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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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VlaenäLi-en." die allein als starke Säulen das wuchtige Gebäude der Graf¬
schaft tragen wollten, als viertes Glied noch das Land oder Freiamt von Brügge
(dree Vr^e, le I^ne cZe LruZeL), hinzutrat, das der grausam engherzigen
Bevormundung überdrüssig war.

Die kirchliche Frage, welche damals die Gemüter leidenschaftlich erregte,
behandelte Philipp mit weiser Mäßigung. Da seine neue Untertanen zu dem
Papste in Rom hielten, übte er "Toleranz" und ließ sie, wenn auch selbst ein
Gefolgsmann des Papstes von Avignon, nach ihrer Art selig werden.

Ebenso heilet wie die Sache des Schisma war die Stellung zu England.
Droste Philipp mit Krieg, was die Flandrer arg verdroß, so geschah es vor
allem, um die Plantegenöts zum Aufgeben ihres Ränkespiels jenseits des Kanals
zu zwingen. Sobald sie die Hände von den Niederlanden ließen, schlug er
friedliche Bahnen ein und bemühte sich, einen Handelsvertrag zustande zu
bringen.

Die Erwerbung Flanderns, der Ausbau des Besitzes, genügten Philipp
nicht. Mit dem ruhigen, sichern Blick des Staatsmannes nahm er auch Er¬
weiterungspläne in Aussicht.

Als der französische Prinz in Flandern einzog, herrschte in den Graf¬
schaften Holland und Seeland, welche in Personalunion mit dem Hennegau
standen, ein Zweig des Hauses Wittelsbach. Der Erbe und zukünftige Herrscher
sollte mit einer englischen Prinzessin vermählt werden. Doch wiederum störte
Philipp das rastlose Spiel der englischen Diplomatie. Kein PlantegenSt, Mann
oder Frau, sollte ihm in die Niederlande kommen! Sein eigenes Kind, die
Tochter Margarethe, vermählte er dem Grafen Wilhelm.*) Gleichzeitig reichte
sein ältester Sohn, Graf Johann von Revers, des Grafen Schwester die Hand
(1385).

Mit dieser Doppelheirat wurden bedeutsame Erbansprüche auf die Nachbar¬
lande erworben.

Wie bei feiner eigenen Verbindung eine französische Prinzessin, die Gräfin-
Mutter von Flandern, für den französischen Prinzen gearbeitet hatte, so auch
hier. Johanna von Brabant. durch ihre Mutter den Valois nahe verwandt,
führte die Annäherung der Häuser Burgund und Wittelsbach herbei.

Wie geschickt verstand es Frankreich allerwärts in den Grenzlanden, in
dem alten I?enlum I^otliani., Beziehungen anzuknüpfen, dynastische H-iraten
ZU schließen; Jahresgehälter an die kleinen geldknappen, aber lebenslustigen
Fürsten selbst und auch deren vertrauten Räten freigebig zu zahlen; Künstler,
Maler und Bildhauer, Sänger und Musiker ausschwärmen zu lassen als Lock¬
vögel, als Vorbilder feiner, eleganter Art und Sitte; diplomatisch einzugreifen,
nötigenfalls auch Waffengewalt zur Verfügung zu stellen. Dreimal zog König
Karl VI. für den Oheim, für Philipp den Kühnen, nach FlandernI



*) Wilhelm VI. als Graf von Holland und Seeland, Wilhelm IV. als Graf von
Hennezau 1404-14!.?,

VlaenäLi-en." die allein als starke Säulen das wuchtige Gebäude der Graf¬
schaft tragen wollten, als viertes Glied noch das Land oder Freiamt von Brügge
(dree Vr^e, le I^ne cZe LruZeL), hinzutrat, das der grausam engherzigen
Bevormundung überdrüssig war.

Die kirchliche Frage, welche damals die Gemüter leidenschaftlich erregte,
behandelte Philipp mit weiser Mäßigung. Da seine neue Untertanen zu dem
Papste in Rom hielten, übte er „Toleranz" und ließ sie, wenn auch selbst ein
Gefolgsmann des Papstes von Avignon, nach ihrer Art selig werden.

Ebenso heilet wie die Sache des Schisma war die Stellung zu England.
Droste Philipp mit Krieg, was die Flandrer arg verdroß, so geschah es vor
allem, um die Plantegenöts zum Aufgeben ihres Ränkespiels jenseits des Kanals
zu zwingen. Sobald sie die Hände von den Niederlanden ließen, schlug er
friedliche Bahnen ein und bemühte sich, einen Handelsvertrag zustande zu
bringen.

Die Erwerbung Flanderns, der Ausbau des Besitzes, genügten Philipp
nicht. Mit dem ruhigen, sichern Blick des Staatsmannes nahm er auch Er¬
weiterungspläne in Aussicht.

Als der französische Prinz in Flandern einzog, herrschte in den Graf¬
schaften Holland und Seeland, welche in Personalunion mit dem Hennegau
standen, ein Zweig des Hauses Wittelsbach. Der Erbe und zukünftige Herrscher
sollte mit einer englischen Prinzessin vermählt werden. Doch wiederum störte
Philipp das rastlose Spiel der englischen Diplomatie. Kein PlantegenSt, Mann
oder Frau, sollte ihm in die Niederlande kommen! Sein eigenes Kind, die
Tochter Margarethe, vermählte er dem Grafen Wilhelm.*) Gleichzeitig reichte
sein ältester Sohn, Graf Johann von Revers, des Grafen Schwester die Hand
(1385).

Mit dieser Doppelheirat wurden bedeutsame Erbansprüche auf die Nachbar¬
lande erworben.

Wie bei feiner eigenen Verbindung eine französische Prinzessin, die Gräfin-
Mutter von Flandern, für den französischen Prinzen gearbeitet hatte, so auch
hier. Johanna von Brabant. durch ihre Mutter den Valois nahe verwandt,
führte die Annäherung der Häuser Burgund und Wittelsbach herbei.

Wie geschickt verstand es Frankreich allerwärts in den Grenzlanden, in
dem alten I?enlum I^otliani., Beziehungen anzuknüpfen, dynastische H-iraten
ZU schließen; Jahresgehälter an die kleinen geldknappen, aber lebenslustigen
Fürsten selbst und auch deren vertrauten Räten freigebig zu zahlen; Künstler,
Maler und Bildhauer, Sänger und Musiker ausschwärmen zu lassen als Lock¬
vögel, als Vorbilder feiner, eleganter Art und Sitte; diplomatisch einzugreifen,
nötigenfalls auch Waffengewalt zur Verfügung zu stellen. Dreimal zog König
Karl VI. für den Oheim, für Philipp den Kühnen, nach FlandernI



*) Wilhelm VI. als Graf von Holland und Seeland, Wilhelm IV. als Graf von
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/151>, abgerufen am 24.08.2024.