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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die "Aktivisten" und die Sozialdemokratie Schwedens

land retten, ehe es sich den "Skandiuavismus" als Ziel setzen kann. Mit
Leidenschaft bekämpfen die Verfasser des Sammelwerkes die Ansicht, daß Schweden
Zeine auswärtige Politik treiben dürfe. Aus seiner Geschichte hätte Schweden
eigentlich lernen können, wie der Respekt vor einem Land verschwindet, das
keinen eigenen Willen hat. Welche unglückselige Folgen zeitigte nicht diese
Ansicht I In der verderblichsten Weise versäumte man die Reformierung des
Verteidigungswesens, durch Passivität glaubte man Finnland am besten zu
nutzen. Heute muß man wissen, daß Finnlands Schicksal Schwedens Schicksal
ist. Nur ein selbständiges Finnland kann Schweden von der Angst befreien,
von Rußland überfallen zu werden. Wie kann sich aber die Parteinahme für
die unterdrückten Völker anders äußern als dadurch, daß man bereit ist, mit
dem Schwerte für sie einzutreten?

Ausführlich bespricht das Buch die Verbindungen, in denen Schweden zu
den einzelnen Großmächten steht: weder in Dänemark noch in Norwegen kann
Schweden eine Stütze für seine Pläne finden. Die Politik Norwegens kann
kaum selbständig genannt werden, ist doch ihre Entwicklung völlig von England
abhängig. Auch militärisch ist Norwegen zu schwach, um zu helfen. Frankreich
hat keinerlei Interesse, die russische Ausdehnung im Norden zu hindern. Aber
wie ist das Verhältnis zu England? Vielfach ist die Ansicht in Schweden ver¬
treten, daß die russisch-englische Allianz nicht von langer Dauer sein kann, und
daß Schweden deshalb für die Sicherstellung seiner Zukunft die Hoffnung wieder
auf England richten darf. Anderes lehrt die schwedisch-englische Geschichte:
immer wenn Schweden sich auf England verließ, wurde es betrogen. Das zeigt
der Verlust der Ostseeprovinzen 1719, der Finnlands 1809; England verdankt
Schweden 1905 die Auflösung der Union. sympathisiert England doch immer
mit dem Selbständigkeitsbedürfnis der kleinen Staaten. England hat heute kein
Bedürfnis mehr nach einem starken Schweden, denn da sich Schweden seit 1870
durch seine ökonomische und kulturelle Entwicklung immer mehr Deutschland
genähert hat, betrachtet es England nicht mehr als sein Bollwerk gegen Rußland,
sondern als den nördlichen Vorposten Deutschlands. Es glaubt, daß durch ein
russisches Vordringen in Nordschweden Deutschland geschwächt würde. Wie
leicht wäre es Rußland, England Kompensationen in Asien zu bieten. Auch
aus strategischen Gründen wäre das Vorrücken Rußlands an den Atlantischen
Ozean nur wünschenswert, denn wieviel leichter wäre dann in Kriegszeiten der
Transport von Lebensmitteln und Kriegsbedarf. Nach eingehender Betrachtung
der russisch-englischen Beziehungen kann man nur den Schluß ziehen: England
muß die russischen Pläne im Osten unterstützen, wenn es den Verbündeten nicht
zum Sonderfrieden mit Deutschland drängen will.

Welches Fazit kann man aus der Betrachtung der deutschen und schwedischen
Lebensinteressen ziehen? Gegen alle Staaten kann Schweden seine Neutralität
verteidigen, aber nicht gegen Deutschland, denn Deutschland beherrscht mit seiner
Flotte die Ostsee. Ohne Deutschlands Hilfe muß Schweden in einem Kriege


Die „Aktivisten" und die Sozialdemokratie Schwedens

land retten, ehe es sich den „Skandiuavismus" als Ziel setzen kann. Mit
Leidenschaft bekämpfen die Verfasser des Sammelwerkes die Ansicht, daß Schweden
Zeine auswärtige Politik treiben dürfe. Aus seiner Geschichte hätte Schweden
eigentlich lernen können, wie der Respekt vor einem Land verschwindet, das
keinen eigenen Willen hat. Welche unglückselige Folgen zeitigte nicht diese
Ansicht I In der verderblichsten Weise versäumte man die Reformierung des
Verteidigungswesens, durch Passivität glaubte man Finnland am besten zu
nutzen. Heute muß man wissen, daß Finnlands Schicksal Schwedens Schicksal
ist. Nur ein selbständiges Finnland kann Schweden von der Angst befreien,
von Rußland überfallen zu werden. Wie kann sich aber die Parteinahme für
die unterdrückten Völker anders äußern als dadurch, daß man bereit ist, mit
dem Schwerte für sie einzutreten?

Ausführlich bespricht das Buch die Verbindungen, in denen Schweden zu
den einzelnen Großmächten steht: weder in Dänemark noch in Norwegen kann
Schweden eine Stütze für seine Pläne finden. Die Politik Norwegens kann
kaum selbständig genannt werden, ist doch ihre Entwicklung völlig von England
abhängig. Auch militärisch ist Norwegen zu schwach, um zu helfen. Frankreich
hat keinerlei Interesse, die russische Ausdehnung im Norden zu hindern. Aber
wie ist das Verhältnis zu England? Vielfach ist die Ansicht in Schweden ver¬
treten, daß die russisch-englische Allianz nicht von langer Dauer sein kann, und
daß Schweden deshalb für die Sicherstellung seiner Zukunft die Hoffnung wieder
auf England richten darf. Anderes lehrt die schwedisch-englische Geschichte:
immer wenn Schweden sich auf England verließ, wurde es betrogen. Das zeigt
der Verlust der Ostseeprovinzen 1719, der Finnlands 1809; England verdankt
Schweden 1905 die Auflösung der Union. sympathisiert England doch immer
mit dem Selbständigkeitsbedürfnis der kleinen Staaten. England hat heute kein
Bedürfnis mehr nach einem starken Schweden, denn da sich Schweden seit 1870
durch seine ökonomische und kulturelle Entwicklung immer mehr Deutschland
genähert hat, betrachtet es England nicht mehr als sein Bollwerk gegen Rußland,
sondern als den nördlichen Vorposten Deutschlands. Es glaubt, daß durch ein
russisches Vordringen in Nordschweden Deutschland geschwächt würde. Wie
leicht wäre es Rußland, England Kompensationen in Asien zu bieten. Auch
aus strategischen Gründen wäre das Vorrücken Rußlands an den Atlantischen
Ozean nur wünschenswert, denn wieviel leichter wäre dann in Kriegszeiten der
Transport von Lebensmitteln und Kriegsbedarf. Nach eingehender Betrachtung
der russisch-englischen Beziehungen kann man nur den Schluß ziehen: England
muß die russischen Pläne im Osten unterstützen, wenn es den Verbündeten nicht
zum Sonderfrieden mit Deutschland drängen will.

Welches Fazit kann man aus der Betrachtung der deutschen und schwedischen
Lebensinteressen ziehen? Gegen alle Staaten kann Schweden seine Neutralität
verteidigen, aber nicht gegen Deutschland, denn Deutschland beherrscht mit seiner
Flotte die Ostsee. Ohne Deutschlands Hilfe muß Schweden in einem Kriege


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/17>, abgerufen am 24.08.2024.