Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.Die Judenfrage nach dem Kriege soziale Stellung als ihre geistige Verfassung, aus sozialen und historischen Jene Methode, die allein exakt wäre, das jüdische Volk unter den gleichen Die Judenfrage nach dem Kriege soziale Stellung als ihre geistige Verfassung, aus sozialen und historischen Jene Methode, die allein exakt wäre, das jüdische Volk unter den gleichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324386"/> <fw type="header" place="top"> Die Judenfrage nach dem Kriege</fw><lb/> <p xml:id="ID_1243" prev="#ID_1242"> soziale Stellung als ihre geistige Verfassung, aus sozialen und historischen<lb/> Ursachen verstanden werden kann, die bis auf den heutigen Tag weiter wirken.<lb/> Daß ein Volk von so merkwürdigen Schicksalen auch eine ausgeprägte ursprüngliche<lb/> geistige Eigenart besitzt, muß freilich s, priori vorausgesetzt werden. Diese gefestigten<lb/> Eigenschaften gesondert von den vergänglichen Wirkungen der geschichtlichen Er¬<lb/> ziehung aus dem heutigen jüdischen Volkscharakter herauszuschälen, dasgeistige Erbe<lb/> im biologischen Sinne von dem Kulturerbe zu trennen, dazu fehlt uns die Methode.</p><lb/> <p xml:id="ID_1244" next="#ID_1245"> Jene Methode, die allein exakt wäre, das jüdische Volk unter den gleichen<lb/> Bedingungen anderer Völker zu beobachten, können wir nicht anwenden. Wir<lb/> könnten aber statt der positiven Beobachtung eine Methode der Negation<lb/> anwenden, indem wir aus den unter den heutigen Bedingungen beobachteten<lb/> Eigenschaften diejenigen aufforderten, die sich aus den äußeren Verhältnissen<lb/> erklären lassen; aber dann würde wahrscheinlich nicht viel übrig bleiben, denn<lb/> auch das biologische Erbe ist wohl in der Hauptsache gleich dem Kulturerbe<lb/> eine Wirkung der Beziehungen zur Außenwelt, ein Niederschlag des Erlebens<lb/> in der Zelle, nur daß es unbekannte Zeit braucht um sich zu bilden oder auf¬<lb/> zulösen. Eine andere Methode wäre, die höchsten Leistungen in Kunst und<lb/> Literatur auf ihre gemeinsamen Züge zu untersuchen; denn bei Menschen mit<lb/> originalen Leistungen pflegt der angeborene Charakter das anerzogene Denken<lb/> und Fühlen stärker als sonst zu durchbrechen. Diese Methode würde bei den<lb/> Völkern unserer Rasse auch leidlich gute Ergebnisse liefern. Die quälende<lb/> Seelenanalyse der russischen Dichter, der unbestechliche Wirklichkeitssinn der eng¬<lb/> lischen Naturforscher, die grotesken Formen des amerikanischen Humors sind<lb/> anscheinend Zeichen einer angeborenen Sonderart. Bei den Juden scheint diese<lb/> Methode zu versagen, sei es, daß der Einfluß der Umgebung doch zu stark ist,<lb/> oder daß wir die Besonderheit an der falschen Stelle suchen. Zwischen den<lb/> gütigen Bildern Israels und dem kalten Realismus Liebermanns scheint keine<lb/> andere Verwandtschaft zu bestehen als bisweilen in der Wahl des Stoffes und<lb/> in der Technik. Auch die gemeinsamen Züge zwischen Spinoza und Moses<lb/> Mendelssohn sind schwer zu finden, und den jüdischen Dichtern, etwa Salus,<lb/> Schnitzler, Hoffmannsthal, ist vielleicht ein Hang zur Schwermut, eine feine<lb/> Wortkunst und vielleicht auch ein Mangel an naiver Lebensfülle gemeinsam;<lb/> das volkstümlich gewordene Bild des jüdischen Charakters spiegelt eigentlich nur<lb/> Heinrich Heine wieder. Es bleibt noch ein Weg, der nur eine gewisse Wahr¬<lb/> scheinlichkeit bietet. Wir können jene Eigenschaften, welche allen jüdischen Volks¬<lb/> gruppen unter verschiedenen Bedingungen und zu verschiedenen, nicht allzuweit aus¬<lb/> einanderliegenden Zeiten gemeinsam sind und jene, welche nur einigen von ihnen<lb/> angehören, voneinander sondern; die einen scheiden als wandelbare Wirkungen<lb/> der geschichtlichen Bedingungen aus, bei den anderen bleibt die Möglichkeit<lb/> einer erblichen Anlage. Zu dieser Gruppe der möglichenfalls angeborenen<lb/> Eigenschaften gehört der eingangs erwähnte schwermütige und schicksalsergebene<lb/> Zug. Wenn man auch nur einen oberflächlichen Einblick in das esoterische</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0413]
Die Judenfrage nach dem Kriege
soziale Stellung als ihre geistige Verfassung, aus sozialen und historischen
Ursachen verstanden werden kann, die bis auf den heutigen Tag weiter wirken.
Daß ein Volk von so merkwürdigen Schicksalen auch eine ausgeprägte ursprüngliche
geistige Eigenart besitzt, muß freilich s, priori vorausgesetzt werden. Diese gefestigten
Eigenschaften gesondert von den vergänglichen Wirkungen der geschichtlichen Er¬
ziehung aus dem heutigen jüdischen Volkscharakter herauszuschälen, dasgeistige Erbe
im biologischen Sinne von dem Kulturerbe zu trennen, dazu fehlt uns die Methode.
Jene Methode, die allein exakt wäre, das jüdische Volk unter den gleichen
Bedingungen anderer Völker zu beobachten, können wir nicht anwenden. Wir
könnten aber statt der positiven Beobachtung eine Methode der Negation
anwenden, indem wir aus den unter den heutigen Bedingungen beobachteten
Eigenschaften diejenigen aufforderten, die sich aus den äußeren Verhältnissen
erklären lassen; aber dann würde wahrscheinlich nicht viel übrig bleiben, denn
auch das biologische Erbe ist wohl in der Hauptsache gleich dem Kulturerbe
eine Wirkung der Beziehungen zur Außenwelt, ein Niederschlag des Erlebens
in der Zelle, nur daß es unbekannte Zeit braucht um sich zu bilden oder auf¬
zulösen. Eine andere Methode wäre, die höchsten Leistungen in Kunst und
Literatur auf ihre gemeinsamen Züge zu untersuchen; denn bei Menschen mit
originalen Leistungen pflegt der angeborene Charakter das anerzogene Denken
und Fühlen stärker als sonst zu durchbrechen. Diese Methode würde bei den
Völkern unserer Rasse auch leidlich gute Ergebnisse liefern. Die quälende
Seelenanalyse der russischen Dichter, der unbestechliche Wirklichkeitssinn der eng¬
lischen Naturforscher, die grotesken Formen des amerikanischen Humors sind
anscheinend Zeichen einer angeborenen Sonderart. Bei den Juden scheint diese
Methode zu versagen, sei es, daß der Einfluß der Umgebung doch zu stark ist,
oder daß wir die Besonderheit an der falschen Stelle suchen. Zwischen den
gütigen Bildern Israels und dem kalten Realismus Liebermanns scheint keine
andere Verwandtschaft zu bestehen als bisweilen in der Wahl des Stoffes und
in der Technik. Auch die gemeinsamen Züge zwischen Spinoza und Moses
Mendelssohn sind schwer zu finden, und den jüdischen Dichtern, etwa Salus,
Schnitzler, Hoffmannsthal, ist vielleicht ein Hang zur Schwermut, eine feine
Wortkunst und vielleicht auch ein Mangel an naiver Lebensfülle gemeinsam;
das volkstümlich gewordene Bild des jüdischen Charakters spiegelt eigentlich nur
Heinrich Heine wieder. Es bleibt noch ein Weg, der nur eine gewisse Wahr¬
scheinlichkeit bietet. Wir können jene Eigenschaften, welche allen jüdischen Volks¬
gruppen unter verschiedenen Bedingungen und zu verschiedenen, nicht allzuweit aus¬
einanderliegenden Zeiten gemeinsam sind und jene, welche nur einigen von ihnen
angehören, voneinander sondern; die einen scheiden als wandelbare Wirkungen
der geschichtlichen Bedingungen aus, bei den anderen bleibt die Möglichkeit
einer erblichen Anlage. Zu dieser Gruppe der möglichenfalls angeborenen
Eigenschaften gehört der eingangs erwähnte schwermütige und schicksalsergebene
Zug. Wenn man auch nur einen oberflächlichen Einblick in das esoterische
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