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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Zeitung und Hochschule

Verhältnis zu ihrer Zahl steht. Doch beweisen diese Arbeiten, daß schon Be¬
ziehungen zwischen Hochschule und Presse bestanden haben müssen, wie wir sie
neuerdings erstreben. Wie sich unter den Verfassern dieser Arbeiten auch mancher
Name von Ruf findet, so sind es auch bezeichnenderweise nicht etwa
literarische Charlatane gewesen, die der Zeitungsforschung Gastrecht in ihrem
Hörsaal verliehen. An erster Stelle ist da zu nennen der Göttinger Professor
August Ludwig Schlözer, der selbst zu dem bedeutensten Publizisten des acht¬
zehnten Jahrhunderts gezählt werden darf. Durch weite Reisen hatte er sich
Einblick in die Verhältnisse des Auslandes verschafft und verwertete schon früh
seine Kenntnisse journalistisch. So schrieb er aus Schweden dem "Altonaer
Postreuter" Berichte über schwedische Politik. Wie er selbst sich stolz den Schmied
des eigenen Glückes nannte, so sah er mit Verachtung auf "die auf der Anciennetäts-
brücke fortrutschenden Menschen" herab, und wie er sein Wissen nicht nur durch
Bücher, sondern durch die Welt erlangte, so war es sein Bestreben als Dozent
in Göttingen, der Jugend mehr zu bieten, als nur Weisheit aus den Herbarien
der nüchternen Buchgelehrsanckeit.

Seine Vorlesungen geben Zeugnis von seiner Vielseitigkeit; neben all¬
gemeiner Geschichte findet die Landesgeschichte Mecklenburgs, Göttingens und
Hamburgs, sowie das Ausland Beachtung; bedeutende Erfindungen, wie das
Pulver, ferner das Brotbacken, der Handel und das Postwesen wurden behandelt.
Neben seiner Dozententätigkeit war Schlözer journalistisch stark beschäftigt;
seine "Staatsanzeigen" erschienen 1783--1794 und wurden von vielen Staats¬
männern, Ministern, ja selbst Herrschern als neues Damoklesschwert so gefürchtet,
daß sich mancher durch den bloßen Gedanken: "Das kommt in den Schlözer"
von schlechten Handlungen abschrecken ließ. Dieser mit den Forderungen der
Praxis wie mit denen einer kritischen Forschung gleich gut vertraute, uns heute
so sehr modern anmutende Publizist und Professor, war der rechte Mann, die
Zeitung an der />.1ma mater würdig zu vertreten. Allem Kastengeist abhold,
trat er für die Verallgemeinerung des Wissens ein, und sein lebendiger Vortrag,
seine aus dem Leben für das Leben gewählten Stoffe erreichten es, daß seine
Zuhörerschaft stark anschwoll, ja man drängte sich so zu ihm, daß man glaubte,
es sei eine Feuersbrunst in der Nähe. Schlözer verfolgte sogar schon den Plan
einer Zeitungssammlnng für sein statistisches Kabinett, dessen Ausführung aber
an der Knauserei der Behörde scheiterte.

Liest man heute seinen "Entwurf zu einem Reise Collegio nebst einer An¬
zeige seines Zeitungskollegii", Göttingen 1777 erschienen, so mischt sich in die
Freude darüber, daß ein solcher Mann für die Presse eingetreten ist, das Be¬
dauern, daß man seinen Anregungen so wenig gefolgt ist. Schlözer berichtet, er
habe mehrere Jahre hindurch wöchentlich zwei- bis dreimal ein Zeitungs¬
kolleg gehalten, und gibt kurz, wie es überhaupt seine Art war alles streng zu
gliedern, eine Übersicht seines Vorlesungsplanes. Er will nicht etwa den Hörern
das Zeitungslesen ersparen und verwahrt sich besonders gegen die falsche Er-


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Zeitung und Hochschule

Verhältnis zu ihrer Zahl steht. Doch beweisen diese Arbeiten, daß schon Be¬
ziehungen zwischen Hochschule und Presse bestanden haben müssen, wie wir sie
neuerdings erstreben. Wie sich unter den Verfassern dieser Arbeiten auch mancher
Name von Ruf findet, so sind es auch bezeichnenderweise nicht etwa
literarische Charlatane gewesen, die der Zeitungsforschung Gastrecht in ihrem
Hörsaal verliehen. An erster Stelle ist da zu nennen der Göttinger Professor
August Ludwig Schlözer, der selbst zu dem bedeutensten Publizisten des acht¬
zehnten Jahrhunderts gezählt werden darf. Durch weite Reisen hatte er sich
Einblick in die Verhältnisse des Auslandes verschafft und verwertete schon früh
seine Kenntnisse journalistisch. So schrieb er aus Schweden dem „Altonaer
Postreuter" Berichte über schwedische Politik. Wie er selbst sich stolz den Schmied
des eigenen Glückes nannte, so sah er mit Verachtung auf „die auf der Anciennetäts-
brücke fortrutschenden Menschen" herab, und wie er sein Wissen nicht nur durch
Bücher, sondern durch die Welt erlangte, so war es sein Bestreben als Dozent
in Göttingen, der Jugend mehr zu bieten, als nur Weisheit aus den Herbarien
der nüchternen Buchgelehrsanckeit.

Seine Vorlesungen geben Zeugnis von seiner Vielseitigkeit; neben all¬
gemeiner Geschichte findet die Landesgeschichte Mecklenburgs, Göttingens und
Hamburgs, sowie das Ausland Beachtung; bedeutende Erfindungen, wie das
Pulver, ferner das Brotbacken, der Handel und das Postwesen wurden behandelt.
Neben seiner Dozententätigkeit war Schlözer journalistisch stark beschäftigt;
seine „Staatsanzeigen" erschienen 1783—1794 und wurden von vielen Staats¬
männern, Ministern, ja selbst Herrschern als neues Damoklesschwert so gefürchtet,
daß sich mancher durch den bloßen Gedanken: „Das kommt in den Schlözer"
von schlechten Handlungen abschrecken ließ. Dieser mit den Forderungen der
Praxis wie mit denen einer kritischen Forschung gleich gut vertraute, uns heute
so sehr modern anmutende Publizist und Professor, war der rechte Mann, die
Zeitung an der />.1ma mater würdig zu vertreten. Allem Kastengeist abhold,
trat er für die Verallgemeinerung des Wissens ein, und sein lebendiger Vortrag,
seine aus dem Leben für das Leben gewählten Stoffe erreichten es, daß seine
Zuhörerschaft stark anschwoll, ja man drängte sich so zu ihm, daß man glaubte,
es sei eine Feuersbrunst in der Nähe. Schlözer verfolgte sogar schon den Plan
einer Zeitungssammlnng für sein statistisches Kabinett, dessen Ausführung aber
an der Knauserei der Behörde scheiterte.

Liest man heute seinen „Entwurf zu einem Reise Collegio nebst einer An¬
zeige seines Zeitungskollegii", Göttingen 1777 erschienen, so mischt sich in die
Freude darüber, daß ein solcher Mann für die Presse eingetreten ist, das Be¬
dauern, daß man seinen Anregungen so wenig gefolgt ist. Schlözer berichtet, er
habe mehrere Jahre hindurch wöchentlich zwei- bis dreimal ein Zeitungs¬
kolleg gehalten, und gibt kurz, wie es überhaupt seine Art war alles streng zu
gliedern, eine Übersicht seines Vorlesungsplanes. Er will nicht etwa den Hörern
das Zeitungslesen ersparen und verwahrt sich besonders gegen die falsche Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/255>, abgerufen am 22.07.2024.