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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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"Wo kommt das Geld her?"

Zurückgegangen ist. Die meisten waren nicht in der Lage, und nur sehr wenige
in der Stimmung, sich Luxusausgaben zu leisten. Man hat sich "eingeschränkt",
hat viel weniger Güter und Dienste aller Art verbraucht: wir sprachen schon
von dem Minderbedarf an Luxusgütern und Diensten, der die Überwanderung
in lebenswichtigere Zweige der Gütererzeugung hervorgerufen hat. Wenn in
einem reichen Volke von 67 Millionen fast alle sich in Kleidung und Schuh-
werk, in Erholung. Sport und Reisen, in Speise und Trank, in Hausrat, Mobiliar
und Gesinde einschränken, sich "behelfen", so werden Milliarden erspart. Man
trägt heute Gewänder und Stiefel, die in Friedenszeiten "nicht mehr gegangen
wären", die man aber in Kriegszeiten ganz ruhig, ja sogar mit einem gewissen
patriotischen Stolz noch tragen darf; man reinigt, bessert und flickt, was man
sonst fortgetan und durch Neues ersetzt hätte. Man ißt einen oder zwei Gänge
zu Tisch weniger, man trinkt weniger geistige Getränke, man verzehrt billigere
Nahrungsmittel, man behält die alten Möbel und Betten. Vorhänge und
Teppiche. Wenn ganz Deutschland heute seine Bilanz aufstellte, so würde das
Konto "Privatverbrauch des Geschäftsinhabers" ein kolossales Minus gegen die
Vorjahre aufweisen.

Das ist eine echte und rechte "Ersparnis" im eigentlichen Sinne des
Wortes, ein wirklicher Minderverbrauch, der durch keinen künftigen Mehrverbrauch
wettgemacht werden wird. Die hier ersparten Milliarden hat das deutsche
Volk ohne Minderung seines Vermögens aufgebracht und den Kriegszwecken
überwiesen, etwa wie ein reicher Mann wohl einmal eine kostspielige Operation
durch den berühmtesten Chirurgen und eine darauffolgende Badekur im teuersten
Sanatorium (das wäre der Jnvalidenfondsl) aus seinen Einnahmen bezahlen
kann, ohne das Vermögen anzugreifen, wenn er auf Automobil, Vergnügungs¬
reise und kostspieligen Sport verzichtet.

Eine zweite echte Ersparnis ohne Vermögensminderung ist die größere
Wirtschaftlichkeit der "Verwaltung" der vorrätigen Güter, das heißt ihrer
Bewahrung vor Verlust und Verderb. Wir sind als reiche Leute recht sorglos
gewesen, haben das oberste Prinzip aller Wirtschaft nicht immer genau beachtet,
die Güter so zu verwalten, daß sie den möglichst hohen Ertrag der Bedürfnis¬
befriedigung ergeben müssen. Unsere Kochsitten waren verschwenderisch:
ungeheure Mengen von Nährwerten wanderten in die Unratkästen oder wurden in
Gestalt von Fett in die Kanalisation vergeudet. Zwischen 10 und 20 Prozent
unserer gewaltigen Kartoffelernte, die 1913 über eine Milliarde Zentner betrug,
gingen regelmäßig durch Fäulnis, etwa 10 Prozent überdies durch "Atmung"
der Pflanzen zugrunde. Davon haben wir wenigstens einen beträchtlichen Teil
durch rechtzeitige Trocknung der Knollen zu retten gelernt. Wir haben einen
Teil der Verschwendung abgestellt, der darin lag, daß wir zum Zwecke über¬
reichlicher Fleischnahrung ungeheuere Mengen von Roggen und Kartoffeln
durch Verfütterung an Schweine in Fleisch verwandelten, wobei fast die Hälfte
der Nährwerteinheiten verloren ging. Wir haben unser Korn viel stärker aus-


„Wo kommt das Geld her?"

Zurückgegangen ist. Die meisten waren nicht in der Lage, und nur sehr wenige
in der Stimmung, sich Luxusausgaben zu leisten. Man hat sich „eingeschränkt",
hat viel weniger Güter und Dienste aller Art verbraucht: wir sprachen schon
von dem Minderbedarf an Luxusgütern und Diensten, der die Überwanderung
in lebenswichtigere Zweige der Gütererzeugung hervorgerufen hat. Wenn in
einem reichen Volke von 67 Millionen fast alle sich in Kleidung und Schuh-
werk, in Erholung. Sport und Reisen, in Speise und Trank, in Hausrat, Mobiliar
und Gesinde einschränken, sich „behelfen", so werden Milliarden erspart. Man
trägt heute Gewänder und Stiefel, die in Friedenszeiten „nicht mehr gegangen
wären", die man aber in Kriegszeiten ganz ruhig, ja sogar mit einem gewissen
patriotischen Stolz noch tragen darf; man reinigt, bessert und flickt, was man
sonst fortgetan und durch Neues ersetzt hätte. Man ißt einen oder zwei Gänge
zu Tisch weniger, man trinkt weniger geistige Getränke, man verzehrt billigere
Nahrungsmittel, man behält die alten Möbel und Betten. Vorhänge und
Teppiche. Wenn ganz Deutschland heute seine Bilanz aufstellte, so würde das
Konto „Privatverbrauch des Geschäftsinhabers" ein kolossales Minus gegen die
Vorjahre aufweisen.

Das ist eine echte und rechte „Ersparnis" im eigentlichen Sinne des
Wortes, ein wirklicher Minderverbrauch, der durch keinen künftigen Mehrverbrauch
wettgemacht werden wird. Die hier ersparten Milliarden hat das deutsche
Volk ohne Minderung seines Vermögens aufgebracht und den Kriegszwecken
überwiesen, etwa wie ein reicher Mann wohl einmal eine kostspielige Operation
durch den berühmtesten Chirurgen und eine darauffolgende Badekur im teuersten
Sanatorium (das wäre der Jnvalidenfondsl) aus seinen Einnahmen bezahlen
kann, ohne das Vermögen anzugreifen, wenn er auf Automobil, Vergnügungs¬
reise und kostspieligen Sport verzichtet.

Eine zweite echte Ersparnis ohne Vermögensminderung ist die größere
Wirtschaftlichkeit der „Verwaltung" der vorrätigen Güter, das heißt ihrer
Bewahrung vor Verlust und Verderb. Wir sind als reiche Leute recht sorglos
gewesen, haben das oberste Prinzip aller Wirtschaft nicht immer genau beachtet,
die Güter so zu verwalten, daß sie den möglichst hohen Ertrag der Bedürfnis¬
befriedigung ergeben müssen. Unsere Kochsitten waren verschwenderisch:
ungeheure Mengen von Nährwerten wanderten in die Unratkästen oder wurden in
Gestalt von Fett in die Kanalisation vergeudet. Zwischen 10 und 20 Prozent
unserer gewaltigen Kartoffelernte, die 1913 über eine Milliarde Zentner betrug,
gingen regelmäßig durch Fäulnis, etwa 10 Prozent überdies durch „Atmung"
der Pflanzen zugrunde. Davon haben wir wenigstens einen beträchtlichen Teil
durch rechtzeitige Trocknung der Knollen zu retten gelernt. Wir haben einen
Teil der Verschwendung abgestellt, der darin lag, daß wir zum Zwecke über¬
reichlicher Fleischnahrung ungeheuere Mengen von Roggen und Kartoffeln
durch Verfütterung an Schweine in Fleisch verwandelten, wobei fast die Hälfte
der Nährwerteinheiten verloren ging. Wir haben unser Korn viel stärker aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/65>, abgerufen am 03.07.2024.