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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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"Wo kommt das Geld her?"

gesperrt sind, zum Beispiel Weizen, Gerste, Kautschuk, Zinn, Kupfer; anderes
aus ökonomischen Gründen, weil die Nachfrage danach aufgehört oder doch sich
vermindert hat, zum Beispiel Seide, Kleiderstoffe, Spitzen. Kaviar und andere
Delikatessen.

Diese verbrauchten und nicht wieder ersetzten Vorräte stellen den ersten
Teil der Kriegskosten dar. Sie sind das eigentliche Darlehen, das die Volks¬
wirtschaft dem Staate gemacht hat: denn sie wird alles das nach dem Frieden
zu ersetzen haben, durch unmittelbare Arbeit oder durch Hingabe deutscher
Arbeitserzeugnisse gegen Auslandsgüter. Erst dann, wenn die Kapillaren der
Zirkulation wieder in normaler Weise mit Vorräten aufgefüllt sein werden,
wenn die Volkswirtschaft sozusagen wieder im normalen Futter- und Ernährungs¬
zustand sein wird, ist diese Ausgabe eingebracht, diese Schuld getilgt, ist diese
Vermögensverminderung ausgeglichen.

Die zweite Quelle, aus der ältere, bereits vor dem Kriege gemachte Er¬
sparnisse dem Reiche zugeflossen sind, sind die sogenannten "ausländischen
Kapitalanlagen". Ein deutscher Staatsangehöriger besaß zum Beispiel vor den?
Kriege italienische Eisenbahnaktien oder schwedische Staatspapiere. Wenn er sie
verkaufte, um dafür deutsche Kriegsanleihe zu erwerben, so konnte die deutsche
Volkswirtschaft den Erlös in bar oder in Gütern, zum Beispiel in schwedischen
Eisenerz oder italienischem Weizen, ins Land ziehen, oder sie konnte im Auslande
Goldguthaben halten, um den Wechselkurs zu beeinflussen.

Das ist der zweite Teil der Kriegskosten. Würde ganz Deutschland
heute seine Bilanz aufmachen, so würde unter den Aktiven der Posten "Debitoren"
gegen das Vorjahr eine Verminderung von ebenfalls vielen hundert Millionen
ergeben.

Vielleicht ist das nicht ganz leicht zu verstehen. Man wird sich fragen,
wo denn die Vermögensverminderung liege, da doch der Verkäufer der aus¬
ländischen Wertpapiere in Gestalt der Kriegsanleihe vollen Gegenwert erhalten
habe. Das ist auch ganz richtig: aber es handelt sich hier nicht um eine
privatwirtschaftliche, sondern volkswirtschaftliche Aufrechnung. Was ein Deutscher
dem anderen schuldig ist, zum Beispiel der deutsche Reichsfiskus den deutschen
Privatleuten, ist in der volkswirtschaftlichen Bilanz nur ein "durchlaufender
Posten", der auf beiden Seiten des Hauptbuchs erscheint und sich dadurch
aufhebt: die Volkswirtschaft als Ganzes kann Gläubiger oder Schuldner nur
bei anderen Volkswirtschaften sein. Und darum ist jeder Verkauf ausländischer
Werte eine Verminderung ihrer Aktiva; und ist gleichzeitig dann eine Ver¬
minderung ihres Vermögens, wenn nicht die Passiva sich um den gleichen
Betrag vermindern oder andere Aktiva, nämlich die Gütervorräte, entsprechend
wachsen. Da aber in unserem Falle die als Erlös eingebrachten Gütervorräte
zum großen Teile aufgebracht sein werden, ist hier in der Tat eine Vermögens¬
minderung eingetreten, die auf Kriegsausgaben zu verbunden ist und im
Gewinn- und Verlustkonto der Gesamtbilanz kräftig zu Buche schlägt.


„Wo kommt das Geld her?"

gesperrt sind, zum Beispiel Weizen, Gerste, Kautschuk, Zinn, Kupfer; anderes
aus ökonomischen Gründen, weil die Nachfrage danach aufgehört oder doch sich
vermindert hat, zum Beispiel Seide, Kleiderstoffe, Spitzen. Kaviar und andere
Delikatessen.

Diese verbrauchten und nicht wieder ersetzten Vorräte stellen den ersten
Teil der Kriegskosten dar. Sie sind das eigentliche Darlehen, das die Volks¬
wirtschaft dem Staate gemacht hat: denn sie wird alles das nach dem Frieden
zu ersetzen haben, durch unmittelbare Arbeit oder durch Hingabe deutscher
Arbeitserzeugnisse gegen Auslandsgüter. Erst dann, wenn die Kapillaren der
Zirkulation wieder in normaler Weise mit Vorräten aufgefüllt sein werden,
wenn die Volkswirtschaft sozusagen wieder im normalen Futter- und Ernährungs¬
zustand sein wird, ist diese Ausgabe eingebracht, diese Schuld getilgt, ist diese
Vermögensverminderung ausgeglichen.

Die zweite Quelle, aus der ältere, bereits vor dem Kriege gemachte Er¬
sparnisse dem Reiche zugeflossen sind, sind die sogenannten „ausländischen
Kapitalanlagen". Ein deutscher Staatsangehöriger besaß zum Beispiel vor den?
Kriege italienische Eisenbahnaktien oder schwedische Staatspapiere. Wenn er sie
verkaufte, um dafür deutsche Kriegsanleihe zu erwerben, so konnte die deutsche
Volkswirtschaft den Erlös in bar oder in Gütern, zum Beispiel in schwedischen
Eisenerz oder italienischem Weizen, ins Land ziehen, oder sie konnte im Auslande
Goldguthaben halten, um den Wechselkurs zu beeinflussen.

Das ist der zweite Teil der Kriegskosten. Würde ganz Deutschland
heute seine Bilanz aufmachen, so würde unter den Aktiven der Posten „Debitoren"
gegen das Vorjahr eine Verminderung von ebenfalls vielen hundert Millionen
ergeben.

Vielleicht ist das nicht ganz leicht zu verstehen. Man wird sich fragen,
wo denn die Vermögensverminderung liege, da doch der Verkäufer der aus¬
ländischen Wertpapiere in Gestalt der Kriegsanleihe vollen Gegenwert erhalten
habe. Das ist auch ganz richtig: aber es handelt sich hier nicht um eine
privatwirtschaftliche, sondern volkswirtschaftliche Aufrechnung. Was ein Deutscher
dem anderen schuldig ist, zum Beispiel der deutsche Reichsfiskus den deutschen
Privatleuten, ist in der volkswirtschaftlichen Bilanz nur ein „durchlaufender
Posten", der auf beiden Seiten des Hauptbuchs erscheint und sich dadurch
aufhebt: die Volkswirtschaft als Ganzes kann Gläubiger oder Schuldner nur
bei anderen Volkswirtschaften sein. Und darum ist jeder Verkauf ausländischer
Werte eine Verminderung ihrer Aktiva; und ist gleichzeitig dann eine Ver¬
minderung ihres Vermögens, wenn nicht die Passiva sich um den gleichen
Betrag vermindern oder andere Aktiva, nämlich die Gütervorräte, entsprechend
wachsen. Da aber in unserem Falle die als Erlös eingebrachten Gütervorräte
zum großen Teile aufgebracht sein werden, ist hier in der Tat eine Vermögens¬
minderung eingetreten, die auf Kriegsausgaben zu verbunden ist und im
Gewinn- und Verlustkonto der Gesamtbilanz kräftig zu Buche schlägt.


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[0062] „Wo kommt das Geld her?" gesperrt sind, zum Beispiel Weizen, Gerste, Kautschuk, Zinn, Kupfer; anderes aus ökonomischen Gründen, weil die Nachfrage danach aufgehört oder doch sich vermindert hat, zum Beispiel Seide, Kleiderstoffe, Spitzen. Kaviar und andere Delikatessen. Diese verbrauchten und nicht wieder ersetzten Vorräte stellen den ersten Teil der Kriegskosten dar. Sie sind das eigentliche Darlehen, das die Volks¬ wirtschaft dem Staate gemacht hat: denn sie wird alles das nach dem Frieden zu ersetzen haben, durch unmittelbare Arbeit oder durch Hingabe deutscher Arbeitserzeugnisse gegen Auslandsgüter. Erst dann, wenn die Kapillaren der Zirkulation wieder in normaler Weise mit Vorräten aufgefüllt sein werden, wenn die Volkswirtschaft sozusagen wieder im normalen Futter- und Ernährungs¬ zustand sein wird, ist diese Ausgabe eingebracht, diese Schuld getilgt, ist diese Vermögensverminderung ausgeglichen. Die zweite Quelle, aus der ältere, bereits vor dem Kriege gemachte Er¬ sparnisse dem Reiche zugeflossen sind, sind die sogenannten „ausländischen Kapitalanlagen". Ein deutscher Staatsangehöriger besaß zum Beispiel vor den? Kriege italienische Eisenbahnaktien oder schwedische Staatspapiere. Wenn er sie verkaufte, um dafür deutsche Kriegsanleihe zu erwerben, so konnte die deutsche Volkswirtschaft den Erlös in bar oder in Gütern, zum Beispiel in schwedischen Eisenerz oder italienischem Weizen, ins Land ziehen, oder sie konnte im Auslande Goldguthaben halten, um den Wechselkurs zu beeinflussen. Das ist der zweite Teil der Kriegskosten. Würde ganz Deutschland heute seine Bilanz aufmachen, so würde unter den Aktiven der Posten „Debitoren" gegen das Vorjahr eine Verminderung von ebenfalls vielen hundert Millionen ergeben. Vielleicht ist das nicht ganz leicht zu verstehen. Man wird sich fragen, wo denn die Vermögensverminderung liege, da doch der Verkäufer der aus¬ ländischen Wertpapiere in Gestalt der Kriegsanleihe vollen Gegenwert erhalten habe. Das ist auch ganz richtig: aber es handelt sich hier nicht um eine privatwirtschaftliche, sondern volkswirtschaftliche Aufrechnung. Was ein Deutscher dem anderen schuldig ist, zum Beispiel der deutsche Reichsfiskus den deutschen Privatleuten, ist in der volkswirtschaftlichen Bilanz nur ein „durchlaufender Posten", der auf beiden Seiten des Hauptbuchs erscheint und sich dadurch aufhebt: die Volkswirtschaft als Ganzes kann Gläubiger oder Schuldner nur bei anderen Volkswirtschaften sein. Und darum ist jeder Verkauf ausländischer Werte eine Verminderung ihrer Aktiva; und ist gleichzeitig dann eine Ver¬ minderung ihres Vermögens, wenn nicht die Passiva sich um den gleichen Betrag vermindern oder andere Aktiva, nämlich die Gütervorräte, entsprechend wachsen. Da aber in unserem Falle die als Erlös eingebrachten Gütervorräte zum großen Teile aufgebracht sein werden, ist hier in der Tat eine Vermögens¬ minderung eingetreten, die auf Kriegsausgaben zu verbunden ist und im Gewinn- und Verlustkonto der Gesamtbilanz kräftig zu Buche schlägt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/62>, abgerufen am 29.06.2024.