Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.Aus Emanuel Gcibels Schülerzeit Auf einem Blatt: 8. Bor langen Jahren, in den Ritterzeiten, -- So tun es uns die alten Schriften kund -- Trug stets, verschmähend alle Herrlichkeiten, Die Hausfrau einen dichten Schlüsselbund; Und klirrte sie mit diesem Ehrenzeichen, So mußte jeder Frevel scheu entweichen. Doch andre Zeiten brachten andre Sitten, Der hochgewaltge Schlüsselbund entschwand; Sie lernten viel von Franken und von Briten, Und schätzten nichts, als waS man dort erfand. Und sieh, es trat nun überall mit Schnelle Das Schlüsselkörbchen an des Bundes Stelle. Und weil wir nun nach neuer Mode leben, Und obendrein schon deine Hochzeit naht, So weiß ich dir nichts Bessres mitzugeben Als diesen Korb auf deines Hausstands Pfad. Du magst ihn dann in deinen Ehetagen An mich gedenkend stets am Arme tragen. Von anderer (weiblicher) Hand ist rechts unter zugefügt den "14. Mai 1832". Das erste kleine Heft umfaßt folgende dreizehn Gedichte: L. Gaedertz, S. 42. 9. Frühling shauch [Beginn Spaltensatz]
Die Nachtigall singt, das Belieben blüht,Die rote Rose duftet am Strauch; Wie schauert mir wunderbar durchs Gemüt Der warme, sonnige Frühlingshauch. [Spaltenumbruch] Ich liege im Walde im grünen Gras Und schau in den Himmel und singe dabei, Ich sing' und träume kaum weiß ich, was, Doch ahn' ich fast, daß es Liebe sei. [Ende Spaltensatz] Aus dFerne [Beginn Spaltensatz]
Der Abend senkt sich still und mildeHerab auf Wald und Berg und Flut, In Dämmrung schlummern die Gefilde, Verlöschen ist der Wolken Glut. Ein leiser Glockenton verkündet Die Stunde des Gebets von fern, Und tief im Heilgen Blau entzündet Sich feierlich der Abendstern. [Spaltenumbruch] Wie ist auch mir so still geworden! Es wandelt sich zum Friedensllcmg Was sonst in brausenden Akkorden Aus meiner Brust empor sich rang. Fast ist's, als winkt' aus fernen Näunwn Mir eine Blume freundlich zu, Und sieh, von Liebe muß ich träumen, Bon Lieb und Lust und Himmclsruh. [Ende Spaltensatz] Aus Emanuel Gcibels Schülerzeit Auf einem Blatt: 8. Bor langen Jahren, in den Ritterzeiten, — So tun es uns die alten Schriften kund — Trug stets, verschmähend alle Herrlichkeiten, Die Hausfrau einen dichten Schlüsselbund; Und klirrte sie mit diesem Ehrenzeichen, So mußte jeder Frevel scheu entweichen. Doch andre Zeiten brachten andre Sitten, Der hochgewaltge Schlüsselbund entschwand; Sie lernten viel von Franken und von Briten, Und schätzten nichts, als waS man dort erfand. Und sieh, es trat nun überall mit Schnelle Das Schlüsselkörbchen an des Bundes Stelle. Und weil wir nun nach neuer Mode leben, Und obendrein schon deine Hochzeit naht, So weiß ich dir nichts Bessres mitzugeben Als diesen Korb auf deines Hausstands Pfad. Du magst ihn dann in deinen Ehetagen An mich gedenkend stets am Arme tragen. Von anderer (weiblicher) Hand ist rechts unter zugefügt den „14. Mai 1832". Das erste kleine Heft umfaßt folgende dreizehn Gedichte: L. Gaedertz, S. 42. 9. Frühling shauch [Beginn Spaltensatz]
Die Nachtigall singt, das Belieben blüht,Die rote Rose duftet am Strauch; Wie schauert mir wunderbar durchs Gemüt Der warme, sonnige Frühlingshauch. [Spaltenumbruch] Ich liege im Walde im grünen Gras Und schau in den Himmel und singe dabei, Ich sing' und träume kaum weiß ich, was, Doch ahn' ich fast, daß es Liebe sei. [Ende Spaltensatz] Aus dFerne [Beginn Spaltensatz]
Der Abend senkt sich still und mildeHerab auf Wald und Berg und Flut, In Dämmrung schlummern die Gefilde, Verlöschen ist der Wolken Glut. Ein leiser Glockenton verkündet Die Stunde des Gebets von fern, Und tief im Heilgen Blau entzündet Sich feierlich der Abendstern. [Spaltenumbruch] Wie ist auch mir so still geworden! Es wandelt sich zum Friedensllcmg Was sonst in brausenden Akkorden Aus meiner Brust empor sich rang. Fast ist's, als winkt' aus fernen Näunwn Mir eine Blume freundlich zu, Und sieh, von Liebe muß ich träumen, Bon Lieb und Lust und Himmclsruh. [Ende Spaltensatz] <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324509"/> <fw type="header" place="top"> Aus Emanuel Gcibels Schülerzeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_313"> Auf einem Blatt:</p><lb/> <p xml:id="ID_314"> 8.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_18" type="poem"> <l> Bor langen Jahren, in den Ritterzeiten,<lb/> — So tun es uns die alten Schriften kund —<lb/> Trug stets, verschmähend alle Herrlichkeiten,<lb/> Die Hausfrau einen dichten Schlüsselbund;<lb/> Und klirrte sie mit diesem Ehrenzeichen,<lb/> So mußte jeder Frevel scheu entweichen.</l> <l> Doch andre Zeiten brachten andre Sitten,<lb/> Der hochgewaltge Schlüsselbund entschwand;<lb/> Sie lernten viel von Franken und von Briten,<lb/> Und schätzten nichts, als waS man dort erfand.<lb/> Und sieh, es trat nun überall mit Schnelle<lb/> Das Schlüsselkörbchen an des Bundes Stelle.</l> <l> Und weil wir nun nach neuer Mode leben,<lb/> Und obendrein schon deine Hochzeit naht,<lb/> So weiß ich dir nichts Bessres mitzugeben<lb/> Als diesen Korb auf deines Hausstands Pfad.<lb/> Du magst ihn dann in deinen Ehetagen<lb/> An mich gedenkend stets am Arme tragen.</l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_315"> Von anderer (weiblicher) Hand ist rechts unter zugefügt den „14. Mai 1832".<lb/> Es bedeutet nicht den Hochzeitstag des fraglichen Paares, denn an dem Tag<lb/> ist in ganz Lübeck kein Paar getraut worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_316"> Das erste kleine Heft umfaßt folgende dreizehn Gedichte:</p><lb/> <p xml:id="ID_317"> L.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_19" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_318"> Gaedertz, S. 42.</p><lb/> <p xml:id="ID_319"> 9.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_20" type="poem"> <head> Frühling shauch</head> <l><cb type="start"/> Die Nachtigall singt, das Belieben blüht,<lb/> Die rote Rose duftet am Strauch;<lb/> Wie schauert mir wunderbar durchs Gemüt<lb/> Der warme, sonnige Frühlingshauch. <cb/> Ich liege im Walde im grünen Gras<lb/> Und schau in den Himmel und singe dabei,<lb/> Ich sing' und träume kaum weiß ich, was,<lb/> Doch ahn' ich fast, daß es Liebe sei. <cb type="end"/> </l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_320"/><lb/> <lg xml:id="POEMID_21" type="poem"> <head> Aus dFerne</head> <l><cb type="start"/> Der Abend senkt sich still und milde<lb/> Herab auf Wald und Berg und Flut,<lb/> In Dämmrung schlummern die Gefilde,<lb/> Verlöschen ist der Wolken Glut.<lb/> Ein leiser Glockenton verkündet<lb/> Die Stunde des Gebets von fern,<lb/> Und tief im Heilgen Blau entzündet<lb/> Sich feierlich der Abendstern. <cb/> Wie ist auch mir so still geworden!<lb/> Es wandelt sich zum Friedensllcmg<lb/> Was sonst in brausenden Akkorden<lb/> Aus meiner Brust empor sich rang.<lb/> Fast ist's, als winkt' aus fernen Näunwn<lb/> Mir eine Blume freundlich zu,<lb/> Und sieh, von Liebe muß ich träumen,<lb/> Bon Lieb und Lust und Himmclsruh. <cb type="end"/> </l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
Aus Emanuel Gcibels Schülerzeit
Auf einem Blatt:
8.
Bor langen Jahren, in den Ritterzeiten,
— So tun es uns die alten Schriften kund —
Trug stets, verschmähend alle Herrlichkeiten,
Die Hausfrau einen dichten Schlüsselbund;
Und klirrte sie mit diesem Ehrenzeichen,
So mußte jeder Frevel scheu entweichen. Doch andre Zeiten brachten andre Sitten,
Der hochgewaltge Schlüsselbund entschwand;
Sie lernten viel von Franken und von Briten,
Und schätzten nichts, als waS man dort erfand.
Und sieh, es trat nun überall mit Schnelle
Das Schlüsselkörbchen an des Bundes Stelle. Und weil wir nun nach neuer Mode leben,
Und obendrein schon deine Hochzeit naht,
So weiß ich dir nichts Bessres mitzugeben
Als diesen Korb auf deines Hausstands Pfad.
Du magst ihn dann in deinen Ehetagen
An mich gedenkend stets am Arme tragen.
Von anderer (weiblicher) Hand ist rechts unter zugefügt den „14. Mai 1832".
Es bedeutet nicht den Hochzeitstag des fraglichen Paares, denn an dem Tag
ist in ganz Lübeck kein Paar getraut worden.
Das erste kleine Heft umfaßt folgende dreizehn Gedichte:
L.
Gaedertz, S. 42.
9.
Frühling shauch
Die Nachtigall singt, das Belieben blüht,
Die rote Rose duftet am Strauch;
Wie schauert mir wunderbar durchs Gemüt
Der warme, sonnige Frühlingshauch.
Ich liege im Walde im grünen Gras
Und schau in den Himmel und singe dabei,
Ich sing' und träume kaum weiß ich, was,
Doch ahn' ich fast, daß es Liebe sei.
Aus dFerne
Der Abend senkt sich still und milde
Herab auf Wald und Berg und Flut,
In Dämmrung schlummern die Gefilde,
Verlöschen ist der Wolken Glut.
Ein leiser Glockenton verkündet
Die Stunde des Gebets von fern,
Und tief im Heilgen Blau entzündet
Sich feierlich der Abendstern.
Wie ist auch mir so still geworden!
Es wandelt sich zum Friedensllcmg
Was sonst in brausenden Akkorden
Aus meiner Brust empor sich rang.
Fast ist's, als winkt' aus fernen Näunwn
Mir eine Blume freundlich zu,
Und sieh, von Liebe muß ich träumen,
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