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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der neuen Lrnte entgegen I

und Reibungen nicht erfüllen ließ. Die Kriegs-Getreidegesellschaft hat die
Durchführung des Getreidemonpols mit außerordentlichem kaufmännischen Geschick
in Angriff genommen, ihre Leistungen konnten aber nicht allen Anforderungen
des großes Heeres verschiedenartiger Interessenten gerecht werden, weil der den
ganzen Getreidehandelsmechanismus lahmlegende Zwang in zu viele Gewohn¬
heiten des freien Verkehrs störend eingriff. Es war ein bedenkliches Wagnis,
eine kaufmännisch organisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit der
Aufgabe zu betrauen, für 60 bis 70 Millionen Menschen einschließlich des Heeres
und der Kriegsgefangenen jede Woche das erforderliche Mehl bereitzustellen.
Die hierzu erforderlichen Getreidebestände mußten mit einer gewissen Rücksichts¬
losigkeit schleunigst aufgebracht werden. Landwirtschaftliche Unternehmer,
Getreidehändler und Mahlmühlen konnten in die unvermeidlichen Eingriffe sich
schwer hereinfinden. Besonders die landwirtschaftliche Selbstverwaltung fühlte
sich durch die Fortnahme des in ihrem Bezirk erwachsenen Brotgetreides be¬
einträchtigt. Manche Beschwerde wurde nach den ersten Monaten etwas
stürmischen Auslaufens der Vorräte für die Berliner Zentrale allerdings dadurch
beseitigt, daß einer Bestimmung größere Geltung gegeben wurde, wonach die
Kriegs-Getreidegesellschast verpflichtet war, von ihrem Getreide dem Kommunal¬
verbände, in dessen Bezirk sich das Getreide befand, soviel auf Verlangen zu
übereignen, wie dem vorschriftsmäßigen Bedarfsanteil jenes Verbandes entsprach.
Die den Kommunalverbänden hiermit zugestandene Selbstbewirtschaftung erleichterte
die Arbeitslast der Kriegs - Getreidegesellschaft. Den Unternehmern landwirt¬
schaftlicher Betriebe war außerdem die Selbstversorgung zugestanden; sie durften
die zur Ernährung ihrer Angehörigen und zur Frühjahrsbestellung benötigten
Vorräte aussondern und von der Enteignung ausnehmen.

Nach den bisherigen günstigen Erfahrungen wird an den Grundsätzen der
Selbstverwaltung und der Selbstbewirtschaftung in erweitertem Maße festgehalten
werden. Die Kommunalverbände werden unabhängiger von der Kriegs-
Getreidegesellschaft, die nicht mehr selbständig das Getreide beschlagnahmen
und enteignen soll, sondern der von den Kommunen die Überschüsse zugewiesen
werden. Aus der Zusammenlegung der Reichsverteilungsstelle, die die Bedingungen
der planmäßigen Ernährnngswirtschaft festzustellen hat, mit der die Verteilung
ausführenden Kriegs-Getreidegesellschaft geht nach dem neuen Plan die Reichs-
getreidestelle hervor, eine Reichsbehörde zur Versorgung der Bevölkerung mit
Brodgetreide und Mehl. Die weiteren Bestimmungen betreffen das Ausmahlen
von Mehl und dessen Verteilung seitens der Kommunalverbände an Bäcker,
Konditoren und Kleinhändler.

Die umgewandelte Ernährungsrüstung wäre ein Stückwerk, wenn sie nur
auf das Brot sich erstreckte. Bei der Wichtigkeit der Kartoffel als ein Haupt¬
nahrungsmittel der minderbemittelten Volksklassen. als ein ergänzender Bestandteil
der Viehfütterung und als ein Rohstoff für gewerbliche Zwecke war zu erwägen,
ob auch die Kartoffeln einer staatlichen Reglementierung unterworfen werde"


Der neuen Lrnte entgegen I

und Reibungen nicht erfüllen ließ. Die Kriegs-Getreidegesellschaft hat die
Durchführung des Getreidemonpols mit außerordentlichem kaufmännischen Geschick
in Angriff genommen, ihre Leistungen konnten aber nicht allen Anforderungen
des großes Heeres verschiedenartiger Interessenten gerecht werden, weil der den
ganzen Getreidehandelsmechanismus lahmlegende Zwang in zu viele Gewohn¬
heiten des freien Verkehrs störend eingriff. Es war ein bedenkliches Wagnis,
eine kaufmännisch organisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit der
Aufgabe zu betrauen, für 60 bis 70 Millionen Menschen einschließlich des Heeres
und der Kriegsgefangenen jede Woche das erforderliche Mehl bereitzustellen.
Die hierzu erforderlichen Getreidebestände mußten mit einer gewissen Rücksichts¬
losigkeit schleunigst aufgebracht werden. Landwirtschaftliche Unternehmer,
Getreidehändler und Mahlmühlen konnten in die unvermeidlichen Eingriffe sich
schwer hereinfinden. Besonders die landwirtschaftliche Selbstverwaltung fühlte
sich durch die Fortnahme des in ihrem Bezirk erwachsenen Brotgetreides be¬
einträchtigt. Manche Beschwerde wurde nach den ersten Monaten etwas
stürmischen Auslaufens der Vorräte für die Berliner Zentrale allerdings dadurch
beseitigt, daß einer Bestimmung größere Geltung gegeben wurde, wonach die
Kriegs-Getreidegesellschast verpflichtet war, von ihrem Getreide dem Kommunal¬
verbände, in dessen Bezirk sich das Getreide befand, soviel auf Verlangen zu
übereignen, wie dem vorschriftsmäßigen Bedarfsanteil jenes Verbandes entsprach.
Die den Kommunalverbänden hiermit zugestandene Selbstbewirtschaftung erleichterte
die Arbeitslast der Kriegs - Getreidegesellschaft. Den Unternehmern landwirt¬
schaftlicher Betriebe war außerdem die Selbstversorgung zugestanden; sie durften
die zur Ernährung ihrer Angehörigen und zur Frühjahrsbestellung benötigten
Vorräte aussondern und von der Enteignung ausnehmen.

Nach den bisherigen günstigen Erfahrungen wird an den Grundsätzen der
Selbstverwaltung und der Selbstbewirtschaftung in erweitertem Maße festgehalten
werden. Die Kommunalverbände werden unabhängiger von der Kriegs-
Getreidegesellschaft, die nicht mehr selbständig das Getreide beschlagnahmen
und enteignen soll, sondern der von den Kommunen die Überschüsse zugewiesen
werden. Aus der Zusammenlegung der Reichsverteilungsstelle, die die Bedingungen
der planmäßigen Ernährnngswirtschaft festzustellen hat, mit der die Verteilung
ausführenden Kriegs-Getreidegesellschaft geht nach dem neuen Plan die Reichs-
getreidestelle hervor, eine Reichsbehörde zur Versorgung der Bevölkerung mit
Brodgetreide und Mehl. Die weiteren Bestimmungen betreffen das Ausmahlen
von Mehl und dessen Verteilung seitens der Kommunalverbände an Bäcker,
Konditoren und Kleinhändler.

Die umgewandelte Ernährungsrüstung wäre ein Stückwerk, wenn sie nur
auf das Brot sich erstreckte. Bei der Wichtigkeit der Kartoffel als ein Haupt¬
nahrungsmittel der minderbemittelten Volksklassen. als ein ergänzender Bestandteil
der Viehfütterung und als ein Rohstoff für gewerbliche Zwecke war zu erwägen,
ob auch die Kartoffeln einer staatlichen Reglementierung unterworfen werde«


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[0049] Der neuen Lrnte entgegen I und Reibungen nicht erfüllen ließ. Die Kriegs-Getreidegesellschaft hat die Durchführung des Getreidemonpols mit außerordentlichem kaufmännischen Geschick in Angriff genommen, ihre Leistungen konnten aber nicht allen Anforderungen des großes Heeres verschiedenartiger Interessenten gerecht werden, weil der den ganzen Getreidehandelsmechanismus lahmlegende Zwang in zu viele Gewohn¬ heiten des freien Verkehrs störend eingriff. Es war ein bedenkliches Wagnis, eine kaufmännisch organisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit der Aufgabe zu betrauen, für 60 bis 70 Millionen Menschen einschließlich des Heeres und der Kriegsgefangenen jede Woche das erforderliche Mehl bereitzustellen. Die hierzu erforderlichen Getreidebestände mußten mit einer gewissen Rücksichts¬ losigkeit schleunigst aufgebracht werden. Landwirtschaftliche Unternehmer, Getreidehändler und Mahlmühlen konnten in die unvermeidlichen Eingriffe sich schwer hereinfinden. Besonders die landwirtschaftliche Selbstverwaltung fühlte sich durch die Fortnahme des in ihrem Bezirk erwachsenen Brotgetreides be¬ einträchtigt. Manche Beschwerde wurde nach den ersten Monaten etwas stürmischen Auslaufens der Vorräte für die Berliner Zentrale allerdings dadurch beseitigt, daß einer Bestimmung größere Geltung gegeben wurde, wonach die Kriegs-Getreidegesellschast verpflichtet war, von ihrem Getreide dem Kommunal¬ verbände, in dessen Bezirk sich das Getreide befand, soviel auf Verlangen zu übereignen, wie dem vorschriftsmäßigen Bedarfsanteil jenes Verbandes entsprach. Die den Kommunalverbänden hiermit zugestandene Selbstbewirtschaftung erleichterte die Arbeitslast der Kriegs - Getreidegesellschaft. Den Unternehmern landwirt¬ schaftlicher Betriebe war außerdem die Selbstversorgung zugestanden; sie durften die zur Ernährung ihrer Angehörigen und zur Frühjahrsbestellung benötigten Vorräte aussondern und von der Enteignung ausnehmen. Nach den bisherigen günstigen Erfahrungen wird an den Grundsätzen der Selbstverwaltung und der Selbstbewirtschaftung in erweitertem Maße festgehalten werden. Die Kommunalverbände werden unabhängiger von der Kriegs- Getreidegesellschaft, die nicht mehr selbständig das Getreide beschlagnahmen und enteignen soll, sondern der von den Kommunen die Überschüsse zugewiesen werden. Aus der Zusammenlegung der Reichsverteilungsstelle, die die Bedingungen der planmäßigen Ernährnngswirtschaft festzustellen hat, mit der die Verteilung ausführenden Kriegs-Getreidegesellschaft geht nach dem neuen Plan die Reichs- getreidestelle hervor, eine Reichsbehörde zur Versorgung der Bevölkerung mit Brodgetreide und Mehl. Die weiteren Bestimmungen betreffen das Ausmahlen von Mehl und dessen Verteilung seitens der Kommunalverbände an Bäcker, Konditoren und Kleinhändler. Die umgewandelte Ernährungsrüstung wäre ein Stückwerk, wenn sie nur auf das Brot sich erstreckte. Bei der Wichtigkeit der Kartoffel als ein Haupt¬ nahrungsmittel der minderbemittelten Volksklassen. als ein ergänzender Bestandteil der Viehfütterung und als ein Rohstoff für gewerbliche Zwecke war zu erwägen, ob auch die Kartoffeln einer staatlichen Reglementierung unterworfen werde«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/49>, abgerufen am 22.07.2024.