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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die kommende Wohnungsnot

gerufenen augenblicklichen Notlagen innerhalb des Wohnungswesens werden
demzufolge durch das kommende Wohnungsgesetz nicht mehr behoben werden,
denn da eine ganze Reihe von Bestimmungen noch der grundsätzlichen Um¬
änderung bedarf, wird man innerhalb der Parteien nach dem Kriege auf
erneuten Widerstand stoßen, der einer baldigen Verabschiedung des Gesetzes ent¬
gegenwirken wird.

Aber abgesehen hiervon wird das Wohnungsgesetz überhaupt für das
Kleinbauwesen keine nennenswerten Vorteile bringen, da es lediglich Ab¬
änderung von sekundären Übeln im Gebiete des Bauwesens anstrebt, eine
wirkliche Wohnungsreform wird man nach Lage der Dinge von ihm
nicht erwarten können! Die Wohnungsfrage als Sozialproblem umfaßt
den Mißständen entsprechend, die sich bezüglich der Befriedigung der
Wohnbedürfnisse bemerkbar machen, in der Hauptsache die fünf folgenden
Aufgaben: Besserung des Zustandes der Wohnungen, Minderung der Über¬
füllung, Preisherabsetzung, Vermehrung der Kleinwohnungen und Ausgestaltung
des Mietsrechtes. Das primäre Übel aber ist das kapitalistische Grundprinzip im
Wohnungsbau. Die Gewinnmöglichkeit beim Hausbau wird in der Regel vor¬
weg für den Boden in Anspruch genommen, da es eine auffallende Tendenz im
Wirtschaftsleben ist, die über dem Durchschnitt stehenden Kapital-, beziehungs¬
weise Unternehmergewinne, sozusagen auf den Boden, auf dem das Geschäft
beruht, zu projizieren; da der Bodenpreis den kapitalistischen Wert des Miet¬
ertrages abzüglich der Baukosten gemeinhin ausmacht, bleibt die Kapitalsanlage
in Mietshäusern eine unsichere, weil mit dem Ausfall der zugrunde gelegten
Mieteinkünfte gerechnet werden muß. Je höher nun die Mieter als Luxus-
mieten nach Kaufabschluß gesteigert werden können, -- ein Vorgang der nur für
Großwohnungen möglich ist! -- um so ertragreicher gestaltet sich die Kapitals¬
anlage, um so müheloser fließen die Erträge ein. Kann bei Kleinwohnungen
im Massenkasernenstil, der eine wirkende Bodenausnutzung möglich macht und
für eine Kapitalsanlage noch ertragreich wird, auch mit einer ständigen
Wohnungsbenutzung gerechnet werden, so ist die Hausverwaltung dieser Wohn¬
komplexe kostenreich und mühevoll und das Konto für Reparaturen ein laufend
hohes. Bei Kleinwohnungen für den Mittelstand geht die Bodenausnutzung
selten über den kalkulierten Mietspreis hinaus, die Rentabilität des in Klein¬
wohnungen angelegten Kapitals bleibt hinter dem Erfordernis demzufolge weit
Zurück. Ehe die kapitalistische Rentabilität an der Kleinwohnung nicht gestärkt wird,
wird also das private Kapital dieser Anlageform auch freiwillig nicht näher rücken.

Aus dem Gesagten erhellt, daß eine durchgreifende Wohnungsreform
ohne eine Bodenpreisreform und eine Beschaffung von Kapitalmengen, beziehungs-
weise eine Regelung des Immobiliarkredites (das Kapitel der leidigen zweiten
Hypothek!) grundlegend nicht durchgeführt werden kann. Der Entwurf zu dem
Preußischen Wohnungsgesetz enthält aber nur Bestimmungen über Baugelände,
Baupolizei, Gebäudebenutzung und Wohuungsanfsicht. Übersehen kann frei-


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Die kommende Wohnungsnot

gerufenen augenblicklichen Notlagen innerhalb des Wohnungswesens werden
demzufolge durch das kommende Wohnungsgesetz nicht mehr behoben werden,
denn da eine ganze Reihe von Bestimmungen noch der grundsätzlichen Um¬
änderung bedarf, wird man innerhalb der Parteien nach dem Kriege auf
erneuten Widerstand stoßen, der einer baldigen Verabschiedung des Gesetzes ent¬
gegenwirken wird.

Aber abgesehen hiervon wird das Wohnungsgesetz überhaupt für das
Kleinbauwesen keine nennenswerten Vorteile bringen, da es lediglich Ab¬
änderung von sekundären Übeln im Gebiete des Bauwesens anstrebt, eine
wirkliche Wohnungsreform wird man nach Lage der Dinge von ihm
nicht erwarten können! Die Wohnungsfrage als Sozialproblem umfaßt
den Mißständen entsprechend, die sich bezüglich der Befriedigung der
Wohnbedürfnisse bemerkbar machen, in der Hauptsache die fünf folgenden
Aufgaben: Besserung des Zustandes der Wohnungen, Minderung der Über¬
füllung, Preisherabsetzung, Vermehrung der Kleinwohnungen und Ausgestaltung
des Mietsrechtes. Das primäre Übel aber ist das kapitalistische Grundprinzip im
Wohnungsbau. Die Gewinnmöglichkeit beim Hausbau wird in der Regel vor¬
weg für den Boden in Anspruch genommen, da es eine auffallende Tendenz im
Wirtschaftsleben ist, die über dem Durchschnitt stehenden Kapital-, beziehungs¬
weise Unternehmergewinne, sozusagen auf den Boden, auf dem das Geschäft
beruht, zu projizieren; da der Bodenpreis den kapitalistischen Wert des Miet¬
ertrages abzüglich der Baukosten gemeinhin ausmacht, bleibt die Kapitalsanlage
in Mietshäusern eine unsichere, weil mit dem Ausfall der zugrunde gelegten
Mieteinkünfte gerechnet werden muß. Je höher nun die Mieter als Luxus-
mieten nach Kaufabschluß gesteigert werden können, — ein Vorgang der nur für
Großwohnungen möglich ist! — um so ertragreicher gestaltet sich die Kapitals¬
anlage, um so müheloser fließen die Erträge ein. Kann bei Kleinwohnungen
im Massenkasernenstil, der eine wirkende Bodenausnutzung möglich macht und
für eine Kapitalsanlage noch ertragreich wird, auch mit einer ständigen
Wohnungsbenutzung gerechnet werden, so ist die Hausverwaltung dieser Wohn¬
komplexe kostenreich und mühevoll und das Konto für Reparaturen ein laufend
hohes. Bei Kleinwohnungen für den Mittelstand geht die Bodenausnutzung
selten über den kalkulierten Mietspreis hinaus, die Rentabilität des in Klein¬
wohnungen angelegten Kapitals bleibt hinter dem Erfordernis demzufolge weit
Zurück. Ehe die kapitalistische Rentabilität an der Kleinwohnung nicht gestärkt wird,
wird also das private Kapital dieser Anlageform auch freiwillig nicht näher rücken.

Aus dem Gesagten erhellt, daß eine durchgreifende Wohnungsreform
ohne eine Bodenpreisreform und eine Beschaffung von Kapitalmengen, beziehungs-
weise eine Regelung des Immobiliarkredites (das Kapitel der leidigen zweiten
Hypothek!) grundlegend nicht durchgeführt werden kann. Der Entwurf zu dem
Preußischen Wohnungsgesetz enthält aber nur Bestimmungen über Baugelände,
Baupolizei, Gebäudebenutzung und Wohuungsanfsicht. Übersehen kann frei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/127>, abgerufen am 29.12.2024.