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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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"wo kommt das Geld her?"

verwenden müssen: aber diese Ersparnis ist doch nur scheinbare Ersparnis; die
frei gewordenen Mittel entstammen nicht dem Reineinkommen. Hier ist auf¬
geschoben nicht aufgehoben, wie bei Nahrung und Kleidung, sondern wirklich
nur aufgeschoben. Wir haben sozusagen bei uns selbst Anleihen gemacht, haben
die Zukunft für die Gegenwart belastet; denn alle diese Reparatur- und Ersatz¬
arbeiten müssen wir in den kommenden Friedenszeiten nachholen, und wahr¬
scheinlich mit beträchtlich größeren Kosten.

Dasselbe gilt für die "Rückstellungen", die der Privatmann für den
sogenannten "moralischen Verschleiß" seiner Werkeinrichtungen zu machen hat.
Eine Maschine wird oft ans ökonomischen Gründen, durch Veralten, unbrauchbar,
obgleich sie vom technischen Standpunkt aus noch ausgezeichnet arbeitet; Gebäude
werden unzweckmäßig und müssen abgerissen werden, obgleich sie noch in vor¬
trefflichem baulichen Zustande sind. Auch dafür hat die Volkswirtschaft im
ganzen ebenso Sorge zu tragen wie der Privatmann -- und auch hier haben
wir vieles aufgeschoben, was wir später werden nachholen müssen, und haben
auch dadurch sehr große laufende Mittel an Gütern für augenblicklich wichtigere
Zwecke frei bekommen.

Der Privatmann muß drittens "Reservefonds" legen, um durch die
Überschüsse guter Jahre die Mindereinnahmen schlechter Jahre auszugleichen.
Denn im strengsten Sinne ist "Reineinkommen" das durchschnittliche Rein¬
einkommen längerer Zeit. In dieser Beziehung braucht eine Gesamtvolkswirt¬
schaft nicht allzu ängstlich zu sein; sie kann sich in schlechten Jahren durch
Minderkonsum und bessere Wirtschaftlichkeit viel besser helfen als der Private.

Dagegen hat die Volkswirtschaft die verpflichtende Aufgabe zu einem
Reservefonds, den der Privatmann nicht legen muß: sie muß ihren "Betrieb
vergrößern" entsprechend der Zunahme der Bevölkerung. Andernfalls verarmt
sie offenbar relativ, wenn das gleiche Stammvermögen sich auf mehr Köpfe
verteilt. Und hier haben wir sehr viel notwendige Ausgaben aufschieben müssen,
die wir in Zukunft unbedingt werden nachholen müssen.

Um nur einiges anzuführen: wir haben in den letzten Friedensjahren für
einen durchschnittlichen Bevölkerungszuwachs von rund 800 000 Köpfen jährlich
etwa 200 000 neue Wohnungen gebaut, ein Aufwand von gewiß mehr als
einer halben Milliarde Mark. Das wird zum großen Teil nachgeholt werden
müssen, leider nicht ganz, da der normale Bevölkerungszuwachs durch den Tod
so vieler Männer im Felde stark herabgesetzt ist, und da namentlich viele junge
Ehen durch den Tod getrennt, und noch mehr nicht zustandegekommen sind,
so daß das Bedürfnis nach neuen Wohnungen unter der Norm sein wird.

Das gleiche gilt für Fabrikanlagen, Gebäude und Maschinen, die ent¬
sprechend dem größeren Konsum der gewachsenen Volkszahl normalerweise hätten
erweitert oder neu aufgestellt werden müssen. Wahrscheinlich auch für Schulen,
Kranken- und Irrenanstalten, Straßen, Kanäle. Flußregulierungen, Eisenbahnen
und Straßenbahnen, Licht- und Kraftwerke usw. All das ist aufgeschoben, aber


„wo kommt das Geld her?"

verwenden müssen: aber diese Ersparnis ist doch nur scheinbare Ersparnis; die
frei gewordenen Mittel entstammen nicht dem Reineinkommen. Hier ist auf¬
geschoben nicht aufgehoben, wie bei Nahrung und Kleidung, sondern wirklich
nur aufgeschoben. Wir haben sozusagen bei uns selbst Anleihen gemacht, haben
die Zukunft für die Gegenwart belastet; denn alle diese Reparatur- und Ersatz¬
arbeiten müssen wir in den kommenden Friedenszeiten nachholen, und wahr¬
scheinlich mit beträchtlich größeren Kosten.

Dasselbe gilt für die „Rückstellungen", die der Privatmann für den
sogenannten „moralischen Verschleiß" seiner Werkeinrichtungen zu machen hat.
Eine Maschine wird oft ans ökonomischen Gründen, durch Veralten, unbrauchbar,
obgleich sie vom technischen Standpunkt aus noch ausgezeichnet arbeitet; Gebäude
werden unzweckmäßig und müssen abgerissen werden, obgleich sie noch in vor¬
trefflichem baulichen Zustande sind. Auch dafür hat die Volkswirtschaft im
ganzen ebenso Sorge zu tragen wie der Privatmann — und auch hier haben
wir vieles aufgeschoben, was wir später werden nachholen müssen, und haben
auch dadurch sehr große laufende Mittel an Gütern für augenblicklich wichtigere
Zwecke frei bekommen.

Der Privatmann muß drittens „Reservefonds" legen, um durch die
Überschüsse guter Jahre die Mindereinnahmen schlechter Jahre auszugleichen.
Denn im strengsten Sinne ist „Reineinkommen" das durchschnittliche Rein¬
einkommen längerer Zeit. In dieser Beziehung braucht eine Gesamtvolkswirt¬
schaft nicht allzu ängstlich zu sein; sie kann sich in schlechten Jahren durch
Minderkonsum und bessere Wirtschaftlichkeit viel besser helfen als der Private.

Dagegen hat die Volkswirtschaft die verpflichtende Aufgabe zu einem
Reservefonds, den der Privatmann nicht legen muß: sie muß ihren „Betrieb
vergrößern" entsprechend der Zunahme der Bevölkerung. Andernfalls verarmt
sie offenbar relativ, wenn das gleiche Stammvermögen sich auf mehr Köpfe
verteilt. Und hier haben wir sehr viel notwendige Ausgaben aufschieben müssen,
die wir in Zukunft unbedingt werden nachholen müssen.

Um nur einiges anzuführen: wir haben in den letzten Friedensjahren für
einen durchschnittlichen Bevölkerungszuwachs von rund 800 000 Köpfen jährlich
etwa 200 000 neue Wohnungen gebaut, ein Aufwand von gewiß mehr als
einer halben Milliarde Mark. Das wird zum großen Teil nachgeholt werden
müssen, leider nicht ganz, da der normale Bevölkerungszuwachs durch den Tod
so vieler Männer im Felde stark herabgesetzt ist, und da namentlich viele junge
Ehen durch den Tod getrennt, und noch mehr nicht zustandegekommen sind,
so daß das Bedürfnis nach neuen Wohnungen unter der Norm sein wird.

Das gleiche gilt für Fabrikanlagen, Gebäude und Maschinen, die ent¬
sprechend dem größeren Konsum der gewachsenen Volkszahl normalerweise hätten
erweitert oder neu aufgestellt werden müssen. Wahrscheinlich auch für Schulen,
Kranken- und Irrenanstalten, Straßen, Kanäle. Flußregulierungen, Eisenbahnen
und Straßenbahnen, Licht- und Kraftwerke usw. All das ist aufgeschoben, aber


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[0067] „wo kommt das Geld her?" verwenden müssen: aber diese Ersparnis ist doch nur scheinbare Ersparnis; die frei gewordenen Mittel entstammen nicht dem Reineinkommen. Hier ist auf¬ geschoben nicht aufgehoben, wie bei Nahrung und Kleidung, sondern wirklich nur aufgeschoben. Wir haben sozusagen bei uns selbst Anleihen gemacht, haben die Zukunft für die Gegenwart belastet; denn alle diese Reparatur- und Ersatz¬ arbeiten müssen wir in den kommenden Friedenszeiten nachholen, und wahr¬ scheinlich mit beträchtlich größeren Kosten. Dasselbe gilt für die „Rückstellungen", die der Privatmann für den sogenannten „moralischen Verschleiß" seiner Werkeinrichtungen zu machen hat. Eine Maschine wird oft ans ökonomischen Gründen, durch Veralten, unbrauchbar, obgleich sie vom technischen Standpunkt aus noch ausgezeichnet arbeitet; Gebäude werden unzweckmäßig und müssen abgerissen werden, obgleich sie noch in vor¬ trefflichem baulichen Zustande sind. Auch dafür hat die Volkswirtschaft im ganzen ebenso Sorge zu tragen wie der Privatmann — und auch hier haben wir vieles aufgeschoben, was wir später werden nachholen müssen, und haben auch dadurch sehr große laufende Mittel an Gütern für augenblicklich wichtigere Zwecke frei bekommen. Der Privatmann muß drittens „Reservefonds" legen, um durch die Überschüsse guter Jahre die Mindereinnahmen schlechter Jahre auszugleichen. Denn im strengsten Sinne ist „Reineinkommen" das durchschnittliche Rein¬ einkommen längerer Zeit. In dieser Beziehung braucht eine Gesamtvolkswirt¬ schaft nicht allzu ängstlich zu sein; sie kann sich in schlechten Jahren durch Minderkonsum und bessere Wirtschaftlichkeit viel besser helfen als der Private. Dagegen hat die Volkswirtschaft die verpflichtende Aufgabe zu einem Reservefonds, den der Privatmann nicht legen muß: sie muß ihren „Betrieb vergrößern" entsprechend der Zunahme der Bevölkerung. Andernfalls verarmt sie offenbar relativ, wenn das gleiche Stammvermögen sich auf mehr Köpfe verteilt. Und hier haben wir sehr viel notwendige Ausgaben aufschieben müssen, die wir in Zukunft unbedingt werden nachholen müssen. Um nur einiges anzuführen: wir haben in den letzten Friedensjahren für einen durchschnittlichen Bevölkerungszuwachs von rund 800 000 Köpfen jährlich etwa 200 000 neue Wohnungen gebaut, ein Aufwand von gewiß mehr als einer halben Milliarde Mark. Das wird zum großen Teil nachgeholt werden müssen, leider nicht ganz, da der normale Bevölkerungszuwachs durch den Tod so vieler Männer im Felde stark herabgesetzt ist, und da namentlich viele junge Ehen durch den Tod getrennt, und noch mehr nicht zustandegekommen sind, so daß das Bedürfnis nach neuen Wohnungen unter der Norm sein wird. Das gleiche gilt für Fabrikanlagen, Gebäude und Maschinen, die ent¬ sprechend dem größeren Konsum der gewachsenen Volkszahl normalerweise hätten erweitert oder neu aufgestellt werden müssen. Wahrscheinlich auch für Schulen, Kranken- und Irrenanstalten, Straßen, Kanäle. Flußregulierungen, Eisenbahnen und Straßenbahnen, Licht- und Kraftwerke usw. All das ist aufgeschoben, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/67>, abgerufen am 29.06.2024.