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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Johanna von Brabant begnügte sich uicht mit der einmaligen Unterstützung
des Grafen-Herzogs. Die alternde Fürstin, die ihrerseits den tapferen Kämpen
gegen die herandrängenden Nachbarn nötig hatte, bestimmte die Herzogtümer
Brabant und Limburg zu einer burgundischen LeKunäoMmtur und erhob
Philipps zweiten Sohn Anton zu ihrem Erben. Die Stände gingen zunächst
nur zögernd darauf ein. Aber die Hoffnung, bei dieser Gelegenheit Gebiet zu
gewinnen, die Aussicht, den jüngeren Sprossen des aufblühenden Geschlechts
als selbständigen Herrn zu erhalten, der womöglich mit französischer Hilfe
lustiges Eingreifen des deutschen Lehnsherrn zurückweisen konnte, ließen schlie߬
lich jeden Widerstand verstummen.

Damit tritt die flandrische Frage in eine neue Phase ein. Sie erweiter
sich, sie wird zur flandrisch-brabantischen Frage. Zugleich ändert sie ihr Wesen.
Das französisch-englische Problem wird zu einem französisch-englisch-deutschen
Problem. Philipp der Kühne, der hier als Frankreichs Vertreter auftritt, muß
nicht mehr attend mit England, sondern auch noch mit Deutschland rechne".

Philipp wurde allerdings nicht erst durch die Bmbanter Sache in die
deutsche Interessensphäre eingeführt. Er war bereits als Herr von Reichs¬
flandern und der Freigrafschaft deutscher Lehnsmann. Er hatte sich aber, wie
es scheint, um Deutschland gar nicht gekümmert und sich nicht zu kümmern
brauchen. Die Gleichgültigkeit des deutsche!! Machthabers forderte zu neuen
Unternehmungen auf, zur Gewinnung der rechtsscheldischen. Gebiete mit ihrer
blühendeir Industrie und Landwirtschaft, mit ihren reichen Gruben und Lagern,
mit der großen Viehzucht, mit den prächtigen Waluungeu von Soignies.
Brabant und Limburg führten schon des Längerer ein politisches Sonder-
duseiu; es gehörte gar kein unerhört kühnes Wünschen dazu, sich diese Stief¬
kinder des Deutschen Reiches anzueignen. Sache des deutschen Königs war
es, die deutschen Rechte wahrzunehmen. Tut er es nicht, warum sollte der
französische Prinz ihr Hüter sein?

Welch ein Glück für den machtvoll aufwärts strebenden Grafen-Herzog,
daß damals König Wenzel regierte! Schon im Anfang seiner Negierung hatte
er es nicht vermocht, die Autorität des Königs zur Geltung zu bringen;
später verfiel er mehr und mehr in unwürdige Schwäche und Untätigkeit.

Was charakterisiert den Luxemburger besser als seine Unfähigkeit, mit starker
Hand in die Kämpfe des Schisma, in den schmachvollen Streit der Päpste
von Rom und Aoigno" einzugreifen? Sicherlich, die Zeiten waren vorbei,
da ein gehorsamgebietendes Imperium auch Rom sein Gesetz auferlegte; die
Zeiten eines Karls des Großen und Ottos des Großen, eines Heinrichs III. und
Friedrichs Barbarossa waren für immer dahin! Aber trotzdem hätte der
deutsche König in der europäischen Politik ein gewichtiges Wort mitzusprechen
'vermocht, der Kirche Ruhe und Frieden schenken können, wenn nur ein Mann
die Krone getragen hätte, wie ihn die Stunde erheischte.


Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Johanna von Brabant begnügte sich uicht mit der einmaligen Unterstützung
des Grafen-Herzogs. Die alternde Fürstin, die ihrerseits den tapferen Kämpen
gegen die herandrängenden Nachbarn nötig hatte, bestimmte die Herzogtümer
Brabant und Limburg zu einer burgundischen LeKunäoMmtur und erhob
Philipps zweiten Sohn Anton zu ihrem Erben. Die Stände gingen zunächst
nur zögernd darauf ein. Aber die Hoffnung, bei dieser Gelegenheit Gebiet zu
gewinnen, die Aussicht, den jüngeren Sprossen des aufblühenden Geschlechts
als selbständigen Herrn zu erhalten, der womöglich mit französischer Hilfe
lustiges Eingreifen des deutschen Lehnsherrn zurückweisen konnte, ließen schlie߬
lich jeden Widerstand verstummen.

Damit tritt die flandrische Frage in eine neue Phase ein. Sie erweiter
sich, sie wird zur flandrisch-brabantischen Frage. Zugleich ändert sie ihr Wesen.
Das französisch-englische Problem wird zu einem französisch-englisch-deutschen
Problem. Philipp der Kühne, der hier als Frankreichs Vertreter auftritt, muß
nicht mehr attend mit England, sondern auch noch mit Deutschland rechne».

Philipp wurde allerdings nicht erst durch die Bmbanter Sache in die
deutsche Interessensphäre eingeführt. Er war bereits als Herr von Reichs¬
flandern und der Freigrafschaft deutscher Lehnsmann. Er hatte sich aber, wie
es scheint, um Deutschland gar nicht gekümmert und sich nicht zu kümmern
brauchen. Die Gleichgültigkeit des deutsche!! Machthabers forderte zu neuen
Unternehmungen auf, zur Gewinnung der rechtsscheldischen. Gebiete mit ihrer
blühendeir Industrie und Landwirtschaft, mit ihren reichen Gruben und Lagern,
mit der großen Viehzucht, mit den prächtigen Waluungeu von Soignies.
Brabant und Limburg führten schon des Längerer ein politisches Sonder-
duseiu; es gehörte gar kein unerhört kühnes Wünschen dazu, sich diese Stief¬
kinder des Deutschen Reiches anzueignen. Sache des deutschen Königs war
es, die deutschen Rechte wahrzunehmen. Tut er es nicht, warum sollte der
französische Prinz ihr Hüter sein?

Welch ein Glück für den machtvoll aufwärts strebenden Grafen-Herzog,
daß damals König Wenzel regierte! Schon im Anfang seiner Negierung hatte
er es nicht vermocht, die Autorität des Königs zur Geltung zu bringen;
später verfiel er mehr und mehr in unwürdige Schwäche und Untätigkeit.

Was charakterisiert den Luxemburger besser als seine Unfähigkeit, mit starker
Hand in die Kämpfe des Schisma, in den schmachvollen Streit der Päpste
von Rom und Aoigno» einzugreifen? Sicherlich, die Zeiten waren vorbei,
da ein gehorsamgebietendes Imperium auch Rom sein Gesetz auferlegte; die
Zeiten eines Karls des Großen und Ottos des Großen, eines Heinrichs III. und
Friedrichs Barbarossa waren für immer dahin! Aber trotzdem hätte der
deutsche König in der europäischen Politik ein gewichtiges Wort mitzusprechen
'vermocht, der Kirche Ruhe und Frieden schenken können, wenn nur ein Mann
die Krone getragen hätte, wie ihn die Stunde erheischte.


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[0152] Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor Johanna von Brabant begnügte sich uicht mit der einmaligen Unterstützung des Grafen-Herzogs. Die alternde Fürstin, die ihrerseits den tapferen Kämpen gegen die herandrängenden Nachbarn nötig hatte, bestimmte die Herzogtümer Brabant und Limburg zu einer burgundischen LeKunäoMmtur und erhob Philipps zweiten Sohn Anton zu ihrem Erben. Die Stände gingen zunächst nur zögernd darauf ein. Aber die Hoffnung, bei dieser Gelegenheit Gebiet zu gewinnen, die Aussicht, den jüngeren Sprossen des aufblühenden Geschlechts als selbständigen Herrn zu erhalten, der womöglich mit französischer Hilfe lustiges Eingreifen des deutschen Lehnsherrn zurückweisen konnte, ließen schlie߬ lich jeden Widerstand verstummen. Damit tritt die flandrische Frage in eine neue Phase ein. Sie erweiter sich, sie wird zur flandrisch-brabantischen Frage. Zugleich ändert sie ihr Wesen. Das französisch-englische Problem wird zu einem französisch-englisch-deutschen Problem. Philipp der Kühne, der hier als Frankreichs Vertreter auftritt, muß nicht mehr attend mit England, sondern auch noch mit Deutschland rechne». Philipp wurde allerdings nicht erst durch die Bmbanter Sache in die deutsche Interessensphäre eingeführt. Er war bereits als Herr von Reichs¬ flandern und der Freigrafschaft deutscher Lehnsmann. Er hatte sich aber, wie es scheint, um Deutschland gar nicht gekümmert und sich nicht zu kümmern brauchen. Die Gleichgültigkeit des deutsche!! Machthabers forderte zu neuen Unternehmungen auf, zur Gewinnung der rechtsscheldischen. Gebiete mit ihrer blühendeir Industrie und Landwirtschaft, mit ihren reichen Gruben und Lagern, mit der großen Viehzucht, mit den prächtigen Waluungeu von Soignies. Brabant und Limburg führten schon des Längerer ein politisches Sonder- duseiu; es gehörte gar kein unerhört kühnes Wünschen dazu, sich diese Stief¬ kinder des Deutschen Reiches anzueignen. Sache des deutschen Königs war es, die deutschen Rechte wahrzunehmen. Tut er es nicht, warum sollte der französische Prinz ihr Hüter sein? Welch ein Glück für den machtvoll aufwärts strebenden Grafen-Herzog, daß damals König Wenzel regierte! Schon im Anfang seiner Negierung hatte er es nicht vermocht, die Autorität des Königs zur Geltung zu bringen; später verfiel er mehr und mehr in unwürdige Schwäche und Untätigkeit. Was charakterisiert den Luxemburger besser als seine Unfähigkeit, mit starker Hand in die Kämpfe des Schisma, in den schmachvollen Streit der Päpste von Rom und Aoigno» einzugreifen? Sicherlich, die Zeiten waren vorbei, da ein gehorsamgebietendes Imperium auch Rom sein Gesetz auferlegte; die Zeiten eines Karls des Großen und Ottos des Großen, eines Heinrichs III. und Friedrichs Barbarossa waren für immer dahin! Aber trotzdem hätte der deutsche König in der europäischen Politik ein gewichtiges Wort mitzusprechen 'vermocht, der Kirche Ruhe und Frieden schenken können, wenn nur ein Mann die Krone getragen hätte, wie ihn die Stunde erheischte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/152>, abgerufen am 24.08.2024.