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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die "Aktivisten" und die Sozialdemokratie Schwedens

der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Nilsson in Kabbarp eine Beurteilung
der englischen Politik unter Eduard dem Siebenten. Nach seiner Auffassung tritt das
Ziel, Deutschland einzukreisen, klar zutage. Ihm ist der Standpunkt der Männer
unbegreiflich, die mehr Vertrauen zu der Politik der Entente haben, als zu der
Bethmann-Hollwegs. Die Revanchelust der Franzosen und ihr Bündnis mit
dem Zarentum sind nach seiner Ansicht die tiefen Ursachen des Weltkrieges.
Auch der Redakteur eines sozialdemokratischen Blattes in Mittelschweden,
"Smaländska Folkblad", versteht nicht, wie in vielen sozialdemokratischen
Blättern die Unterdrückung Finnlands vor dem Einfall in Belgien völlig in
den Hintergrund treten konnte. Kein denkender Mensch, meint er, wird sich
überzeugen lassen, daß die deutsche Barbarei russische Rohheit und Willkür
übertrifft. Nicht die Freiheit kämpft im Weltkrieg gegen die Gewaltherrschaft,
wie es manche Blätter darzustellen belieben, sondern mit dem halbastatischen
Rußland haben sich England und Frankreich gegen Deutschland verbündet. Der
sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete A. C. Lindblad, der Redakteur von
"Up Tid", betont dem preußischen Militarismus gegenüber nicht nur die russische
Willkürherrschaft, sondern auch den französischen und englischen Militarismus.
Er versteht die Haltung der deutschen Sozialdemokratie einem Feinde gegenüber,
der nicht eher ruhen will, als bis das Deutsche Reich zermalmt ist. "Up Tid"
wirft ferner "Social-Demokraten" vor, daß er jede Sympathie für Deutschland
als Kriegspolitik bezeichnet.

Schon seit Beginn des Krieges eröffnete Christiernson von Helstngfors aus
einen lebhaften Preßfeldzug gegen Branting. Jetzt geht er so weit, dem Partei¬
leiter vorzuwerfen, daß ihm Deutschlands Zermalmung inniger am Herzen liegt,
als der Frieden.

Auf dem Grund tiefer historischer und volkswirtschaftlicher Kenntnisse haben
nun verschiedene Männer mit großer Schärfe in einem anonym erschienenen
Sammelwerk "Schwedens auswärtige Politik in der Beleuchtung des Welt¬
krieges" ihre Ansicht über Schwedens auswärtige Politik dargelegt und sich zu
der Strömung in Schweden, die ihr Heil von England erwartet und eine
"Neutralität um jeden Preis" wünscht, in schroffen Gegensatz gestellt. Politiker
und Fachleute auf den verschiedensten Gebieten, Angehörige des Militärs, National¬
ökonomen und Historiker sind an der Redaktion beteiligt. Die Lektüre des Sammel¬
werkes ist um so interessanter, als die Mitarbeiter allen Parteien angehören.
Alle Aufsätze des Buches durchzieht ein Grundgedanke: es gibt nur einen Feind
für Schweden -- Rußland; nur ein Weg kann Schweden aus der Gefahr, in der
es sich eben befindet, retten -- der offene Anschluß an Deutschland. Erst wenn
dieser vollzogen ist, hat das gemeinsame Wirken Skandinaviens, wovon sich jetzt
viele so unendlich viel versprechen, einen realpolitischen Hintergrund. Ehe
Schweden vom Skandinavismus spricht, muß es erst seine eigenen politischen
Probleme lösen können. Es muß sein jetziges Landgebiet sichern, sein ökonomisches
und politisches Selbstbestimmungsrecht bewahren, die schwedische Kultur in Finn-


Die „Aktivisten" und die Sozialdemokratie Schwedens

der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Nilsson in Kabbarp eine Beurteilung
der englischen Politik unter Eduard dem Siebenten. Nach seiner Auffassung tritt das
Ziel, Deutschland einzukreisen, klar zutage. Ihm ist der Standpunkt der Männer
unbegreiflich, die mehr Vertrauen zu der Politik der Entente haben, als zu der
Bethmann-Hollwegs. Die Revanchelust der Franzosen und ihr Bündnis mit
dem Zarentum sind nach seiner Ansicht die tiefen Ursachen des Weltkrieges.
Auch der Redakteur eines sozialdemokratischen Blattes in Mittelschweden,
„Smaländska Folkblad", versteht nicht, wie in vielen sozialdemokratischen
Blättern die Unterdrückung Finnlands vor dem Einfall in Belgien völlig in
den Hintergrund treten konnte. Kein denkender Mensch, meint er, wird sich
überzeugen lassen, daß die deutsche Barbarei russische Rohheit und Willkür
übertrifft. Nicht die Freiheit kämpft im Weltkrieg gegen die Gewaltherrschaft,
wie es manche Blätter darzustellen belieben, sondern mit dem halbastatischen
Rußland haben sich England und Frankreich gegen Deutschland verbündet. Der
sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete A. C. Lindblad, der Redakteur von
„Up Tid", betont dem preußischen Militarismus gegenüber nicht nur die russische
Willkürherrschaft, sondern auch den französischen und englischen Militarismus.
Er versteht die Haltung der deutschen Sozialdemokratie einem Feinde gegenüber,
der nicht eher ruhen will, als bis das Deutsche Reich zermalmt ist. „Up Tid"
wirft ferner „Social-Demokraten" vor, daß er jede Sympathie für Deutschland
als Kriegspolitik bezeichnet.

Schon seit Beginn des Krieges eröffnete Christiernson von Helstngfors aus
einen lebhaften Preßfeldzug gegen Branting. Jetzt geht er so weit, dem Partei¬
leiter vorzuwerfen, daß ihm Deutschlands Zermalmung inniger am Herzen liegt,
als der Frieden.

Auf dem Grund tiefer historischer und volkswirtschaftlicher Kenntnisse haben
nun verschiedene Männer mit großer Schärfe in einem anonym erschienenen
Sammelwerk „Schwedens auswärtige Politik in der Beleuchtung des Welt¬
krieges" ihre Ansicht über Schwedens auswärtige Politik dargelegt und sich zu
der Strömung in Schweden, die ihr Heil von England erwartet und eine
„Neutralität um jeden Preis" wünscht, in schroffen Gegensatz gestellt. Politiker
und Fachleute auf den verschiedensten Gebieten, Angehörige des Militärs, National¬
ökonomen und Historiker sind an der Redaktion beteiligt. Die Lektüre des Sammel¬
werkes ist um so interessanter, als die Mitarbeiter allen Parteien angehören.
Alle Aufsätze des Buches durchzieht ein Grundgedanke: es gibt nur einen Feind
für Schweden — Rußland; nur ein Weg kann Schweden aus der Gefahr, in der
es sich eben befindet, retten — der offene Anschluß an Deutschland. Erst wenn
dieser vollzogen ist, hat das gemeinsame Wirken Skandinaviens, wovon sich jetzt
viele so unendlich viel versprechen, einen realpolitischen Hintergrund. Ehe
Schweden vom Skandinavismus spricht, muß es erst seine eigenen politischen
Probleme lösen können. Es muß sein jetziges Landgebiet sichern, sein ökonomisches
und politisches Selbstbestimmungsrecht bewahren, die schwedische Kultur in Finn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/16>, abgerufen am 24.08.2024.