Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hochebene von Lafraun--Vielgercut

auf die zu gründende deutsche Schule freuten. Ein Greis von 80 Jahren saß
während der langen Besprechung still neben mir und sagte bloß einigemal,
wie aus einem Traum erwachend, "unsere alten Schriften waren alle deutsch"
und legte mir zur Bekräftigung die Hand auf die Schulter.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß die deutschen Siedler doch schon vereinzelte
Bewohner auf der Hochteile vorfanden: der undeutsche Name Lafraun, italienisiert
Lavarone, ist verdächtig, und es ist nicht einmal sicher, ob der Name Vielgereut
nicht eine deutsche Umwandlung aus einer vordeutschen Ortsbezeichnung ist, aus
der die Italiener ihrerseits Folgaria gemacht haben.

So sicher es ist, das die deutsche Bevölkerung und die deutsche Sprache
jahrhundertelang auf der Hochteile mindestens vorherrschend waren, ebenso sicher
ist, daß wir es jetzt nicht bloß mit sprachlicher Verwelschung, sondern mit einem
starken Einschlag nichtdeutscher Bevölkerung zu tun haben. Man kann in allen
Sprachgrenzgemeinden, wo eine gewisse Doppelsvrachigkeit durch den Verkehr
eingeleitet ist, den Einfluß der Kirchen- und Schulsprache auf die Befestigung
oder Verdrängung der ursprünglichen Ortssprache nicht hoch genug einschätzen.
Aber in Lafraun kann um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts, wo sich
die sprachliche Verwelschung dort vollzog, der Einfluß der Schule noch nicht
stark genug gewesen sein, um die vorher allgemeine deutsche Haussprache zu
verdrängen, wenn diese nicht schon früher durch Einheiraten und Zuwanderung
ins Wanken geraten wäre. Hier muß wieder einmal auf die merkwürdige
Zugänglichkeit der Deutschen für alle Fremdsprachen und deren spielende Über¬
nahme als Verkehrs- und bald als Haussprache hingewiesen werden.

Die Bevölkerung der Hochteile wird direkt vor dem Kriege 6000 bis 7000
Seelen betragen haben, die deutsche Bevölkerung von Tirol beträgt etwa 500000
Seelen, eine Rückverdeutschung des alten Siedlungsgebiets würde also einem
zahlenmäßigen Gewinn gleichkommen, wie ihn für das Deutsche Reich die
Rückeroberung des Elsaß bedeutete. Die Anstrengungen, die in dieser Richtung
von den deutschen Schutzvereinen, namentlich dem "Tiroler Volksbund" und
dem "Verein für das Deutschtum im Ausland" gemacht worden sind, haben
sowohl in Österreich wie im Reich viel zu wenig Beachtung gefunden, oder wurden
als "eine Art altdeutscher Sport" betrachtet. Gern soll aber daran erinnert
werden, daß im Jahre 1911, als Lusern zum großen Teil abbrannte, das gute
deutsche Herz sich auch dieser Unglücklichen erbarmte, obgleich sie keine interessanten
Norweger oder Italiener waren.

Nach dem Kriege wird vielleicht tu dieser Beziehung nicht bloß in der
Auffassung der Nation, sondern auch in der Stellungnahme der Regierenden
eine Änderung eintreten. Meiner Ansicht nach ist die bäuerliche Bevölkerung
nicht bloß auf der Hochteile, sondern in dem ganzen umliegenden alten Deutsch¬
gebiet hinsichtlich der Gestaltung ihrer sprachlichen und nationalen Zugehörigkeit
weiches Wachs in den Händen der Negierung und der Kirche -- und diese
beiden haben bisher die Verwelschung gefördert. Die Regierung hat, nachdem


Die Hochebene von Lafraun—Vielgercut

auf die zu gründende deutsche Schule freuten. Ein Greis von 80 Jahren saß
während der langen Besprechung still neben mir und sagte bloß einigemal,
wie aus einem Traum erwachend, „unsere alten Schriften waren alle deutsch"
und legte mir zur Bekräftigung die Hand auf die Schulter.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß die deutschen Siedler doch schon vereinzelte
Bewohner auf der Hochteile vorfanden: der undeutsche Name Lafraun, italienisiert
Lavarone, ist verdächtig, und es ist nicht einmal sicher, ob der Name Vielgereut
nicht eine deutsche Umwandlung aus einer vordeutschen Ortsbezeichnung ist, aus
der die Italiener ihrerseits Folgaria gemacht haben.

So sicher es ist, das die deutsche Bevölkerung und die deutsche Sprache
jahrhundertelang auf der Hochteile mindestens vorherrschend waren, ebenso sicher
ist, daß wir es jetzt nicht bloß mit sprachlicher Verwelschung, sondern mit einem
starken Einschlag nichtdeutscher Bevölkerung zu tun haben. Man kann in allen
Sprachgrenzgemeinden, wo eine gewisse Doppelsvrachigkeit durch den Verkehr
eingeleitet ist, den Einfluß der Kirchen- und Schulsprache auf die Befestigung
oder Verdrängung der ursprünglichen Ortssprache nicht hoch genug einschätzen.
Aber in Lafraun kann um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts, wo sich
die sprachliche Verwelschung dort vollzog, der Einfluß der Schule noch nicht
stark genug gewesen sein, um die vorher allgemeine deutsche Haussprache zu
verdrängen, wenn diese nicht schon früher durch Einheiraten und Zuwanderung
ins Wanken geraten wäre. Hier muß wieder einmal auf die merkwürdige
Zugänglichkeit der Deutschen für alle Fremdsprachen und deren spielende Über¬
nahme als Verkehrs- und bald als Haussprache hingewiesen werden.

Die Bevölkerung der Hochteile wird direkt vor dem Kriege 6000 bis 7000
Seelen betragen haben, die deutsche Bevölkerung von Tirol beträgt etwa 500000
Seelen, eine Rückverdeutschung des alten Siedlungsgebiets würde also einem
zahlenmäßigen Gewinn gleichkommen, wie ihn für das Deutsche Reich die
Rückeroberung des Elsaß bedeutete. Die Anstrengungen, die in dieser Richtung
von den deutschen Schutzvereinen, namentlich dem „Tiroler Volksbund" und
dem „Verein für das Deutschtum im Ausland" gemacht worden sind, haben
sowohl in Österreich wie im Reich viel zu wenig Beachtung gefunden, oder wurden
als „eine Art altdeutscher Sport" betrachtet. Gern soll aber daran erinnert
werden, daß im Jahre 1911, als Lusern zum großen Teil abbrannte, das gute
deutsche Herz sich auch dieser Unglücklichen erbarmte, obgleich sie keine interessanten
Norweger oder Italiener waren.

Nach dem Kriege wird vielleicht tu dieser Beziehung nicht bloß in der
Auffassung der Nation, sondern auch in der Stellungnahme der Regierenden
eine Änderung eintreten. Meiner Ansicht nach ist die bäuerliche Bevölkerung
nicht bloß auf der Hochteile, sondern in dem ganzen umliegenden alten Deutsch¬
gebiet hinsichtlich der Gestaltung ihrer sprachlichen und nationalen Zugehörigkeit
weiches Wachs in den Händen der Negierung und der Kirche — und diese
beiden haben bisher die Verwelschung gefördert. Die Regierung hat, nachdem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324029"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Hochebene von Lafraun&#x2014;Vielgercut</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_114" prev="#ID_113"> auf die zu gründende deutsche Schule freuten. Ein Greis von 80 Jahren saß<lb/>
während der langen Besprechung still neben mir und sagte bloß einigemal,<lb/>
wie aus einem Traum erwachend, &#x201E;unsere alten Schriften waren alle deutsch"<lb/>
und legte mir zur Bekräftigung die Hand auf die Schulter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_115"> Es ist nicht ausgeschlossen, daß die deutschen Siedler doch schon vereinzelte<lb/>
Bewohner auf der Hochteile vorfanden: der undeutsche Name Lafraun, italienisiert<lb/>
Lavarone, ist verdächtig, und es ist nicht einmal sicher, ob der Name Vielgereut<lb/>
nicht eine deutsche Umwandlung aus einer vordeutschen Ortsbezeichnung ist, aus<lb/>
der die Italiener ihrerseits Folgaria gemacht haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_116"> So sicher es ist, das die deutsche Bevölkerung und die deutsche Sprache<lb/>
jahrhundertelang auf der Hochteile mindestens vorherrschend waren, ebenso sicher<lb/>
ist, daß wir es jetzt nicht bloß mit sprachlicher Verwelschung, sondern mit einem<lb/>
starken Einschlag nichtdeutscher Bevölkerung zu tun haben. Man kann in allen<lb/>
Sprachgrenzgemeinden, wo eine gewisse Doppelsvrachigkeit durch den Verkehr<lb/>
eingeleitet ist, den Einfluß der Kirchen- und Schulsprache auf die Befestigung<lb/>
oder Verdrängung der ursprünglichen Ortssprache nicht hoch genug einschätzen.<lb/>
Aber in Lafraun kann um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts, wo sich<lb/>
die sprachliche Verwelschung dort vollzog, der Einfluß der Schule noch nicht<lb/>
stark genug gewesen sein, um die vorher allgemeine deutsche Haussprache zu<lb/>
verdrängen, wenn diese nicht schon früher durch Einheiraten und Zuwanderung<lb/>
ins Wanken geraten wäre. Hier muß wieder einmal auf die merkwürdige<lb/>
Zugänglichkeit der Deutschen für alle Fremdsprachen und deren spielende Über¬<lb/>
nahme als Verkehrs- und bald als Haussprache hingewiesen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_117"> Die Bevölkerung der Hochteile wird direkt vor dem Kriege 6000 bis 7000<lb/>
Seelen betragen haben, die deutsche Bevölkerung von Tirol beträgt etwa 500000<lb/>
Seelen, eine Rückverdeutschung des alten Siedlungsgebiets würde also einem<lb/>
zahlenmäßigen Gewinn gleichkommen, wie ihn für das Deutsche Reich die<lb/>
Rückeroberung des Elsaß bedeutete. Die Anstrengungen, die in dieser Richtung<lb/>
von den deutschen Schutzvereinen, namentlich dem &#x201E;Tiroler Volksbund" und<lb/>
dem &#x201E;Verein für das Deutschtum im Ausland" gemacht worden sind, haben<lb/>
sowohl in Österreich wie im Reich viel zu wenig Beachtung gefunden, oder wurden<lb/>
als &#x201E;eine Art altdeutscher Sport" betrachtet. Gern soll aber daran erinnert<lb/>
werden, daß im Jahre 1911, als Lusern zum großen Teil abbrannte, das gute<lb/>
deutsche Herz sich auch dieser Unglücklichen erbarmte, obgleich sie keine interessanten<lb/>
Norweger oder Italiener waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_118" next="#ID_119"> Nach dem Kriege wird vielleicht tu dieser Beziehung nicht bloß in der<lb/>
Auffassung der Nation, sondern auch in der Stellungnahme der Regierenden<lb/>
eine Änderung eintreten. Meiner Ansicht nach ist die bäuerliche Bevölkerung<lb/>
nicht bloß auf der Hochteile, sondern in dem ganzen umliegenden alten Deutsch¬<lb/>
gebiet hinsichtlich der Gestaltung ihrer sprachlichen und nationalen Zugehörigkeit<lb/>
weiches Wachs in den Händen der Negierung und der Kirche &#x2014; und diese<lb/>
beiden haben bisher die Verwelschung gefördert. Die Regierung hat, nachdem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] Die Hochebene von Lafraun—Vielgercut auf die zu gründende deutsche Schule freuten. Ein Greis von 80 Jahren saß während der langen Besprechung still neben mir und sagte bloß einigemal, wie aus einem Traum erwachend, „unsere alten Schriften waren alle deutsch" und legte mir zur Bekräftigung die Hand auf die Schulter. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die deutschen Siedler doch schon vereinzelte Bewohner auf der Hochteile vorfanden: der undeutsche Name Lafraun, italienisiert Lavarone, ist verdächtig, und es ist nicht einmal sicher, ob der Name Vielgereut nicht eine deutsche Umwandlung aus einer vordeutschen Ortsbezeichnung ist, aus der die Italiener ihrerseits Folgaria gemacht haben. So sicher es ist, das die deutsche Bevölkerung und die deutsche Sprache jahrhundertelang auf der Hochteile mindestens vorherrschend waren, ebenso sicher ist, daß wir es jetzt nicht bloß mit sprachlicher Verwelschung, sondern mit einem starken Einschlag nichtdeutscher Bevölkerung zu tun haben. Man kann in allen Sprachgrenzgemeinden, wo eine gewisse Doppelsvrachigkeit durch den Verkehr eingeleitet ist, den Einfluß der Kirchen- und Schulsprache auf die Befestigung oder Verdrängung der ursprünglichen Ortssprache nicht hoch genug einschätzen. Aber in Lafraun kann um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts, wo sich die sprachliche Verwelschung dort vollzog, der Einfluß der Schule noch nicht stark genug gewesen sein, um die vorher allgemeine deutsche Haussprache zu verdrängen, wenn diese nicht schon früher durch Einheiraten und Zuwanderung ins Wanken geraten wäre. Hier muß wieder einmal auf die merkwürdige Zugänglichkeit der Deutschen für alle Fremdsprachen und deren spielende Über¬ nahme als Verkehrs- und bald als Haussprache hingewiesen werden. Die Bevölkerung der Hochteile wird direkt vor dem Kriege 6000 bis 7000 Seelen betragen haben, die deutsche Bevölkerung von Tirol beträgt etwa 500000 Seelen, eine Rückverdeutschung des alten Siedlungsgebiets würde also einem zahlenmäßigen Gewinn gleichkommen, wie ihn für das Deutsche Reich die Rückeroberung des Elsaß bedeutete. Die Anstrengungen, die in dieser Richtung von den deutschen Schutzvereinen, namentlich dem „Tiroler Volksbund" und dem „Verein für das Deutschtum im Ausland" gemacht worden sind, haben sowohl in Österreich wie im Reich viel zu wenig Beachtung gefunden, oder wurden als „eine Art altdeutscher Sport" betrachtet. Gern soll aber daran erinnert werden, daß im Jahre 1911, als Lusern zum großen Teil abbrannte, das gute deutsche Herz sich auch dieser Unglücklichen erbarmte, obgleich sie keine interessanten Norweger oder Italiener waren. Nach dem Kriege wird vielleicht tu dieser Beziehung nicht bloß in der Auffassung der Nation, sondern auch in der Stellungnahme der Regierenden eine Änderung eintreten. Meiner Ansicht nach ist die bäuerliche Bevölkerung nicht bloß auf der Hochteile, sondern in dem ganzen umliegenden alten Deutsch¬ gebiet hinsichtlich der Gestaltung ihrer sprachlichen und nationalen Zugehörigkeit weiches Wachs in den Händen der Negierung und der Kirche — und diese beiden haben bisher die Verwelschung gefördert. Die Regierung hat, nachdem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/56>, abgerufen am 29.06.2024.