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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der neuen Ernte entgegen I

anders veranlagt werden als etwa die Verfügung über Leder und Wolle. Die
staatliche Reglementierung mußte auf ihrem umfangreichsten Aktionsfelde, dem
der VolkZernährung, in Ermangelung brauchbarer Vorbilder zögernd und tastend
vorgehen. Bei dieser Sachlage ließen Fehlgänge sich nicht immer vermeiden,
im großen und ganzen aber hat die bureaukratisch-gemeinwirtschaftliche Nahrungs¬
mittelorganisation sich bewährt. Wir können getrost behaupten, daß kein anderer
Kulturstaat unter ähnlichen Bedrängnissen seine Nahrungswirtschaft auf einen
so festen Fuß zu stellen imstande wäre, wie das in Deutschland geschehen ist.
Die harte Existenzfrage traf hier allerdings mit einer beispiellosen Opfer-
willigkeit aller Bevölkerungskreise zusammen, die Durchführung der wirtschaft¬
lichen Mobilmachung bleibt für uns Deutschen trotzdem ein dauernder
Ruhmestitel.

Der neuen Ernte gehen wir entgegen. Für die Vergrößerung des Boden'
ertrages an Nahrungs- und Futtermitteln haben wir durch Nutzbarmachung von
Ödländereien, Moorflächen, Gartenland usw. wetteifernd Sorge getragen. Die
Frage ist nicht müßig, wie bei Beginn des zweiten Kriegsjahrs unsere Ernährungs¬
aussichten beschaffen wären, wenn wir nicht dem unerschöpflichen Reservoir der
eigenen landwirtschaftlichen Produktion vertrauen könnten, sondern unsere Ver¬
sorgung von einer Vorratswirtschaft abhängig machen müßten, die über die
Dauer eines Jahres doch schwerlich hinausreichen würde. Die heimische Land¬
wirtschaft läßt sich eben in ihrer Eigenschaft als Jungbrunnen der Volks¬
ernährung durch keine noch fo umfassende Vorratsorganisation ersetzen.

Bezüglich der Ergiebigkeit der neuen Ernte sollten wir uns vorläufig keinen
zu großen Erwartungen hingeben. Vorausgesetzt, daß die Landwirte während
des Eindringens der Ernte von schweren elementaren Unbilden nicht heimgesucht
werden, dürfte man immerhin mit einer guten Mittelernte rechnen. Außerdem
wird uns eine sehr stattliche Reserve an Brodgetreide zur Verfügung stehen.
Denn infolge der rationellen Zwangsverwaltung haben wir einen Getreideschatz
von etwa zwei Millionen Tonnen ansammeln können, den wir freilich für das
zweite Erntejahr besser zunächst nicht in Anrechnung bringen, sondern für die
Übergangszeit zum Frieden in Reserve behalten, da das Zurückgehen vom
Staatsmonopol zum freien Getreideverkehr vermutlich einige Weiterungen ver¬
ursachen wird. Die Getreideernte würde ungeachtet dessen zur Ernährung der
Bevölkerung ausreichen, wenn wir nicht in denselben Fehler verfallen, durch
den im Vorjahre die amtlichen Veranschlagungen des Getreidekonsums hinfällig
geworden sind. Wir werden also auch fernerhin mit Getreide und Mehl haus¬
halten müssen, die Bürgschaft hierfür können aber nur die Beschlagnahme und
die Verbrauchsregelung gewähren. Damit ist die Grundlage des neuen Kriegs¬
wirtschaftsplans festgestellt.

Die vom Bundesrat verfügte Monopolisierung des Brotgetreides durch
Beschlagnahme und Enteignung zugunsten der Kriegs-Getreidegesellschast stellte
deren Geschäftsleitung vor eine Riesenaufgabe, die sich ohne gewisse Härten


Der neuen Ernte entgegen I

anders veranlagt werden als etwa die Verfügung über Leder und Wolle. Die
staatliche Reglementierung mußte auf ihrem umfangreichsten Aktionsfelde, dem
der VolkZernährung, in Ermangelung brauchbarer Vorbilder zögernd und tastend
vorgehen. Bei dieser Sachlage ließen Fehlgänge sich nicht immer vermeiden,
im großen und ganzen aber hat die bureaukratisch-gemeinwirtschaftliche Nahrungs¬
mittelorganisation sich bewährt. Wir können getrost behaupten, daß kein anderer
Kulturstaat unter ähnlichen Bedrängnissen seine Nahrungswirtschaft auf einen
so festen Fuß zu stellen imstande wäre, wie das in Deutschland geschehen ist.
Die harte Existenzfrage traf hier allerdings mit einer beispiellosen Opfer-
willigkeit aller Bevölkerungskreise zusammen, die Durchführung der wirtschaft¬
lichen Mobilmachung bleibt für uns Deutschen trotzdem ein dauernder
Ruhmestitel.

Der neuen Ernte gehen wir entgegen. Für die Vergrößerung des Boden'
ertrages an Nahrungs- und Futtermitteln haben wir durch Nutzbarmachung von
Ödländereien, Moorflächen, Gartenland usw. wetteifernd Sorge getragen. Die
Frage ist nicht müßig, wie bei Beginn des zweiten Kriegsjahrs unsere Ernährungs¬
aussichten beschaffen wären, wenn wir nicht dem unerschöpflichen Reservoir der
eigenen landwirtschaftlichen Produktion vertrauen könnten, sondern unsere Ver¬
sorgung von einer Vorratswirtschaft abhängig machen müßten, die über die
Dauer eines Jahres doch schwerlich hinausreichen würde. Die heimische Land¬
wirtschaft läßt sich eben in ihrer Eigenschaft als Jungbrunnen der Volks¬
ernährung durch keine noch fo umfassende Vorratsorganisation ersetzen.

Bezüglich der Ergiebigkeit der neuen Ernte sollten wir uns vorläufig keinen
zu großen Erwartungen hingeben. Vorausgesetzt, daß die Landwirte während
des Eindringens der Ernte von schweren elementaren Unbilden nicht heimgesucht
werden, dürfte man immerhin mit einer guten Mittelernte rechnen. Außerdem
wird uns eine sehr stattliche Reserve an Brodgetreide zur Verfügung stehen.
Denn infolge der rationellen Zwangsverwaltung haben wir einen Getreideschatz
von etwa zwei Millionen Tonnen ansammeln können, den wir freilich für das
zweite Erntejahr besser zunächst nicht in Anrechnung bringen, sondern für die
Übergangszeit zum Frieden in Reserve behalten, da das Zurückgehen vom
Staatsmonopol zum freien Getreideverkehr vermutlich einige Weiterungen ver¬
ursachen wird. Die Getreideernte würde ungeachtet dessen zur Ernährung der
Bevölkerung ausreichen, wenn wir nicht in denselben Fehler verfallen, durch
den im Vorjahre die amtlichen Veranschlagungen des Getreidekonsums hinfällig
geworden sind. Wir werden also auch fernerhin mit Getreide und Mehl haus¬
halten müssen, die Bürgschaft hierfür können aber nur die Beschlagnahme und
die Verbrauchsregelung gewähren. Damit ist die Grundlage des neuen Kriegs¬
wirtschaftsplans festgestellt.

Die vom Bundesrat verfügte Monopolisierung des Brotgetreides durch
Beschlagnahme und Enteignung zugunsten der Kriegs-Getreidegesellschast stellte
deren Geschäftsleitung vor eine Riesenaufgabe, die sich ohne gewisse Härten


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[0048] Der neuen Ernte entgegen I anders veranlagt werden als etwa die Verfügung über Leder und Wolle. Die staatliche Reglementierung mußte auf ihrem umfangreichsten Aktionsfelde, dem der VolkZernährung, in Ermangelung brauchbarer Vorbilder zögernd und tastend vorgehen. Bei dieser Sachlage ließen Fehlgänge sich nicht immer vermeiden, im großen und ganzen aber hat die bureaukratisch-gemeinwirtschaftliche Nahrungs¬ mittelorganisation sich bewährt. Wir können getrost behaupten, daß kein anderer Kulturstaat unter ähnlichen Bedrängnissen seine Nahrungswirtschaft auf einen so festen Fuß zu stellen imstande wäre, wie das in Deutschland geschehen ist. Die harte Existenzfrage traf hier allerdings mit einer beispiellosen Opfer- willigkeit aller Bevölkerungskreise zusammen, die Durchführung der wirtschaft¬ lichen Mobilmachung bleibt für uns Deutschen trotzdem ein dauernder Ruhmestitel. Der neuen Ernte gehen wir entgegen. Für die Vergrößerung des Boden' ertrages an Nahrungs- und Futtermitteln haben wir durch Nutzbarmachung von Ödländereien, Moorflächen, Gartenland usw. wetteifernd Sorge getragen. Die Frage ist nicht müßig, wie bei Beginn des zweiten Kriegsjahrs unsere Ernährungs¬ aussichten beschaffen wären, wenn wir nicht dem unerschöpflichen Reservoir der eigenen landwirtschaftlichen Produktion vertrauen könnten, sondern unsere Ver¬ sorgung von einer Vorratswirtschaft abhängig machen müßten, die über die Dauer eines Jahres doch schwerlich hinausreichen würde. Die heimische Land¬ wirtschaft läßt sich eben in ihrer Eigenschaft als Jungbrunnen der Volks¬ ernährung durch keine noch fo umfassende Vorratsorganisation ersetzen. Bezüglich der Ergiebigkeit der neuen Ernte sollten wir uns vorläufig keinen zu großen Erwartungen hingeben. Vorausgesetzt, daß die Landwirte während des Eindringens der Ernte von schweren elementaren Unbilden nicht heimgesucht werden, dürfte man immerhin mit einer guten Mittelernte rechnen. Außerdem wird uns eine sehr stattliche Reserve an Brodgetreide zur Verfügung stehen. Denn infolge der rationellen Zwangsverwaltung haben wir einen Getreideschatz von etwa zwei Millionen Tonnen ansammeln können, den wir freilich für das zweite Erntejahr besser zunächst nicht in Anrechnung bringen, sondern für die Übergangszeit zum Frieden in Reserve behalten, da das Zurückgehen vom Staatsmonopol zum freien Getreideverkehr vermutlich einige Weiterungen ver¬ ursachen wird. Die Getreideernte würde ungeachtet dessen zur Ernährung der Bevölkerung ausreichen, wenn wir nicht in denselben Fehler verfallen, durch den im Vorjahre die amtlichen Veranschlagungen des Getreidekonsums hinfällig geworden sind. Wir werden also auch fernerhin mit Getreide und Mehl haus¬ halten müssen, die Bürgschaft hierfür können aber nur die Beschlagnahme und die Verbrauchsregelung gewähren. Damit ist die Grundlage des neuen Kriegs¬ wirtschaftsplans festgestellt. Die vom Bundesrat verfügte Monopolisierung des Brotgetreides durch Beschlagnahme und Enteignung zugunsten der Kriegs-Getreidegesellschast stellte deren Geschäftsleitung vor eine Riesenaufgabe, die sich ohne gewisse Härten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/48>, abgerufen am 22.07.2024.