Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
lvie das deutsche Reich die Niederlande verlor

zeitigen. Allerdings erfreuten sich die "Geschwänzter"") auch in Flandern
keiner besonderen Beliebtheit. Aber persönliche Sympathien und Antipathien
hatten zu schweigen. Den Ausschlag gab bloß eine rücksichtslose Wahrnehmung
der eigenen Interessen, über die sogar die Engländer baß erstaunten. So kam
der Ehevertrag schließlich zustande.

Eine englische 3sIcunclc>Mil!tur im nordöstlichen Frankreich! Was für
eine unheilschwangere Wolke zog sich über der Monarchie der Kapetinger
zusammen I Auf keinen Fall durften die Engländer nach Flandern, wollte
nicht Frankreich den Atem ganz verlieren! Alle Künste der Diplomatie wandte
König Karl der Fünfte an und setzte es mit Hilfe des Frankreich ergebenen
Papstes von Avignon durch, daß der englische Kandidat ans dem Felde
geschlagen wurde und ein Lilienprinz, sein eigener jüngerer Bruder, Herzog
Philipp von Burgund (Bourgogne), Gemahl der Erbtochter und damit zu¬
künftiger Herr von Flandern und der anderen Gebiete wurde.

König Karl der Fünfte tat, was im Augenblick das Gegebene war. Er
konnte nicht ahnen, in welche Drangsal die Herzöge Grafen anch Frankreich einmal
bringen würden. Im Gegensatz zu manchen seiner Vorgänger, zu Philipp dem
Schönen und anderen, bemühte er sich, darin ähnlich Ludwig dem Heiligen,
die flandrische Frage auf friedlichem Wege zu lösen. An dem Prinzen von
Geblüt lag es, Flandern völlig zu Frankreich hinüber zu ziehen, alle englischen
Neigungen zu unterdrücken.

Als im Jahre 1369 die Hochzeitsglocten zu Ehren von Philipp und
Margarethe in Gent erschollen, prangte Flandern in schönster Blüte. Durch
eisernen Fleiß bezwangen die Einwohner die spröde Natur des Landes. Sie
entrissen dem Meere die Potter und schützten sie durch die festen Dumme, die
schon Dantes Hölle verherrlicht. Sie veränderten den Lauf der Flüsse, vertieften
und erweiterten ihr Bett und verwandelten die Heide in fruchtbaren Acker, in
fette Wiesen und Weiden.

Aus der reichen Zahl der Städte ragten Gent. Brügge, Upsrn, "as 6rie
lecken van Vlcmäeren" (I^es trois membres 6s I"I-uir!re) hervor. Sie sehen
sich dank ihrer Stärke und Macht als Vertretung des ganzen Landes an. Sie
verhandeln -- ohne irgendwie dazu berechtigt zu sein --, im Namen aller
mit dem Grafen, ja auch über seinen Kopf hinweg mit dessen Lehnsherrn und
mit dem König von England. Der gesetzmäßigen Gewalt stellten sie die tat¬
sächliche entgegen. Sie sind ständig in Kampfesstellung, bald offen, bald heim¬
lich. Der Graf hätte auf die Dauer sich nicht behaupten können, wenn nicht
kleinliche Eifersucht und die Verschiedenheit einzelner Interessen häufig die drei
Lebe zur Uneinigkeit geführt hätten.



*) Der im Mittelalter weit verbreitete Spottname "Lauäati" (worauf das französische
oouÄi'ä, das englische covsrc! zurückgeht) wird in einer Legende so erklärt, daß zur Strafe
ur die Verspottung eines Heiligen in einem englischen Dorf dessen Einwohner fortab mit
einem Schwänzchen zur Welt kamen.
lvie das deutsche Reich die Niederlande verlor

zeitigen. Allerdings erfreuten sich die „Geschwänzter"") auch in Flandern
keiner besonderen Beliebtheit. Aber persönliche Sympathien und Antipathien
hatten zu schweigen. Den Ausschlag gab bloß eine rücksichtslose Wahrnehmung
der eigenen Interessen, über die sogar die Engländer baß erstaunten. So kam
der Ehevertrag schließlich zustande.

Eine englische 3sIcunclc>Mil!tur im nordöstlichen Frankreich! Was für
eine unheilschwangere Wolke zog sich über der Monarchie der Kapetinger
zusammen I Auf keinen Fall durften die Engländer nach Flandern, wollte
nicht Frankreich den Atem ganz verlieren! Alle Künste der Diplomatie wandte
König Karl der Fünfte an und setzte es mit Hilfe des Frankreich ergebenen
Papstes von Avignon durch, daß der englische Kandidat ans dem Felde
geschlagen wurde und ein Lilienprinz, sein eigener jüngerer Bruder, Herzog
Philipp von Burgund (Bourgogne), Gemahl der Erbtochter und damit zu¬
künftiger Herr von Flandern und der anderen Gebiete wurde.

König Karl der Fünfte tat, was im Augenblick das Gegebene war. Er
konnte nicht ahnen, in welche Drangsal die Herzöge Grafen anch Frankreich einmal
bringen würden. Im Gegensatz zu manchen seiner Vorgänger, zu Philipp dem
Schönen und anderen, bemühte er sich, darin ähnlich Ludwig dem Heiligen,
die flandrische Frage auf friedlichem Wege zu lösen. An dem Prinzen von
Geblüt lag es, Flandern völlig zu Frankreich hinüber zu ziehen, alle englischen
Neigungen zu unterdrücken.

Als im Jahre 1369 die Hochzeitsglocten zu Ehren von Philipp und
Margarethe in Gent erschollen, prangte Flandern in schönster Blüte. Durch
eisernen Fleiß bezwangen die Einwohner die spröde Natur des Landes. Sie
entrissen dem Meere die Potter und schützten sie durch die festen Dumme, die
schon Dantes Hölle verherrlicht. Sie veränderten den Lauf der Flüsse, vertieften
und erweiterten ihr Bett und verwandelten die Heide in fruchtbaren Acker, in
fette Wiesen und Weiden.

Aus der reichen Zahl der Städte ragten Gent. Brügge, Upsrn, „as 6rie
lecken van Vlcmäeren" (I^es trois membres 6s I"I-uir!re) hervor. Sie sehen
sich dank ihrer Stärke und Macht als Vertretung des ganzen Landes an. Sie
verhandeln — ohne irgendwie dazu berechtigt zu sein —, im Namen aller
mit dem Grafen, ja auch über seinen Kopf hinweg mit dessen Lehnsherrn und
mit dem König von England. Der gesetzmäßigen Gewalt stellten sie die tat¬
sächliche entgegen. Sie sind ständig in Kampfesstellung, bald offen, bald heim¬
lich. Der Graf hätte auf die Dauer sich nicht behaupten können, wenn nicht
kleinliche Eifersucht und die Verschiedenheit einzelner Interessen häufig die drei
Lebe zur Uneinigkeit geführt hätten.



*) Der im Mittelalter weit verbreitete Spottname „Lauäati" (worauf das französische
oouÄi'ä, das englische covsrc! zurückgeht) wird in einer Legende so erklärt, daß zur Strafe
ur die Verspottung eines Heiligen in einem englischen Dorf dessen Einwohner fortab mit
einem Schwänzchen zur Welt kamen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324557"/>
          <fw type="header" place="top"> lvie das deutsche Reich die Niederlande verlor</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_484" prev="#ID_483"> zeitigen. Allerdings erfreuten sich die &#x201E;Geschwänzter"") auch in Flandern<lb/>
keiner besonderen Beliebtheit. Aber persönliche Sympathien und Antipathien<lb/>
hatten zu schweigen. Den Ausschlag gab bloß eine rücksichtslose Wahrnehmung<lb/>
der eigenen Interessen, über die sogar die Engländer baß erstaunten. So kam<lb/>
der Ehevertrag schließlich zustande.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_485"> Eine englische 3sIcunclc&gt;Mil!tur im nordöstlichen Frankreich! Was für<lb/>
eine unheilschwangere Wolke zog sich über der Monarchie der Kapetinger<lb/>
zusammen I Auf keinen Fall durften die Engländer nach Flandern, wollte<lb/>
nicht Frankreich den Atem ganz verlieren! Alle Künste der Diplomatie wandte<lb/>
König Karl der Fünfte an und setzte es mit Hilfe des Frankreich ergebenen<lb/>
Papstes von Avignon durch, daß der englische Kandidat ans dem Felde<lb/>
geschlagen wurde und ein Lilienprinz, sein eigener jüngerer Bruder, Herzog<lb/>
Philipp von Burgund (Bourgogne), Gemahl der Erbtochter und damit zu¬<lb/>
künftiger Herr von Flandern und der anderen Gebiete wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_486"> König Karl der Fünfte tat, was im Augenblick das Gegebene war. Er<lb/>
konnte nicht ahnen, in welche Drangsal die Herzöge Grafen anch Frankreich einmal<lb/>
bringen würden. Im Gegensatz zu manchen seiner Vorgänger, zu Philipp dem<lb/>
Schönen und anderen, bemühte er sich, darin ähnlich Ludwig dem Heiligen,<lb/>
die flandrische Frage auf friedlichem Wege zu lösen. An dem Prinzen von<lb/>
Geblüt lag es, Flandern völlig zu Frankreich hinüber zu ziehen, alle englischen<lb/>
Neigungen zu unterdrücken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_487"> Als im Jahre 1369 die Hochzeitsglocten zu Ehren von Philipp und<lb/>
Margarethe in Gent erschollen, prangte Flandern in schönster Blüte. Durch<lb/>
eisernen Fleiß bezwangen die Einwohner die spröde Natur des Landes. Sie<lb/>
entrissen dem Meere die Potter und schützten sie durch die festen Dumme, die<lb/>
schon Dantes Hölle verherrlicht. Sie veränderten den Lauf der Flüsse, vertieften<lb/>
und erweiterten ihr Bett und verwandelten die Heide in fruchtbaren Acker, in<lb/>
fette Wiesen und Weiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_488"> Aus der reichen Zahl der Städte ragten Gent. Brügge, Upsrn, &#x201E;as 6rie<lb/>
lecken van Vlcmäeren" (I^es trois membres 6s I"I-uir!re) hervor. Sie sehen<lb/>
sich dank ihrer Stärke und Macht als Vertretung des ganzen Landes an. Sie<lb/>
verhandeln &#x2014; ohne irgendwie dazu berechtigt zu sein &#x2014;, im Namen aller<lb/>
mit dem Grafen, ja auch über seinen Kopf hinweg mit dessen Lehnsherrn und<lb/>
mit dem König von England. Der gesetzmäßigen Gewalt stellten sie die tat¬<lb/>
sächliche entgegen. Sie sind ständig in Kampfesstellung, bald offen, bald heim¬<lb/>
lich. Der Graf hätte auf die Dauer sich nicht behaupten können, wenn nicht<lb/>
kleinliche Eifersucht und die Verschiedenheit einzelner Interessen häufig die drei<lb/>
Lebe zur Uneinigkeit geführt hätten.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_51" place="foot"> *) Der im Mittelalter weit verbreitete Spottname &#x201E;Lauäati" (worauf das französische<lb/>
oouÄi'ä, das englische covsrc! zurückgeht) wird in einer Legende so erklärt, daß zur Strafe<lb/>
ur die Verspottung eines Heiligen in einem englischen Dorf dessen Einwohner fortab mit<lb/>
einem Schwänzchen zur Welt kamen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0148] lvie das deutsche Reich die Niederlande verlor zeitigen. Allerdings erfreuten sich die „Geschwänzter"") auch in Flandern keiner besonderen Beliebtheit. Aber persönliche Sympathien und Antipathien hatten zu schweigen. Den Ausschlag gab bloß eine rücksichtslose Wahrnehmung der eigenen Interessen, über die sogar die Engländer baß erstaunten. So kam der Ehevertrag schließlich zustande. Eine englische 3sIcunclc>Mil!tur im nordöstlichen Frankreich! Was für eine unheilschwangere Wolke zog sich über der Monarchie der Kapetinger zusammen I Auf keinen Fall durften die Engländer nach Flandern, wollte nicht Frankreich den Atem ganz verlieren! Alle Künste der Diplomatie wandte König Karl der Fünfte an und setzte es mit Hilfe des Frankreich ergebenen Papstes von Avignon durch, daß der englische Kandidat ans dem Felde geschlagen wurde und ein Lilienprinz, sein eigener jüngerer Bruder, Herzog Philipp von Burgund (Bourgogne), Gemahl der Erbtochter und damit zu¬ künftiger Herr von Flandern und der anderen Gebiete wurde. König Karl der Fünfte tat, was im Augenblick das Gegebene war. Er konnte nicht ahnen, in welche Drangsal die Herzöge Grafen anch Frankreich einmal bringen würden. Im Gegensatz zu manchen seiner Vorgänger, zu Philipp dem Schönen und anderen, bemühte er sich, darin ähnlich Ludwig dem Heiligen, die flandrische Frage auf friedlichem Wege zu lösen. An dem Prinzen von Geblüt lag es, Flandern völlig zu Frankreich hinüber zu ziehen, alle englischen Neigungen zu unterdrücken. Als im Jahre 1369 die Hochzeitsglocten zu Ehren von Philipp und Margarethe in Gent erschollen, prangte Flandern in schönster Blüte. Durch eisernen Fleiß bezwangen die Einwohner die spröde Natur des Landes. Sie entrissen dem Meere die Potter und schützten sie durch die festen Dumme, die schon Dantes Hölle verherrlicht. Sie veränderten den Lauf der Flüsse, vertieften und erweiterten ihr Bett und verwandelten die Heide in fruchtbaren Acker, in fette Wiesen und Weiden. Aus der reichen Zahl der Städte ragten Gent. Brügge, Upsrn, „as 6rie lecken van Vlcmäeren" (I^es trois membres 6s I"I-uir!re) hervor. Sie sehen sich dank ihrer Stärke und Macht als Vertretung des ganzen Landes an. Sie verhandeln — ohne irgendwie dazu berechtigt zu sein —, im Namen aller mit dem Grafen, ja auch über seinen Kopf hinweg mit dessen Lehnsherrn und mit dem König von England. Der gesetzmäßigen Gewalt stellten sie die tat¬ sächliche entgegen. Sie sind ständig in Kampfesstellung, bald offen, bald heim¬ lich. Der Graf hätte auf die Dauer sich nicht behaupten können, wenn nicht kleinliche Eifersucht und die Verschiedenheit einzelner Interessen häufig die drei Lebe zur Uneinigkeit geführt hätten. *) Der im Mittelalter weit verbreitete Spottname „Lauäati" (worauf das französische oouÄi'ä, das englische covsrc! zurückgeht) wird in einer Legende so erklärt, daß zur Strafe ur die Verspottung eines Heiligen in einem englischen Dorf dessen Einwohner fortab mit einem Schwänzchen zur Welt kamen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/148
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/148>, abgerufen am 22.07.2024.