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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochebene von Lafraun--vielgcreut

Orten erhalten sich immerhin die Reste der ursprünglichen Sprache mehr am
Leben, ja, in Se. Sebastian ist sie noch immer die gewöhnliche Umgangssprache,
wenngleich jedermann italienisch nicht nur versteht, sondern auch spricht."

Wir haben also nach dem Zeugnis eines gewiß nicht im deutschen Sinn
voreingenommenen Jtalieners in unserer Großgemeinde Vielgereut eine
ursprünglich rein deutsche Bevölkerung vor uns, die jahrhundertelang trotz der
verwelschenden Einflüsse von Kirche und Amt an ihrer Muttersprache festhielt,
und sie erst jetzt vollends einzubüßen in Gefahr ist, nachdem seit mindestens
zwei Menschenaltern das Italienische auch die Schule beherrscht.

Die Angaben Don Botteas werden durch die noch im Gebrauch stehenden
Berg- und Flurnamen, durch die Namen der Höfe und Familien, die Anlage
und Bauart der Gehöfte und nicht zum mindesten durch das Aussehen und
Wesen der oder wenigstens vieler Bewohner bestätigt.

Kommt man von Ko.loono.zzo nach etwa zwei Stunden bequemen Gehens
auf die Höhe, so sieht man auf deren leicht gewellter Fläche Äcker und Matten,
die von kleinen Wäldchen unterbrochen sind, und eine ziemliche Anzahl
regellos verstreuter Einzelhöfe und kleiner Weiler. Daß man hier so nahe
an der Grenze Italiens steht, muß man sich erst künstlich in Erinnerung
bringen, denn nicht bloß Feld und Wald, sondern auch die zerstreute Lage
und Bauart der Niederlassungen ist alles, bloß nicht italienisch! Jeden Deutschen
wird die Gegend an irgendeine Mittelgebirgslaudschaft erinnern, mir rief sie
aufs lebhafteste eine Schwarzwaldgegend, die der "24 Höfe" zwischen Alpirs-
bach und Freudenstadt, ins Gedächtnis, welche der Dichter und Altertumsforscher
Paulus mit den Worten kennzeichnete "echt allemannische Stimmung". Der
erste der Höfe auf der Hochteile, an dem wir vorbeikamen, wies über der Tür
in großen Buchstaben den Namen "Elbele" auf -- vielleicht die Verkleinerungs¬
form des in Schwaben wohlbekannten Namens Elben. Andere Höfe heißen
Gaspari. Bertholdi, Wirti. Diese Namen waren aber noch lange nicht die
schlimmsten unter den angeblich italienischen. Auch die Vorfahren der Hofbauern
"Perenspruneri" und "Slagenaufi" werden eher nicht tirolische Bärensbrunner
und Schlagenaufe, aber keine Namenserben römischer Feldhauptleute gewesen sein l

Was die Bevölkerung anbelangt, so habe ich in Se. Sebastian, wo ich
den Größten der zurzeit ortsanwesenden Einwohner kennen gelernt habe, eine
ganze Menge ausgesprochen deutscher Erscheinungen, darunter einige wahre
Defreggergestalten gesehen, aber man müßte blind oder verblendet sein, wenn
man bei Kreuz- und Querfahrten auf der Hochteile, namentlich auch in der
Gegend von Lafraun, nicht auch auf viele zweifellos nichtdeutsche Gesichter
aufmerksam würde. In Bezug auf die Sprache habe ich Se. Sebastian unge¬
fähr in dem Stand gefunden, den Don Bottca für Vielgereut im Jahr 1860
angibt: nur einige alte Leute hingen noch an der angestammten Mundart.
Bei diesen war es ergreifend zu beobachten, wie ihre Jugenderinnerungen
"als alles noch deutsch war" in ihnen auflebten und wie sie sich für ihre Enkel


Die Hochebene von Lafraun—vielgcreut

Orten erhalten sich immerhin die Reste der ursprünglichen Sprache mehr am
Leben, ja, in Se. Sebastian ist sie noch immer die gewöhnliche Umgangssprache,
wenngleich jedermann italienisch nicht nur versteht, sondern auch spricht."

Wir haben also nach dem Zeugnis eines gewiß nicht im deutschen Sinn
voreingenommenen Jtalieners in unserer Großgemeinde Vielgereut eine
ursprünglich rein deutsche Bevölkerung vor uns, die jahrhundertelang trotz der
verwelschenden Einflüsse von Kirche und Amt an ihrer Muttersprache festhielt,
und sie erst jetzt vollends einzubüßen in Gefahr ist, nachdem seit mindestens
zwei Menschenaltern das Italienische auch die Schule beherrscht.

Die Angaben Don Botteas werden durch die noch im Gebrauch stehenden
Berg- und Flurnamen, durch die Namen der Höfe und Familien, die Anlage
und Bauart der Gehöfte und nicht zum mindesten durch das Aussehen und
Wesen der oder wenigstens vieler Bewohner bestätigt.

Kommt man von Ko.loono.zzo nach etwa zwei Stunden bequemen Gehens
auf die Höhe, so sieht man auf deren leicht gewellter Fläche Äcker und Matten,
die von kleinen Wäldchen unterbrochen sind, und eine ziemliche Anzahl
regellos verstreuter Einzelhöfe und kleiner Weiler. Daß man hier so nahe
an der Grenze Italiens steht, muß man sich erst künstlich in Erinnerung
bringen, denn nicht bloß Feld und Wald, sondern auch die zerstreute Lage
und Bauart der Niederlassungen ist alles, bloß nicht italienisch! Jeden Deutschen
wird die Gegend an irgendeine Mittelgebirgslaudschaft erinnern, mir rief sie
aufs lebhafteste eine Schwarzwaldgegend, die der „24 Höfe" zwischen Alpirs-
bach und Freudenstadt, ins Gedächtnis, welche der Dichter und Altertumsforscher
Paulus mit den Worten kennzeichnete „echt allemannische Stimmung". Der
erste der Höfe auf der Hochteile, an dem wir vorbeikamen, wies über der Tür
in großen Buchstaben den Namen „Elbele" auf — vielleicht die Verkleinerungs¬
form des in Schwaben wohlbekannten Namens Elben. Andere Höfe heißen
Gaspari. Bertholdi, Wirti. Diese Namen waren aber noch lange nicht die
schlimmsten unter den angeblich italienischen. Auch die Vorfahren der Hofbauern
„Perenspruneri" und „Slagenaufi" werden eher nicht tirolische Bärensbrunner
und Schlagenaufe, aber keine Namenserben römischer Feldhauptleute gewesen sein l

Was die Bevölkerung anbelangt, so habe ich in Se. Sebastian, wo ich
den Größten der zurzeit ortsanwesenden Einwohner kennen gelernt habe, eine
ganze Menge ausgesprochen deutscher Erscheinungen, darunter einige wahre
Defreggergestalten gesehen, aber man müßte blind oder verblendet sein, wenn
man bei Kreuz- und Querfahrten auf der Hochteile, namentlich auch in der
Gegend von Lafraun, nicht auch auf viele zweifellos nichtdeutsche Gesichter
aufmerksam würde. In Bezug auf die Sprache habe ich Se. Sebastian unge¬
fähr in dem Stand gefunden, den Don Bottca für Vielgereut im Jahr 1860
angibt: nur einige alte Leute hingen noch an der angestammten Mundart.
Bei diesen war es ergreifend zu beobachten, wie ihre Jugenderinnerungen
„als alles noch deutsch war" in ihnen auflebten und wie sie sich für ihre Enkel


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[0055] Die Hochebene von Lafraun—vielgcreut Orten erhalten sich immerhin die Reste der ursprünglichen Sprache mehr am Leben, ja, in Se. Sebastian ist sie noch immer die gewöhnliche Umgangssprache, wenngleich jedermann italienisch nicht nur versteht, sondern auch spricht." Wir haben also nach dem Zeugnis eines gewiß nicht im deutschen Sinn voreingenommenen Jtalieners in unserer Großgemeinde Vielgereut eine ursprünglich rein deutsche Bevölkerung vor uns, die jahrhundertelang trotz der verwelschenden Einflüsse von Kirche und Amt an ihrer Muttersprache festhielt, und sie erst jetzt vollends einzubüßen in Gefahr ist, nachdem seit mindestens zwei Menschenaltern das Italienische auch die Schule beherrscht. Die Angaben Don Botteas werden durch die noch im Gebrauch stehenden Berg- und Flurnamen, durch die Namen der Höfe und Familien, die Anlage und Bauart der Gehöfte und nicht zum mindesten durch das Aussehen und Wesen der oder wenigstens vieler Bewohner bestätigt. Kommt man von Ko.loono.zzo nach etwa zwei Stunden bequemen Gehens auf die Höhe, so sieht man auf deren leicht gewellter Fläche Äcker und Matten, die von kleinen Wäldchen unterbrochen sind, und eine ziemliche Anzahl regellos verstreuter Einzelhöfe und kleiner Weiler. Daß man hier so nahe an der Grenze Italiens steht, muß man sich erst künstlich in Erinnerung bringen, denn nicht bloß Feld und Wald, sondern auch die zerstreute Lage und Bauart der Niederlassungen ist alles, bloß nicht italienisch! Jeden Deutschen wird die Gegend an irgendeine Mittelgebirgslaudschaft erinnern, mir rief sie aufs lebhafteste eine Schwarzwaldgegend, die der „24 Höfe" zwischen Alpirs- bach und Freudenstadt, ins Gedächtnis, welche der Dichter und Altertumsforscher Paulus mit den Worten kennzeichnete „echt allemannische Stimmung". Der erste der Höfe auf der Hochteile, an dem wir vorbeikamen, wies über der Tür in großen Buchstaben den Namen „Elbele" auf — vielleicht die Verkleinerungs¬ form des in Schwaben wohlbekannten Namens Elben. Andere Höfe heißen Gaspari. Bertholdi, Wirti. Diese Namen waren aber noch lange nicht die schlimmsten unter den angeblich italienischen. Auch die Vorfahren der Hofbauern „Perenspruneri" und „Slagenaufi" werden eher nicht tirolische Bärensbrunner und Schlagenaufe, aber keine Namenserben römischer Feldhauptleute gewesen sein l Was die Bevölkerung anbelangt, so habe ich in Se. Sebastian, wo ich den Größten der zurzeit ortsanwesenden Einwohner kennen gelernt habe, eine ganze Menge ausgesprochen deutscher Erscheinungen, darunter einige wahre Defreggergestalten gesehen, aber man müßte blind oder verblendet sein, wenn man bei Kreuz- und Querfahrten auf der Hochteile, namentlich auch in der Gegend von Lafraun, nicht auch auf viele zweifellos nichtdeutsche Gesichter aufmerksam würde. In Bezug auf die Sprache habe ich Se. Sebastian unge¬ fähr in dem Stand gefunden, den Don Bottca für Vielgereut im Jahr 1860 angibt: nur einige alte Leute hingen noch an der angestammten Mundart. Bei diesen war es ergreifend zu beobachten, wie ihre Jugenderinnerungen „als alles noch deutsch war" in ihnen auflebten und wie sie sich für ihre Enkel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/55>, abgerufen am 01.07.2024.