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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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"wo kommt das Geld her?"

Güterproduktion als in Friedenszeiten von den 67 Millionen arbeiteten. Erstens
gibt es kaum noch arbeitsfähige Arbeitslose; die "Reservearmee" ist aufgesaugt.
Ferner aber sind sehr viele Arbeitskräfte, männliche wie weibliche, herangezogen
worden, die früher nicht oder in geringerem Maße beteiligt waren. Die land¬
wirtschaftlichen Arbeiten werden zum großen Teil von Jugendlichen, Frauen,
Alten und körperlich Minderwertigen mit Hilfe von vermehrter Maschinerie
ausgeführt; auch im Gewerbe und Handel sind zahlreiche Jugendliche. Frauen
und minderarbeitsfähige Männer beschäftigt. Die Jungen werden früher heran¬
gezogen als sonst, die älteren treten später in den Ruhestand als sonst; zahlreiche
Frauen sind in das Erwerbsleben neu eingetreten, deren Ernährer im Felde steht,
die aber den Erwerb wieder aufgeben werden, wenn der Vater, Gatte oder
Sohn zurückgekehrt ist. Die Heranziehung dieser sonst unerreichbaren Reserven
von Arbeit bedeutet eine starke Vermehrung der Gütererzeugung.

Und noch eins: es hat eine starke Überwanderung stattgefunden von
Gewerben, die minder wichtige Bedürfnisse mit kleinerem "Grenznutzen" be¬
friedigen, in solche, die wichtigere Bedürfnisse mit größerem Grenznutzen befriedigen.
Die Arbeiter und Arbeiterinnen der "Luxusgewerbe" und der Gewerbe des
höheren Behagens sind heute mit der Herstellung von Gütern für den Kriegs-
bcdarf und den notwendigen Volkskonsum beschäftigt; und das gleiche gilt von
zahlreichen "Dienstleistenden" aller Grade, niederen, wie den vielen arbeitslosen
Dienstmädchen, Dienern, Manicuren, Friseusen, Prostituierten usw., und höheren,
wie den Schauspielern, Musikern, Artisten, Privatlehrern und anderen ihrer
Klasse; auch die Agenten, Makler und Vermittler haben sich zum Teil der
unmittelbaren Gütererzeugung widmen müssen, da für ihre "Dienste" kein
Bedürfnis besteht: liegen doch der Börsenverkehr, das Grundstücksgeschäft, die
Luxusgewerbe, die Exportgewerbe, der Exporthandel, die Reederei fast völlig
still! Und wie die Industrie, die heute überhaupt Beschäftigung hat, keine
Agenten braucht, so braucht sie auch keine Reisenden, ihr Absatz ist ihr ohne
diese lerux frais auch ohnehin gesichert.

All das ist zusammengekommen, um die produktiven Kräfte, die in uns"rer
Gütererzeugung tätig sind, bis auf das erreichbare Höchstmaß zu vermehren.
Und wenn die deutsche Gesamtvolkswirtschaft heute ihre Bilanz aufmachen
würde, so würde sich herausstellen, daß das Gütererzeugungskonto zwar einen
Mindcrertrag ergeben hat, aber einen unendlich viel kleineren, als man nach
den trüben Prophezeiungen der Pazifisten vom Schlage eines von Bloch und
Genossen gefürchtet hatte.

Der Minucndus unseres Substraktionsexempels ist also stattlich genug.
Betrachten wir nunmehr den Subtrahendus, den Konsum, um die Ersparnis
schätzen zu können.

Der erste Posten des Konsums ist der eigentliche "letzte Verzehr", der
wirkliche Verbrauch der Güter und Dienste in der Privatwirtschaft der einzelnen
Mitglieder der Volkswirtschaft. Kein Zweifel, daß dieser Konsum sehr stark


„wo kommt das Geld her?"

Güterproduktion als in Friedenszeiten von den 67 Millionen arbeiteten. Erstens
gibt es kaum noch arbeitsfähige Arbeitslose; die „Reservearmee" ist aufgesaugt.
Ferner aber sind sehr viele Arbeitskräfte, männliche wie weibliche, herangezogen
worden, die früher nicht oder in geringerem Maße beteiligt waren. Die land¬
wirtschaftlichen Arbeiten werden zum großen Teil von Jugendlichen, Frauen,
Alten und körperlich Minderwertigen mit Hilfe von vermehrter Maschinerie
ausgeführt; auch im Gewerbe und Handel sind zahlreiche Jugendliche. Frauen
und minderarbeitsfähige Männer beschäftigt. Die Jungen werden früher heran¬
gezogen als sonst, die älteren treten später in den Ruhestand als sonst; zahlreiche
Frauen sind in das Erwerbsleben neu eingetreten, deren Ernährer im Felde steht,
die aber den Erwerb wieder aufgeben werden, wenn der Vater, Gatte oder
Sohn zurückgekehrt ist. Die Heranziehung dieser sonst unerreichbaren Reserven
von Arbeit bedeutet eine starke Vermehrung der Gütererzeugung.

Und noch eins: es hat eine starke Überwanderung stattgefunden von
Gewerben, die minder wichtige Bedürfnisse mit kleinerem „Grenznutzen" be¬
friedigen, in solche, die wichtigere Bedürfnisse mit größerem Grenznutzen befriedigen.
Die Arbeiter und Arbeiterinnen der „Luxusgewerbe" und der Gewerbe des
höheren Behagens sind heute mit der Herstellung von Gütern für den Kriegs-
bcdarf und den notwendigen Volkskonsum beschäftigt; und das gleiche gilt von
zahlreichen „Dienstleistenden" aller Grade, niederen, wie den vielen arbeitslosen
Dienstmädchen, Dienern, Manicuren, Friseusen, Prostituierten usw., und höheren,
wie den Schauspielern, Musikern, Artisten, Privatlehrern und anderen ihrer
Klasse; auch die Agenten, Makler und Vermittler haben sich zum Teil der
unmittelbaren Gütererzeugung widmen müssen, da für ihre „Dienste" kein
Bedürfnis besteht: liegen doch der Börsenverkehr, das Grundstücksgeschäft, die
Luxusgewerbe, die Exportgewerbe, der Exporthandel, die Reederei fast völlig
still! Und wie die Industrie, die heute überhaupt Beschäftigung hat, keine
Agenten braucht, so braucht sie auch keine Reisenden, ihr Absatz ist ihr ohne
diese lerux frais auch ohnehin gesichert.

All das ist zusammengekommen, um die produktiven Kräfte, die in uns»rer
Gütererzeugung tätig sind, bis auf das erreichbare Höchstmaß zu vermehren.
Und wenn die deutsche Gesamtvolkswirtschaft heute ihre Bilanz aufmachen
würde, so würde sich herausstellen, daß das Gütererzeugungskonto zwar einen
Mindcrertrag ergeben hat, aber einen unendlich viel kleineren, als man nach
den trüben Prophezeiungen der Pazifisten vom Schlage eines von Bloch und
Genossen gefürchtet hatte.

Der Minucndus unseres Substraktionsexempels ist also stattlich genug.
Betrachten wir nunmehr den Subtrahendus, den Konsum, um die Ersparnis
schätzen zu können.

Der erste Posten des Konsums ist der eigentliche „letzte Verzehr", der
wirkliche Verbrauch der Güter und Dienste in der Privatwirtschaft der einzelnen
Mitglieder der Volkswirtschaft. Kein Zweifel, daß dieser Konsum sehr stark


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/64>, abgerufen am 01.10.2024.