirkungen bleiben. Als völlig außerhalb des Völkerrechts stehend, hatte man die Türkei schon bisher nicht mehr betrachten können. Die verschiedenen Kriege Österreichs und Rußlands waren durch eine Reihe von Friedensverträgen beendet worden, deren bindende Kraft man doch auch dem Ungläubigen gegenüber annahm. Auch schickten die europäischen Mächte zur Vertretung ihrer Interessen Gesandte nach dem goldenen Horne. Aber als Mitglied der Völkerrechts¬ gemeinschaft wurde die Türkei doch nicht betrachtet. Die Gesandtschaften der europäischen Mächte erwiderte sie nicht, sondern betrachtete sie als Huldigungs- Gesandtschaften an den Sultan als den Herrn der Erde. Wenn eine dieser Mächte mit der Türkei in Kriegszustand trat, so war das die Auflehnung eines Vasallen. Der Gesandte mutzte dafür büßen und wanderte während des Krieges in das Gefängnis der sieben Türme. Das sollte nun anders werden. Der Pariser Frieden vom 30. März 1856 Artikel 7 erklärte die Hohe Pforte teilhaftig der Vorteile des europäischen öffentlichen Rechts und des europäischen Konzerts. Damit war zum ersten Male ein nicht christlicher Staat förmlich und feierlich als gleichberechtigtes Mitglied in die europäische Völkerrechtsgemetnschaft aufgenommen. England und Frankreich waren es, die als Verbündete der Türkei die völkerrechtlichen Folgerungen zogen und Rußland diese Friedensbedingung auferlegten. Die übrigen Beziehungen der christlichen Staaten zu den islamischen hatten sich Jahrhunderte hindurch auf die nordafrikanischen, zu der Pforte in einem lockeren Abhängigkeitsverhältnisse stehenden Barbaresken beschränkt, die seit jeher gegenüber den Christen einen staatlich organisierten Seeraub trieben. Hier bestand beiderseits die Rechtlosigkeit des Mittelalters fort. Nur einige Staaten hatten sich durch Tributzahlungen vom Seerande losgekauft. Erst mit der Eroberung Algiers durch die Franzosen im Jahre 1830 war die Macht der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/272>, abgerufen am 26.06.2024.