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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochebene von Lafraun--vielgereut

und Drommeten ins deutsche Lager übergehen wollte, und die wackeren Volks¬
genossen führten uns auf unserem erwähnten Patrouillen gang im Jahre 1906
im Triumph auf das Schulgrundstück, das vor dem Ort neben der stattlichen
Kirche gelegen war und wo schon die Gräben für die Grundmauern der
künftigen Schule ausgehoben waren. Leider hatte man, um dies voraus¬
zuschicken, die Rechnung ohne den Wirt, in diesem Fall ohne den Herrn
Pfarrer, gemacht, der als Nachbar Einsprache gegen den Schulbau erhob, wie
mir berichtet wurde, wegen des für die Kirche störenden Lärms. Leider wurde
auch sonst viel Wasser in den Wein gegossen; die Jrredenta ließ, wie voraus'
zusehen war, alle Minen springen und der Schulbau in Se. Sebastian mußte
bis auf weiteres unterbleiben. Er wurde statt dessen in Vielgereut selbst und
in größerem Maßstab ausgeführt.

Die Großgemeinde Vielgereut hat ganz ähnlich wie die berühmten "sieben
Gemeinden" vom frühen Mittelalter bis in die Zeiten Napoleons eine Art
Bauernfreistaat gebildet, aber, während wir über die Entstehung der sieben
Gemeinden auf Vermutungen angewiesen sind, haben wir über Vielgereut und
seine Geschichte ziemlich genaue Nachrichten.

Die uralte politische Gemeinde Folgaria besteht außer dem Hauptort aus
den Weilern Se. Sebastian, Carbonari (Rechental) und Nosellari (Haslach),
welche auf der Höhe liegen, und den am Abhang gegen die Etsch liegenden
Weilern Mezzomonte (Mitterberg) und serrata sowie aus einer großen Anzahl
von Einzelhöfen; sie umfaßt ein Gebiet von etwa einer Quadratmeile. Durch
einen Glücksfall ist das vermodernde Archiv dieser merkwürdigen Gemeinde von
einem früheren Pfarrer derselben, Don Bottea, zu einem sehr lesenswerten
Büchlein verarbeitet worden. (Die Urkunden selbst sind anscheinend verschwunden!)
Don Bottea fängt feine "LnronaLa, eil t^olMna" (Trient 1860) damit an,
daß er den rein deutschen Ursprung der Bevölkerung hervorhebt und durch
Aufzählung der deutschen Familiennamen bekräftigt. Er erzählt, wie die
Gemeinde gegen Ende des zwölften Jahrhunderts aus Rodungen im unberührten
Waldgebirg hervorgegangen, bald darauf durch deutsche Ansiedler deZ Trienter
Bischofs Friedrich von Wangen und später wiederum lediglich durch andere
Deutsche aus den benachbarten Berggemeinden im Vicentinischen, verstärkt worden
sei, um dann wörtlich wie folgt fortzufahren: "Plötzlich um die Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts erscheinen Urkunden in rauhem (ro^o) Italienisch
und es ist sicher, daß um 1560 in der Kirche in Folgaria in italienischer
Sprache gepredigt wurde und daß die öffentlichen Angelegenheiten in ähnlicher
Form abgemacht wurden. Im gewöhnlichen Verkehr erhielt sich aber der alte
Dialekt und der größte Teil des Volkes verstand zwar italienisch, konnte es aber
nicht sprechen, oder wenigstens nur ziemlich fehlerhaft: heutzutage können nur
bejahrte Personen den alten Dialekt und diese gebrauchen ihn nur selten. Dank
dem Einfluß der öffentlichen italienischen Schulen wird das Italienische in
Gestalt des Roveretanischen Dialekts allgemein gesprochen. In den benachbarten


Die Hochebene von Lafraun—vielgereut

und Drommeten ins deutsche Lager übergehen wollte, und die wackeren Volks¬
genossen führten uns auf unserem erwähnten Patrouillen gang im Jahre 1906
im Triumph auf das Schulgrundstück, das vor dem Ort neben der stattlichen
Kirche gelegen war und wo schon die Gräben für die Grundmauern der
künftigen Schule ausgehoben waren. Leider hatte man, um dies voraus¬
zuschicken, die Rechnung ohne den Wirt, in diesem Fall ohne den Herrn
Pfarrer, gemacht, der als Nachbar Einsprache gegen den Schulbau erhob, wie
mir berichtet wurde, wegen des für die Kirche störenden Lärms. Leider wurde
auch sonst viel Wasser in den Wein gegossen; die Jrredenta ließ, wie voraus'
zusehen war, alle Minen springen und der Schulbau in Se. Sebastian mußte
bis auf weiteres unterbleiben. Er wurde statt dessen in Vielgereut selbst und
in größerem Maßstab ausgeführt.

Die Großgemeinde Vielgereut hat ganz ähnlich wie die berühmten „sieben
Gemeinden" vom frühen Mittelalter bis in die Zeiten Napoleons eine Art
Bauernfreistaat gebildet, aber, während wir über die Entstehung der sieben
Gemeinden auf Vermutungen angewiesen sind, haben wir über Vielgereut und
seine Geschichte ziemlich genaue Nachrichten.

Die uralte politische Gemeinde Folgaria besteht außer dem Hauptort aus
den Weilern Se. Sebastian, Carbonari (Rechental) und Nosellari (Haslach),
welche auf der Höhe liegen, und den am Abhang gegen die Etsch liegenden
Weilern Mezzomonte (Mitterberg) und serrata sowie aus einer großen Anzahl
von Einzelhöfen; sie umfaßt ein Gebiet von etwa einer Quadratmeile. Durch
einen Glücksfall ist das vermodernde Archiv dieser merkwürdigen Gemeinde von
einem früheren Pfarrer derselben, Don Bottea, zu einem sehr lesenswerten
Büchlein verarbeitet worden. (Die Urkunden selbst sind anscheinend verschwunden!)
Don Bottea fängt feine „LnronaLa, eil t^olMna" (Trient 1860) damit an,
daß er den rein deutschen Ursprung der Bevölkerung hervorhebt und durch
Aufzählung der deutschen Familiennamen bekräftigt. Er erzählt, wie die
Gemeinde gegen Ende des zwölften Jahrhunderts aus Rodungen im unberührten
Waldgebirg hervorgegangen, bald darauf durch deutsche Ansiedler deZ Trienter
Bischofs Friedrich von Wangen und später wiederum lediglich durch andere
Deutsche aus den benachbarten Berggemeinden im Vicentinischen, verstärkt worden
sei, um dann wörtlich wie folgt fortzufahren: „Plötzlich um die Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts erscheinen Urkunden in rauhem (ro^o) Italienisch
und es ist sicher, daß um 1560 in der Kirche in Folgaria in italienischer
Sprache gepredigt wurde und daß die öffentlichen Angelegenheiten in ähnlicher
Form abgemacht wurden. Im gewöhnlichen Verkehr erhielt sich aber der alte
Dialekt und der größte Teil des Volkes verstand zwar italienisch, konnte es aber
nicht sprechen, oder wenigstens nur ziemlich fehlerhaft: heutzutage können nur
bejahrte Personen den alten Dialekt und diese gebrauchen ihn nur selten. Dank
dem Einfluß der öffentlichen italienischen Schulen wird das Italienische in
Gestalt des Roveretanischen Dialekts allgemein gesprochen. In den benachbarten


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[0054] Die Hochebene von Lafraun—vielgereut und Drommeten ins deutsche Lager übergehen wollte, und die wackeren Volks¬ genossen führten uns auf unserem erwähnten Patrouillen gang im Jahre 1906 im Triumph auf das Schulgrundstück, das vor dem Ort neben der stattlichen Kirche gelegen war und wo schon die Gräben für die Grundmauern der künftigen Schule ausgehoben waren. Leider hatte man, um dies voraus¬ zuschicken, die Rechnung ohne den Wirt, in diesem Fall ohne den Herrn Pfarrer, gemacht, der als Nachbar Einsprache gegen den Schulbau erhob, wie mir berichtet wurde, wegen des für die Kirche störenden Lärms. Leider wurde auch sonst viel Wasser in den Wein gegossen; die Jrredenta ließ, wie voraus' zusehen war, alle Minen springen und der Schulbau in Se. Sebastian mußte bis auf weiteres unterbleiben. Er wurde statt dessen in Vielgereut selbst und in größerem Maßstab ausgeführt. Die Großgemeinde Vielgereut hat ganz ähnlich wie die berühmten „sieben Gemeinden" vom frühen Mittelalter bis in die Zeiten Napoleons eine Art Bauernfreistaat gebildet, aber, während wir über die Entstehung der sieben Gemeinden auf Vermutungen angewiesen sind, haben wir über Vielgereut und seine Geschichte ziemlich genaue Nachrichten. Die uralte politische Gemeinde Folgaria besteht außer dem Hauptort aus den Weilern Se. Sebastian, Carbonari (Rechental) und Nosellari (Haslach), welche auf der Höhe liegen, und den am Abhang gegen die Etsch liegenden Weilern Mezzomonte (Mitterberg) und serrata sowie aus einer großen Anzahl von Einzelhöfen; sie umfaßt ein Gebiet von etwa einer Quadratmeile. Durch einen Glücksfall ist das vermodernde Archiv dieser merkwürdigen Gemeinde von einem früheren Pfarrer derselben, Don Bottea, zu einem sehr lesenswerten Büchlein verarbeitet worden. (Die Urkunden selbst sind anscheinend verschwunden!) Don Bottea fängt feine „LnronaLa, eil t^olMna" (Trient 1860) damit an, daß er den rein deutschen Ursprung der Bevölkerung hervorhebt und durch Aufzählung der deutschen Familiennamen bekräftigt. Er erzählt, wie die Gemeinde gegen Ende des zwölften Jahrhunderts aus Rodungen im unberührten Waldgebirg hervorgegangen, bald darauf durch deutsche Ansiedler deZ Trienter Bischofs Friedrich von Wangen und später wiederum lediglich durch andere Deutsche aus den benachbarten Berggemeinden im Vicentinischen, verstärkt worden sei, um dann wörtlich wie folgt fortzufahren: „Plötzlich um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts erscheinen Urkunden in rauhem (ro^o) Italienisch und es ist sicher, daß um 1560 in der Kirche in Folgaria in italienischer Sprache gepredigt wurde und daß die öffentlichen Angelegenheiten in ähnlicher Form abgemacht wurden. Im gewöhnlichen Verkehr erhielt sich aber der alte Dialekt und der größte Teil des Volkes verstand zwar italienisch, konnte es aber nicht sprechen, oder wenigstens nur ziemlich fehlerhaft: heutzutage können nur bejahrte Personen den alten Dialekt und diese gebrauchen ihn nur selten. Dank dem Einfluß der öffentlichen italienischen Schulen wird das Italienische in Gestalt des Roveretanischen Dialekts allgemein gesprochen. In den benachbarten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/54>, abgerufen am 03.07.2024.