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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochebene von kafraun--Vielgereut

zuhörte, schaute ich wohl hinunter in die gähnende Schlucht des Centabachs zu unserer
Rechten, aber lediglich in Gedanken an die Schwierigkeiten und Mühseligkeiten
militärischer Bewegungen in diesem Gelände. Daß die Felsenwände des aben¬
teuerlichen Benno ti Madonna, die vor uns aufstiegen, einmal von Kanonen¬
donner widerhallen würden, daran dachte wohl auch mein Begleiter, ein ehe¬
maliger österreichischer Offizier, nicht -- und doch befanden wir uns ja selbst
auf dem Kriegspfad in einer Gegend, wo das alte bodenständige Deutschtum
der vordringenden italienischen Sprache und Art vollends zu erliegen droht
oder wenigstens gedroht hat.

Die Hochteile ist deutsches Siedlungsgebiet aus der Hohenstaufenzeit und
war bis vor nicht allzulanger Zeit deutsches Sprachgebiet. Dieses stand in
ununterbrochenem Zusammenhang mit dem älteren bodenständigen Deutschtum
im Suganertal, das von Borgo (Burg) aufwärts bis in seine Quelltäler hinein¬
reichte und bon Anschluß an das Fersental und seine Umgebung hatte. Im
Süden lehnte es sich an die "sieben Gemeinden" im Vicentinischen Bergland
und an die dreizehn Gemeinden im Gebirge von Verona.

In diesem ausgedehnten ehemaligen deutschen Sprachgebiet ist die boden¬
ständige alte Mundart stark zurückgegangen: die allgemeine Sprache ist sie
nur noch auf der linken Seite des Fersentals und als Haussprache wird sie
-- merkwürdigerweise -- noch in einem Teil der "sieben Konnaue" gesprochen,
obgleich diese seit 1866 zu Italien gehören. Im Suganertal ist sie erloschen
und uns nur durch die, im Mund der Bevölkerung fortlebenden, Familien-,
Berg- und Flurnamen und durch das "Wörterbuch der Persener-, Rund-
scheiner (Noncegnoer), Lafrauner- usw. - Sprache" erhalten, das ein Persener
namens Simon Peter Bartolomei zur Zeit Maria Theresias zusammen¬
gestellt hat.

Wohl versteht man in diesen Gegenden auch hente noch überall deutsch,
aber bei der eingesessener Bevölkerung ist dieses Deutsch nicht mehr die Mutter¬
sprache, sondern es ist entweder beim Militär oder im Dienst in den Luftkur-
und Badeorten als die andere Landes- und Verkehrssprache, oder bei der
Arbeit im Ausland geradezu als Fremdsprache erlernt worden. Daher kommt
es auch, daß in diesem Bezirk meist nur die Männer deutsch sprechen.

Auf der Hochteile hat sich das Deutsche als Muttersprache erhalten in
dem wirklich treudeutschen Lusern, wo Kirche und Schule mit dem bewußten
Deutschtum der Bevölkerung Hand in Hand gehen. Abgesehen von dieser kleinen
Sprachinsel fristet die alte Mundart nur noch ein kümmerliches Leben in
Se. Sebastian, dem ansehnlichsten Teildorf von Vielgereut. Um so größer war
die Freude in der deutschen Bevölkerung Tirols und in den Kreisen der deutschen
Schutzvereine, als im Jahre 1906 aus der Gemeinde Se. Sebastian die Bitte
an den deutschen Schulverein erging, er möchte an Stelle der im Jahre
1884 ausgelassenen deutschen Schule eine "Schulvereinsschule" gründen.
Es hatte damals den Anschein, als wenn die ganze Gemeinde mit Pauken


Die Hochebene von kafraun—Vielgereut

zuhörte, schaute ich wohl hinunter in die gähnende Schlucht des Centabachs zu unserer
Rechten, aber lediglich in Gedanken an die Schwierigkeiten und Mühseligkeiten
militärischer Bewegungen in diesem Gelände. Daß die Felsenwände des aben¬
teuerlichen Benno ti Madonna, die vor uns aufstiegen, einmal von Kanonen¬
donner widerhallen würden, daran dachte wohl auch mein Begleiter, ein ehe¬
maliger österreichischer Offizier, nicht — und doch befanden wir uns ja selbst
auf dem Kriegspfad in einer Gegend, wo das alte bodenständige Deutschtum
der vordringenden italienischen Sprache und Art vollends zu erliegen droht
oder wenigstens gedroht hat.

Die Hochteile ist deutsches Siedlungsgebiet aus der Hohenstaufenzeit und
war bis vor nicht allzulanger Zeit deutsches Sprachgebiet. Dieses stand in
ununterbrochenem Zusammenhang mit dem älteren bodenständigen Deutschtum
im Suganertal, das von Borgo (Burg) aufwärts bis in seine Quelltäler hinein¬
reichte und bon Anschluß an das Fersental und seine Umgebung hatte. Im
Süden lehnte es sich an die „sieben Gemeinden" im Vicentinischen Bergland
und an die dreizehn Gemeinden im Gebirge von Verona.

In diesem ausgedehnten ehemaligen deutschen Sprachgebiet ist die boden¬
ständige alte Mundart stark zurückgegangen: die allgemeine Sprache ist sie
nur noch auf der linken Seite des Fersentals und als Haussprache wird sie
— merkwürdigerweise — noch in einem Teil der „sieben Konnaue" gesprochen,
obgleich diese seit 1866 zu Italien gehören. Im Suganertal ist sie erloschen
und uns nur durch die, im Mund der Bevölkerung fortlebenden, Familien-,
Berg- und Flurnamen und durch das „Wörterbuch der Persener-, Rund-
scheiner (Noncegnoer), Lafrauner- usw. - Sprache" erhalten, das ein Persener
namens Simon Peter Bartolomei zur Zeit Maria Theresias zusammen¬
gestellt hat.

Wohl versteht man in diesen Gegenden auch hente noch überall deutsch,
aber bei der eingesessener Bevölkerung ist dieses Deutsch nicht mehr die Mutter¬
sprache, sondern es ist entweder beim Militär oder im Dienst in den Luftkur-
und Badeorten als die andere Landes- und Verkehrssprache, oder bei der
Arbeit im Ausland geradezu als Fremdsprache erlernt worden. Daher kommt
es auch, daß in diesem Bezirk meist nur die Männer deutsch sprechen.

Auf der Hochteile hat sich das Deutsche als Muttersprache erhalten in
dem wirklich treudeutschen Lusern, wo Kirche und Schule mit dem bewußten
Deutschtum der Bevölkerung Hand in Hand gehen. Abgesehen von dieser kleinen
Sprachinsel fristet die alte Mundart nur noch ein kümmerliches Leben in
Se. Sebastian, dem ansehnlichsten Teildorf von Vielgereut. Um so größer war
die Freude in der deutschen Bevölkerung Tirols und in den Kreisen der deutschen
Schutzvereine, als im Jahre 1906 aus der Gemeinde Se. Sebastian die Bitte
an den deutschen Schulverein erging, er möchte an Stelle der im Jahre
1884 ausgelassenen deutschen Schule eine „Schulvereinsschule" gründen.
Es hatte damals den Anschein, als wenn die ganze Gemeinde mit Pauken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/53>, abgerufen am 22.07.2024.