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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der neuen Lrnte entgegen!

müßten. Unser Kartoffelreichtum enthebt uns vorläufig der Sorge um die
Sicherstellung größerer Vorräte der wohlschmeckenden Erdfrucht. Wir haben
ohnehin in pessimistischer überhastung in der Kartoffelfrage einigermaßen fehl¬
gegriffen, indem wir die Vorräte zu niedrig und den Bedarf zu hoch einschätzten.
Nach der Statistik vom 15. Mai ergab sich, daß im Reich noch 35,18 Millionen
Doppelzentner Kartoffeln zur Verfügung stehen. Falls diese Menge nur für die
menschliche Ernährung bis zum 1. August verwandt wird, so ergibt sich für den
Kopf der Bevölkerung ein Tagesquantum von 1,38 Pfund, während nach einer
im letzten März aufgenommenen Statistik nur 0,74 Pfund pro Kopf entfallen
sollten. Dabei können wir einer besonders großen Kartoffelernte entgegensehen;
auf ungezählten Geländestreifen, Streustücken und Grundplätzen ist die von
fleißigen Privatbauten angepflanzte Frucht ausgezeichnet in die Höhe gekommen.
An Kartoffeln wird es demnach nicht fehlen, sollten aber die Vorräte dennoch
wider Erwarten knapp werden, nun so wird es auch dann noch Zeit sein, dem
Kartoffelverbrauch Schranken aufzuerlegen. Gegenwärtig ist uns ein embarras
ac8 rictiösseZ beschieden, da viele Hunderttausende Zentner Kartoffeln, die von
den Gemeinden eingelagert waren, von Fäulnis ergriffen sind.

Zu einer befriedigenden Ernährung des Deutschen gehört außer Brot und
Kartoffeln auch noch eine nicht zu knappe Menge Fleisch. Die staatliche Aktion
wird in der Fleischfrage vorerst sich damit begnügen müssen, die Aufzucht von
Vieh und Schweinen in jeder Weise zu begünstigen. Die Landwirte selbst
werden schon im Hinblick auf die exorbitant hohen Fleischpreise und den
empfindlichen Milchmangel an Bemühungen in dieser Beziehung es nicht fehlen
lassen, können aber verlangen, daß ihnen bei der Beschaffung von Futtermitteln
nach Kräften beigestanden wird. Durch die neuen Bundesratsverordnungen
wird dem nicht nur bezüglich der Futtermittel, sondern auch durch rationelle
Verwertung der Hafer- und Gersrevorrcite Rechnung getragen.

Nehmen wir die Einzelheiten zur Sicherstellung der Ernährung von Menschen
und Vieh zusammen, so können wir mit gutem Vertrauen ans einen Zeitraum
hinausblicken, der -- so Gott willt -- über diesen Krieg weit hinausreicht.
Denn die jetzt veranlagten Kriegswirtschaftspläne haben es mit der diesjährigen
Ernte und deren Verwendung bis zum Erscheinen der Ernteergebnisse des Jahres
1916 zu tun. Wir beschicken unser vaterländisches Haus mit der weitblickenden
Vorsicht eines Hausvaters, der seine Aufwendungen nach den feststehenden
Einnahmen der Gegenwart bemißt, ohne die zufälligen Gewinne des bevor¬
stehenden Rechnungsjahres in Ansatz zu bringen.




Der neuen Lrnte entgegen!

müßten. Unser Kartoffelreichtum enthebt uns vorläufig der Sorge um die
Sicherstellung größerer Vorräte der wohlschmeckenden Erdfrucht. Wir haben
ohnehin in pessimistischer überhastung in der Kartoffelfrage einigermaßen fehl¬
gegriffen, indem wir die Vorräte zu niedrig und den Bedarf zu hoch einschätzten.
Nach der Statistik vom 15. Mai ergab sich, daß im Reich noch 35,18 Millionen
Doppelzentner Kartoffeln zur Verfügung stehen. Falls diese Menge nur für die
menschliche Ernährung bis zum 1. August verwandt wird, so ergibt sich für den
Kopf der Bevölkerung ein Tagesquantum von 1,38 Pfund, während nach einer
im letzten März aufgenommenen Statistik nur 0,74 Pfund pro Kopf entfallen
sollten. Dabei können wir einer besonders großen Kartoffelernte entgegensehen;
auf ungezählten Geländestreifen, Streustücken und Grundplätzen ist die von
fleißigen Privatbauten angepflanzte Frucht ausgezeichnet in die Höhe gekommen.
An Kartoffeln wird es demnach nicht fehlen, sollten aber die Vorräte dennoch
wider Erwarten knapp werden, nun so wird es auch dann noch Zeit sein, dem
Kartoffelverbrauch Schranken aufzuerlegen. Gegenwärtig ist uns ein embarras
ac8 rictiösseZ beschieden, da viele Hunderttausende Zentner Kartoffeln, die von
den Gemeinden eingelagert waren, von Fäulnis ergriffen sind.

Zu einer befriedigenden Ernährung des Deutschen gehört außer Brot und
Kartoffeln auch noch eine nicht zu knappe Menge Fleisch. Die staatliche Aktion
wird in der Fleischfrage vorerst sich damit begnügen müssen, die Aufzucht von
Vieh und Schweinen in jeder Weise zu begünstigen. Die Landwirte selbst
werden schon im Hinblick auf die exorbitant hohen Fleischpreise und den
empfindlichen Milchmangel an Bemühungen in dieser Beziehung es nicht fehlen
lassen, können aber verlangen, daß ihnen bei der Beschaffung von Futtermitteln
nach Kräften beigestanden wird. Durch die neuen Bundesratsverordnungen
wird dem nicht nur bezüglich der Futtermittel, sondern auch durch rationelle
Verwertung der Hafer- und Gersrevorrcite Rechnung getragen.

Nehmen wir die Einzelheiten zur Sicherstellung der Ernährung von Menschen
und Vieh zusammen, so können wir mit gutem Vertrauen ans einen Zeitraum
hinausblicken, der — so Gott willt — über diesen Krieg weit hinausreicht.
Denn die jetzt veranlagten Kriegswirtschaftspläne haben es mit der diesjährigen
Ernte und deren Verwendung bis zum Erscheinen der Ernteergebnisse des Jahres
1916 zu tun. Wir beschicken unser vaterländisches Haus mit der weitblickenden
Vorsicht eines Hausvaters, der seine Aufwendungen nach den feststehenden
Einnahmen der Gegenwart bemißt, ohne die zufälligen Gewinne des bevor¬
stehenden Rechnungsjahres in Ansatz zu bringen.




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[0050] Der neuen Lrnte entgegen! müßten. Unser Kartoffelreichtum enthebt uns vorläufig der Sorge um die Sicherstellung größerer Vorräte der wohlschmeckenden Erdfrucht. Wir haben ohnehin in pessimistischer überhastung in der Kartoffelfrage einigermaßen fehl¬ gegriffen, indem wir die Vorräte zu niedrig und den Bedarf zu hoch einschätzten. Nach der Statistik vom 15. Mai ergab sich, daß im Reich noch 35,18 Millionen Doppelzentner Kartoffeln zur Verfügung stehen. Falls diese Menge nur für die menschliche Ernährung bis zum 1. August verwandt wird, so ergibt sich für den Kopf der Bevölkerung ein Tagesquantum von 1,38 Pfund, während nach einer im letzten März aufgenommenen Statistik nur 0,74 Pfund pro Kopf entfallen sollten. Dabei können wir einer besonders großen Kartoffelernte entgegensehen; auf ungezählten Geländestreifen, Streustücken und Grundplätzen ist die von fleißigen Privatbauten angepflanzte Frucht ausgezeichnet in die Höhe gekommen. An Kartoffeln wird es demnach nicht fehlen, sollten aber die Vorräte dennoch wider Erwarten knapp werden, nun so wird es auch dann noch Zeit sein, dem Kartoffelverbrauch Schranken aufzuerlegen. Gegenwärtig ist uns ein embarras ac8 rictiösseZ beschieden, da viele Hunderttausende Zentner Kartoffeln, die von den Gemeinden eingelagert waren, von Fäulnis ergriffen sind. Zu einer befriedigenden Ernährung des Deutschen gehört außer Brot und Kartoffeln auch noch eine nicht zu knappe Menge Fleisch. Die staatliche Aktion wird in der Fleischfrage vorerst sich damit begnügen müssen, die Aufzucht von Vieh und Schweinen in jeder Weise zu begünstigen. Die Landwirte selbst werden schon im Hinblick auf die exorbitant hohen Fleischpreise und den empfindlichen Milchmangel an Bemühungen in dieser Beziehung es nicht fehlen lassen, können aber verlangen, daß ihnen bei der Beschaffung von Futtermitteln nach Kräften beigestanden wird. Durch die neuen Bundesratsverordnungen wird dem nicht nur bezüglich der Futtermittel, sondern auch durch rationelle Verwertung der Hafer- und Gersrevorrcite Rechnung getragen. Nehmen wir die Einzelheiten zur Sicherstellung der Ernährung von Menschen und Vieh zusammen, so können wir mit gutem Vertrauen ans einen Zeitraum hinausblicken, der — so Gott willt — über diesen Krieg weit hinausreicht. Denn die jetzt veranlagten Kriegswirtschaftspläne haben es mit der diesjährigen Ernte und deren Verwendung bis zum Erscheinen der Ernteergebnisse des Jahres 1916 zu tun. Wir beschicken unser vaterländisches Haus mit der weitblickenden Vorsicht eines Hausvaters, der seine Aufwendungen nach den feststehenden Einnahmen der Gegenwart bemißt, ohne die zufälligen Gewinne des bevor¬ stehenden Rechnungsjahres in Ansatz zu bringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/50>, abgerufen am 22.07.2024.