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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Zeitung und Hochschule

Wartung, daß er ihnen neue Geheimnisse der hohen Politik erschließen oder
gar politische Orakelsprüche geben werde. Die von Fischart schon verspottete
"neuzeitungsgelebige Menge" erwartete damals häufig von den Journalisten,
daß sie die Schlüssel zu den Geheimkabinetten der Minister hätten, und manche
spielten sich auch so wichtig in ihren Blättern auf. daß sie den Spott ihrer
Zeitgenossen herausforderten, der sich in interessanten Karikaturen auf die
Zeitungsschreiber Luft machte.

Was Schlözer mit seinem Zeitungskolleg beabsichtigte, war nichts mehr
und nichts weniger, als seine Hörer die Kunst, Zeitungen zu lesen, zu lehren,
die ebenso wie andere Künste erlernt werden mußte, besonders damals, wo die
Zeitungen ihre Leser meist mit einem Wust von Nachrichten überschütteten, die
ganz ohne Rücksicht auf Glaubwürdigkeit und Zusammenhang, auf Wichtigkeit
oder Zeitfolge, meist mit Schere und Kleister zusammengestoppelt waren, sodaß
Schlözer als kritischer, gewissenhafter Historiker in ihnen nichts anderes sehen
konnte, als der Zeitungsschreiber selbst, nämlich "eine Sammlung von Nach¬
richten und Gerüchten, so wie er sie den nächsten Posttag vorher aus allerlei
Gegenden, von allerlei Leuten, die er nicht einmal nennen darf, erhalten hat,
für deren Richtigkeit er nichts weniger als Garantie leistet, sondern deren Wahr¬
heit oder Wahrscheinlichkeit zu bestimmen er der Urteilskraft der Leser lediglich
anheimstellt."

Die Schäden, die die Zeitungslektüre anrichtet, hat schon Schlözer damals
erkannt und sie will er heilen. Der Leser muß das richtige Verhältnis zu seiner
Zeitung gewinnen. Er soll nicht blind zeitungsgläubig sein, er soll ferner sich
nicht allein für den Tratsch und Klatsch interessieren, als damals waren: der
Katarrh einer alten Prinzessin, die Geburt eines jungen Grafen, und darüber
vielleicht wichtige Erwägungen einer neuen Finanzordnung übersehen, "durch
die in weniger als einem Menschenalter Land und Leute umgeschaffen wird."

Als Historiker geht Schlözer von der Geschichte der Zeitungen aus und
beschreibt dann umständlich die Art, "wie jetzt noch Zeitungen zur Welt kommen."
Sodann folgt eine Kritik der Quellen, aus der die Blätter meist schöpfen, und
eine Analyse einzelner Zeitungsartikel.

Schlözer trat damals sehr kräftig für die Errichtung einer eigenen Professur,
für einen Lur8us politieu8 ein, in dem dann auch dieZeitungsforschung untergebracht
werden konnte. Der große Haufe erwarte doch von dem Gelehrten, "daß diese
über Zeitungen besser urteilen können als er selbst, wie beschimpfend aber für
den Stand, wenn er davon nichts mehr weiß, als eine Magd!" Schlözer meint,
man möchte fast an dem Grundtriebe der menschlichen Natur, der Wißbegier,
zweifeln, wenn man sehe, daß viele studierte alle Wochen zweimal die letzte
Kolumne im Altonaer Postreuter (vom Geldkurs) ansehen und doch ausstehen
können, daß sie nie einen Gedanken dabei denken.

Schlözer war ein Freund der heute ja auch beliebten Vorlesungen sür
Studierende aller Fakultäten, und sein Zeilungskolleg sollte in diesem Rahmen


Zeitung und Hochschule

Wartung, daß er ihnen neue Geheimnisse der hohen Politik erschließen oder
gar politische Orakelsprüche geben werde. Die von Fischart schon verspottete
„neuzeitungsgelebige Menge" erwartete damals häufig von den Journalisten,
daß sie die Schlüssel zu den Geheimkabinetten der Minister hätten, und manche
spielten sich auch so wichtig in ihren Blättern auf. daß sie den Spott ihrer
Zeitgenossen herausforderten, der sich in interessanten Karikaturen auf die
Zeitungsschreiber Luft machte.

Was Schlözer mit seinem Zeitungskolleg beabsichtigte, war nichts mehr
und nichts weniger, als seine Hörer die Kunst, Zeitungen zu lesen, zu lehren,
die ebenso wie andere Künste erlernt werden mußte, besonders damals, wo die
Zeitungen ihre Leser meist mit einem Wust von Nachrichten überschütteten, die
ganz ohne Rücksicht auf Glaubwürdigkeit und Zusammenhang, auf Wichtigkeit
oder Zeitfolge, meist mit Schere und Kleister zusammengestoppelt waren, sodaß
Schlözer als kritischer, gewissenhafter Historiker in ihnen nichts anderes sehen
konnte, als der Zeitungsschreiber selbst, nämlich „eine Sammlung von Nach¬
richten und Gerüchten, so wie er sie den nächsten Posttag vorher aus allerlei
Gegenden, von allerlei Leuten, die er nicht einmal nennen darf, erhalten hat,
für deren Richtigkeit er nichts weniger als Garantie leistet, sondern deren Wahr¬
heit oder Wahrscheinlichkeit zu bestimmen er der Urteilskraft der Leser lediglich
anheimstellt."

Die Schäden, die die Zeitungslektüre anrichtet, hat schon Schlözer damals
erkannt und sie will er heilen. Der Leser muß das richtige Verhältnis zu seiner
Zeitung gewinnen. Er soll nicht blind zeitungsgläubig sein, er soll ferner sich
nicht allein für den Tratsch und Klatsch interessieren, als damals waren: der
Katarrh einer alten Prinzessin, die Geburt eines jungen Grafen, und darüber
vielleicht wichtige Erwägungen einer neuen Finanzordnung übersehen, „durch
die in weniger als einem Menschenalter Land und Leute umgeschaffen wird."

Als Historiker geht Schlözer von der Geschichte der Zeitungen aus und
beschreibt dann umständlich die Art, „wie jetzt noch Zeitungen zur Welt kommen."
Sodann folgt eine Kritik der Quellen, aus der die Blätter meist schöpfen, und
eine Analyse einzelner Zeitungsartikel.

Schlözer trat damals sehr kräftig für die Errichtung einer eigenen Professur,
für einen Lur8us politieu8 ein, in dem dann auch dieZeitungsforschung untergebracht
werden konnte. Der große Haufe erwarte doch von dem Gelehrten, „daß diese
über Zeitungen besser urteilen können als er selbst, wie beschimpfend aber für
den Stand, wenn er davon nichts mehr weiß, als eine Magd!" Schlözer meint,
man möchte fast an dem Grundtriebe der menschlichen Natur, der Wißbegier,
zweifeln, wenn man sehe, daß viele studierte alle Wochen zweimal die letzte
Kolumne im Altonaer Postreuter (vom Geldkurs) ansehen und doch ausstehen
können, daß sie nie einen Gedanken dabei denken.

Schlözer war ein Freund der heute ja auch beliebten Vorlesungen sür
Studierende aller Fakultäten, und sein Zeilungskolleg sollte in diesem Rahmen


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[0256] Zeitung und Hochschule Wartung, daß er ihnen neue Geheimnisse der hohen Politik erschließen oder gar politische Orakelsprüche geben werde. Die von Fischart schon verspottete „neuzeitungsgelebige Menge" erwartete damals häufig von den Journalisten, daß sie die Schlüssel zu den Geheimkabinetten der Minister hätten, und manche spielten sich auch so wichtig in ihren Blättern auf. daß sie den Spott ihrer Zeitgenossen herausforderten, der sich in interessanten Karikaturen auf die Zeitungsschreiber Luft machte. Was Schlözer mit seinem Zeitungskolleg beabsichtigte, war nichts mehr und nichts weniger, als seine Hörer die Kunst, Zeitungen zu lesen, zu lehren, die ebenso wie andere Künste erlernt werden mußte, besonders damals, wo die Zeitungen ihre Leser meist mit einem Wust von Nachrichten überschütteten, die ganz ohne Rücksicht auf Glaubwürdigkeit und Zusammenhang, auf Wichtigkeit oder Zeitfolge, meist mit Schere und Kleister zusammengestoppelt waren, sodaß Schlözer als kritischer, gewissenhafter Historiker in ihnen nichts anderes sehen konnte, als der Zeitungsschreiber selbst, nämlich „eine Sammlung von Nach¬ richten und Gerüchten, so wie er sie den nächsten Posttag vorher aus allerlei Gegenden, von allerlei Leuten, die er nicht einmal nennen darf, erhalten hat, für deren Richtigkeit er nichts weniger als Garantie leistet, sondern deren Wahr¬ heit oder Wahrscheinlichkeit zu bestimmen er der Urteilskraft der Leser lediglich anheimstellt." Die Schäden, die die Zeitungslektüre anrichtet, hat schon Schlözer damals erkannt und sie will er heilen. Der Leser muß das richtige Verhältnis zu seiner Zeitung gewinnen. Er soll nicht blind zeitungsgläubig sein, er soll ferner sich nicht allein für den Tratsch und Klatsch interessieren, als damals waren: der Katarrh einer alten Prinzessin, die Geburt eines jungen Grafen, und darüber vielleicht wichtige Erwägungen einer neuen Finanzordnung übersehen, „durch die in weniger als einem Menschenalter Land und Leute umgeschaffen wird." Als Historiker geht Schlözer von der Geschichte der Zeitungen aus und beschreibt dann umständlich die Art, „wie jetzt noch Zeitungen zur Welt kommen." Sodann folgt eine Kritik der Quellen, aus der die Blätter meist schöpfen, und eine Analyse einzelner Zeitungsartikel. Schlözer trat damals sehr kräftig für die Errichtung einer eigenen Professur, für einen Lur8us politieu8 ein, in dem dann auch dieZeitungsforschung untergebracht werden konnte. Der große Haufe erwarte doch von dem Gelehrten, „daß diese über Zeitungen besser urteilen können als er selbst, wie beschimpfend aber für den Stand, wenn er davon nichts mehr weiß, als eine Magd!" Schlözer meint, man möchte fast an dem Grundtriebe der menschlichen Natur, der Wißbegier, zweifeln, wenn man sehe, daß viele studierte alle Wochen zweimal die letzte Kolumne im Altonaer Postreuter (vom Geldkurs) ansehen und doch ausstehen können, daß sie nie einen Gedanken dabei denken. Schlözer war ein Freund der heute ja auch beliebten Vorlesungen sür Studierende aller Fakultäten, und sein Zeilungskolleg sollte in diesem Rahmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/256>, abgerufen am 24.08.2024.