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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochebene von Lafraun--vielgereut

sie den Hauptschlag geführt hatte, indem sie in den sprachlich noch amphibischen
Gemeinden die italienische Schulsprache einführte, der weiteren Entwicklung im
großen und ganzen mit verschränkten Armen zugesehen, die Kirche aber hat
Tag für Tag der Verwelschung nachgeholfen.

In der ganzen alten Deutschgegend besteht seit Jahren aus Nützlichkeits¬
gründen eine große Geneigtheit zur Erlernung der deutschen Sprache: die vielen
armen Bewohner der Hochteile und Umgebung, die im Frühjahr auf Arbeit
nach Deutschland und Österreich gehen, ja selbst nach Amerika auswandern,
haben die Wichtigkeit der deutschen Sprache im Kampf ums Dasein erkannt
und wollen dieses Hilfsmittel sich selbst, ihren jüngeren Brüdern und Kindern
verschaffen. Dazu kommen aber bei manchen auch idealere Gesichtspunkte: sie
haben im Reich den Unterschied zwischen dem Emporkommen der deutschen
Städte und der Rückständigkeit ihrer welschen Umgebung gesehen, und lassen
sich nicht ungern sagen, daß sie von Haus aus auch zu diesem machtvollen
deutschen Volk gehören. Diesem Bedürfnis und den an sie gerichteten Bitten
sind die Schutzvereine nachgekommen, indem sie in einer ganzen Reihe von
Orten deutsche Sprachkurse eingerichtet haben, um allmählich auch mit dem Bau von
Kindergärten und Schulen zu beginnen. Der beste Beweis dafür, daß es sich bei
diesem Vorgehen der Schutzvereine nicht um eine vom Zaum gebrochene Friedens¬
störung, nicht um einen Einbruch in fremdes Sprachgebiet handelt, sondern um
ein Entgegenkommen gegenüber einem schreienden Bedürfnis von Volksgenossen,
ist die Tatsache, daß die mit der Jrredenta zusammenhängenden italienischen
Vereine denselben Ortschaften ebenfalls deutsche Sprachkurse angeboten und solche
zum Teil auch eingerichtet haben, um ihren Einfluß nicht zu verlieren. Dieser
Einfluß beruht im wesentlichen auf der wirtschaftlichen Abhängigkeit vieler
Bauern von den irredentistisch verseuchten Nachbarstädten.

Schon die Notwendigkeit, ihre Erzeugnisse in diese Städte, namentlich nach
Roveredo, zu verkaufen, bringt die meisten Bauern in eine gewisse Abhängigkeit;
manche sind überdies an die Händler und Banken verschuldet, andere sind nur
Pächter ihrer Almen, während die Besitzer Italiener sind. Für Lafraun kommt
noch hinzu, daß der Ort mit seinem hübschen See und seiner frischen Luft eine
beliebte und stark besuchte Sommerfrische der Welschtiroler und Reichsitaliener
ist, die eine solche Gelegenheit, nationale Propaganda zu machen, ganz anders
ausnützen als unsere deutschen Reisenden in den ausländischen Grenzgebieten.
Wenn aber auch viele der Bauern unter dem Druck der Jrredenta stehen und
deshalb sich der Einführung des Deutschen als Schulsprache -- nicht den Sprach¬
kursen -- widersetzen, so darf man doch sagen, daß sie mit verschwindenden
Ausnahmen kaisertreu sind. Die Vernichtung von Luseru und Vielgereut durch
die Italiener wird etwaige italienische Sympathien nicht gesteigert haben!*)



*) Die geretteten Luserner befinden sich jetzt in Böhmen in Nestomitz bei Aussig an
der Elbe.
Die Hochebene von Lafraun—vielgereut

sie den Hauptschlag geführt hatte, indem sie in den sprachlich noch amphibischen
Gemeinden die italienische Schulsprache einführte, der weiteren Entwicklung im
großen und ganzen mit verschränkten Armen zugesehen, die Kirche aber hat
Tag für Tag der Verwelschung nachgeholfen.

In der ganzen alten Deutschgegend besteht seit Jahren aus Nützlichkeits¬
gründen eine große Geneigtheit zur Erlernung der deutschen Sprache: die vielen
armen Bewohner der Hochteile und Umgebung, die im Frühjahr auf Arbeit
nach Deutschland und Österreich gehen, ja selbst nach Amerika auswandern,
haben die Wichtigkeit der deutschen Sprache im Kampf ums Dasein erkannt
und wollen dieses Hilfsmittel sich selbst, ihren jüngeren Brüdern und Kindern
verschaffen. Dazu kommen aber bei manchen auch idealere Gesichtspunkte: sie
haben im Reich den Unterschied zwischen dem Emporkommen der deutschen
Städte und der Rückständigkeit ihrer welschen Umgebung gesehen, und lassen
sich nicht ungern sagen, daß sie von Haus aus auch zu diesem machtvollen
deutschen Volk gehören. Diesem Bedürfnis und den an sie gerichteten Bitten
sind die Schutzvereine nachgekommen, indem sie in einer ganzen Reihe von
Orten deutsche Sprachkurse eingerichtet haben, um allmählich auch mit dem Bau von
Kindergärten und Schulen zu beginnen. Der beste Beweis dafür, daß es sich bei
diesem Vorgehen der Schutzvereine nicht um eine vom Zaum gebrochene Friedens¬
störung, nicht um einen Einbruch in fremdes Sprachgebiet handelt, sondern um
ein Entgegenkommen gegenüber einem schreienden Bedürfnis von Volksgenossen,
ist die Tatsache, daß die mit der Jrredenta zusammenhängenden italienischen
Vereine denselben Ortschaften ebenfalls deutsche Sprachkurse angeboten und solche
zum Teil auch eingerichtet haben, um ihren Einfluß nicht zu verlieren. Dieser
Einfluß beruht im wesentlichen auf der wirtschaftlichen Abhängigkeit vieler
Bauern von den irredentistisch verseuchten Nachbarstädten.

Schon die Notwendigkeit, ihre Erzeugnisse in diese Städte, namentlich nach
Roveredo, zu verkaufen, bringt die meisten Bauern in eine gewisse Abhängigkeit;
manche sind überdies an die Händler und Banken verschuldet, andere sind nur
Pächter ihrer Almen, während die Besitzer Italiener sind. Für Lafraun kommt
noch hinzu, daß der Ort mit seinem hübschen See und seiner frischen Luft eine
beliebte und stark besuchte Sommerfrische der Welschtiroler und Reichsitaliener
ist, die eine solche Gelegenheit, nationale Propaganda zu machen, ganz anders
ausnützen als unsere deutschen Reisenden in den ausländischen Grenzgebieten.
Wenn aber auch viele der Bauern unter dem Druck der Jrredenta stehen und
deshalb sich der Einführung des Deutschen als Schulsprache — nicht den Sprach¬
kursen — widersetzen, so darf man doch sagen, daß sie mit verschwindenden
Ausnahmen kaisertreu sind. Die Vernichtung von Luseru und Vielgereut durch
die Italiener wird etwaige italienische Sympathien nicht gesteigert haben!*)



*) Die geretteten Luserner befinden sich jetzt in Böhmen in Nestomitz bei Aussig an
der Elbe.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/57>, abgerufen am 26.06.2024.