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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die kommende Wohnungsnot

lich hier nicht werden, daß in der Regelung des Bebauungsplanes, sowie in einer
Fluchtliniengesetzgebung ein wesentliches Moment zu einer Bekämpfung der
Bodenspekulation liegt. Was aber wird diese schwache Handhabe gegen
den Ansturm des Kapitalwillens bewirken? Macht man die Handhaben
wehrhaft, dann ist der Erfolg unter Umständen eine allgemeine Abschreckung
des Kapitals mit dem Erfolge, daß garnicht gebaut wird. Auf das kommunale
Radikalmittel der Niederlegung alter Massenquartiere zwecks Aufbau neuer, ge¬
sunder Wohnungen ist nicht selten so geantwortet worden. Die Gesetzes¬
begründung sprach wiederholt von den zu beseitigenden "ernsten Mißständen,"
stellte dem aber um so eifriger entgegen, daß indessen "große Mittel" zur Ab¬
wehr hier nicht am Platze wären. Wie will man es ermöglichen, Großes mit
Geringen erfolgreich zu bekämpfen?! Gewiß, das Gesetz ist noch nicht zum
Abschlüsse gelangt und der jetzt bestehende Übelstand, welcher bedauerlich schnell
zu einer Notlage ausarten kann, wird auf seine Gestaltung aller Wahrschein¬
lichkeit nach einwirken. Jedoch selbst wenn uns das Wohnungsgcsetz fühl¬
bare Besserungen bringen sollte, so haben wir doch erst eine Besserung für
Preußen und keine Reichswohnungsreform. In Hessen bleibt das Gesetz von
1883. in Elsaß-Lothringen ein solches von 1850, in Baden jenes von 1907,
in Württemberg das von 1901 und 1907, während sich in Hamburg die
Wohnungsfragen nach dem Gesetz von 1898 und 1907 richten; und keinem
dieser Gesetze ist es gelungen, eine nennenswerte Besserung herbeizuführen. Mit der
Wohnungsaufsicht, -- so dankenswert diese Einrichtung an sich ist, -- den Wohnungs-
kommMonen, den Wohnungsausschüssen und der polizeilichen Regelung sind zwar
Härten zu beseitigen, das fressende Grundübel aber bleibt unberührt be¬
stehen! Bodenspekulation und Bodenwucher treiben weiter ihr üppiges Dasein,
die sprichwörtige Not der zweiten Hypotheck wird nicht behoben. Ohne
ein wirksames Eingreifen zugunsten der zweiten Hypothek, eine Wandlung
der gesamten Realkreditfrage für das Bauwesen, werden wir dem herrschenden
Mangel an Kleinwohnungen nicht abhelfen. Nach einer Schätzung des Justiz¬
rates Dr. F. Meyer in Frankfurt a. M. beträgt der Hypothekenkredit für
zweite Hypotheken für den deutschen Wohnungsmarkt jährlich achthundert
Millionen Mark, und wahrscheinlich noch mehr! (Er berechnet die Zahlen nach
der amtlichen Statistik des Jahres 1808.) Mit diesen Werten muß gerechnet werden.

Die unendlich schwierige Frage der zweiten Hypothek ist vor dem Kriegs-
beginne so vielfach Gegenstand der allgemeinen Erörterung gewesen, daß es
sich erübrigt, noch einmal näher darauf einzugehen. Es mag nur darauf
hingewiesen werden, daß anlässig des Hessischen Städtetags, im Juli
1914, erneut betont wurde, daß die Beschaffung der zweiten Hypothek
sehr erleichert würde, wenn bei einer Amortisationshypothek zur ersten Stelle
der Eigentümer nur im Einverständnis mit den Nachgläubigern über die
Amortisationsquoten verfügen dürfte bezw. wenn der angesammelte Betrag zur
Verbesserung der zweiten Hypothek verwendet werden würde. (Vergleiche.


Die kommende Wohnungsnot

lich hier nicht werden, daß in der Regelung des Bebauungsplanes, sowie in einer
Fluchtliniengesetzgebung ein wesentliches Moment zu einer Bekämpfung der
Bodenspekulation liegt. Was aber wird diese schwache Handhabe gegen
den Ansturm des Kapitalwillens bewirken? Macht man die Handhaben
wehrhaft, dann ist der Erfolg unter Umständen eine allgemeine Abschreckung
des Kapitals mit dem Erfolge, daß garnicht gebaut wird. Auf das kommunale
Radikalmittel der Niederlegung alter Massenquartiere zwecks Aufbau neuer, ge¬
sunder Wohnungen ist nicht selten so geantwortet worden. Die Gesetzes¬
begründung sprach wiederholt von den zu beseitigenden „ernsten Mißständen,"
stellte dem aber um so eifriger entgegen, daß indessen „große Mittel" zur Ab¬
wehr hier nicht am Platze wären. Wie will man es ermöglichen, Großes mit
Geringen erfolgreich zu bekämpfen?! Gewiß, das Gesetz ist noch nicht zum
Abschlüsse gelangt und der jetzt bestehende Übelstand, welcher bedauerlich schnell
zu einer Notlage ausarten kann, wird auf seine Gestaltung aller Wahrschein¬
lichkeit nach einwirken. Jedoch selbst wenn uns das Wohnungsgcsetz fühl¬
bare Besserungen bringen sollte, so haben wir doch erst eine Besserung für
Preußen und keine Reichswohnungsreform. In Hessen bleibt das Gesetz von
1883. in Elsaß-Lothringen ein solches von 1850, in Baden jenes von 1907,
in Württemberg das von 1901 und 1907, während sich in Hamburg die
Wohnungsfragen nach dem Gesetz von 1898 und 1907 richten; und keinem
dieser Gesetze ist es gelungen, eine nennenswerte Besserung herbeizuführen. Mit der
Wohnungsaufsicht, — so dankenswert diese Einrichtung an sich ist, — den Wohnungs-
kommMonen, den Wohnungsausschüssen und der polizeilichen Regelung sind zwar
Härten zu beseitigen, das fressende Grundübel aber bleibt unberührt be¬
stehen! Bodenspekulation und Bodenwucher treiben weiter ihr üppiges Dasein,
die sprichwörtige Not der zweiten Hypotheck wird nicht behoben. Ohne
ein wirksames Eingreifen zugunsten der zweiten Hypothek, eine Wandlung
der gesamten Realkreditfrage für das Bauwesen, werden wir dem herrschenden
Mangel an Kleinwohnungen nicht abhelfen. Nach einer Schätzung des Justiz¬
rates Dr. F. Meyer in Frankfurt a. M. beträgt der Hypothekenkredit für
zweite Hypotheken für den deutschen Wohnungsmarkt jährlich achthundert
Millionen Mark, und wahrscheinlich noch mehr! (Er berechnet die Zahlen nach
der amtlichen Statistik des Jahres 1808.) Mit diesen Werten muß gerechnet werden.

Die unendlich schwierige Frage der zweiten Hypothek ist vor dem Kriegs-
beginne so vielfach Gegenstand der allgemeinen Erörterung gewesen, daß es
sich erübrigt, noch einmal näher darauf einzugehen. Es mag nur darauf
hingewiesen werden, daß anlässig des Hessischen Städtetags, im Juli
1914, erneut betont wurde, daß die Beschaffung der zweiten Hypothek
sehr erleichert würde, wenn bei einer Amortisationshypothek zur ersten Stelle
der Eigentümer nur im Einverständnis mit den Nachgläubigern über die
Amortisationsquoten verfügen dürfte bezw. wenn der angesammelte Betrag zur
Verbesserung der zweiten Hypothek verwendet werden würde. (Vergleiche.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/128>, abgerufen am 30.12.2024.