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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Freimaurer und der Weltkrieg

formgewandte, phrasenreiche Gelegenheitsreduer, der sie anzuregen versteht
schlägt ihn durch die nichtssagendsten und unlogischsten Reden bis zur Vernunft-
losigkeit in Fesseln. Das beweisen die Reden Salandras und d'Anunzios.
Für den freimaurerischen Gedanken der Humanität hat der Italiener nicht das
geringste Verständnis. Er tut ihn mit einigen schwülstigen Phrasen ab und
lacht im Stillen darüber. Deshalb hat er wahre Freimaurerei auch niemals
kennen gelernt, und die Logen sind für ihn nur die Schlupfwinkel der Verschwörer
gewesen. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts erfüllte den Italiener,
soweit er überhaupt denkt, nur der Gedanke an Einheit und Freiheit. Aber
er hat niemals einen Einheitstraum gehabt, wie der Deutsche. Der italienische
Einheitsgedanke lebte je und je nur in einzelnen großen Köpfen, wie Cesare
Borgia, Macchiavelli und anderen. Nur der Freiheitsgedauke begeisterte aller
Herzen. Der Italiener ist eben von der Freiheit erst zur Einheit gekommen.
Seine Freiheitsliebe aber war angefacht von der französischen Revolution,
und daher ist alles, was mit ihr im Zusammenhang steht, revolutionär¬
demokratisch.

Auch die Charakterlosigkeit und den Wankelmut hat der italienische Freimaurer,
wie der französische, von seiner Rasse geerbt. Vom "Tyrannen" wendet er
sich mit Abscheu fort. Und dennoch schämte sich die italienische Freimaurerei
nicht, "dem großen Mitbürger Napoleon" sich willfährig zu zeigen. In ihrer
Presse läßt sie unaufhörlich gegen die "preußischen Junker" als "die Unter¬
drücker der Freiheit" losschreien. Als aber Kaiser Wilhelm der Erste im
Oktober 1875 in Mailand weilte, drängte sie sich unterwürfig heran und
begrüßte den kaiserlichen Bruder auf das herzlichste.

Durch lange Gewöhnung an politische Ausschweifung war die italienische
Freimaurerei reif geworden für die Rolle, die sie in jüngster Zeit gespielt hat.
Schon im August des vorigen Jahres, als kaum der Weltbrand entzündet war,
versuchte der französische Groß-Orient die Logen der lateinischen Rasse gegen
Deutschland und Österreich als "die Stützen des Obskurantismus", für Frank¬
reich, den Führer des "Geistes der Freiheit und des Fortschritts" mobil zu
machen. In Rom ließ man am 20. September Reden halten für den "heiligen
Krieg des italienischen Volkes", und im Mai dieses Jahres ließ die Loge in
Mailand ein "Manifest" los, in dem vom "Sturze der Weltherrschaft des
Papsttums" die Rede war. Im September vorigen Jahres hatten die
italienischen Freimaurer einen Kongreß nach Mailand einberufen. Da führten
die Franzosen das große Wort, und man nahm hier schon offen Stellung
gegen den Dreibund. Die italienische Freimaurerei verpflichtete sich im geheimen
dafür zu sorgen, daß zur gegebenen Zeit die Rüstungen zum Eingreifen in die
kriegerischen Ereignisse fertig seien. Die "Annalen" des italienischen Großorients
endlich schrieben im April dieses Jahres unter dem Titel: "Der Kampf gegen
den Pangermanismus": "Wir wollen den Krieg gegen die beiden Zentralmächte,
welche die Barbarei gegenüber dem Fortschritt darstellen. Wir wollen den


Die Freimaurer und der Weltkrieg

formgewandte, phrasenreiche Gelegenheitsreduer, der sie anzuregen versteht
schlägt ihn durch die nichtssagendsten und unlogischsten Reden bis zur Vernunft-
losigkeit in Fesseln. Das beweisen die Reden Salandras und d'Anunzios.
Für den freimaurerischen Gedanken der Humanität hat der Italiener nicht das
geringste Verständnis. Er tut ihn mit einigen schwülstigen Phrasen ab und
lacht im Stillen darüber. Deshalb hat er wahre Freimaurerei auch niemals
kennen gelernt, und die Logen sind für ihn nur die Schlupfwinkel der Verschwörer
gewesen. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts erfüllte den Italiener,
soweit er überhaupt denkt, nur der Gedanke an Einheit und Freiheit. Aber
er hat niemals einen Einheitstraum gehabt, wie der Deutsche. Der italienische
Einheitsgedanke lebte je und je nur in einzelnen großen Köpfen, wie Cesare
Borgia, Macchiavelli und anderen. Nur der Freiheitsgedauke begeisterte aller
Herzen. Der Italiener ist eben von der Freiheit erst zur Einheit gekommen.
Seine Freiheitsliebe aber war angefacht von der französischen Revolution,
und daher ist alles, was mit ihr im Zusammenhang steht, revolutionär¬
demokratisch.

Auch die Charakterlosigkeit und den Wankelmut hat der italienische Freimaurer,
wie der französische, von seiner Rasse geerbt. Vom „Tyrannen" wendet er
sich mit Abscheu fort. Und dennoch schämte sich die italienische Freimaurerei
nicht, „dem großen Mitbürger Napoleon" sich willfährig zu zeigen. In ihrer
Presse läßt sie unaufhörlich gegen die „preußischen Junker" als „die Unter¬
drücker der Freiheit" losschreien. Als aber Kaiser Wilhelm der Erste im
Oktober 1875 in Mailand weilte, drängte sie sich unterwürfig heran und
begrüßte den kaiserlichen Bruder auf das herzlichste.

Durch lange Gewöhnung an politische Ausschweifung war die italienische
Freimaurerei reif geworden für die Rolle, die sie in jüngster Zeit gespielt hat.
Schon im August des vorigen Jahres, als kaum der Weltbrand entzündet war,
versuchte der französische Groß-Orient die Logen der lateinischen Rasse gegen
Deutschland und Österreich als „die Stützen des Obskurantismus", für Frank¬
reich, den Führer des „Geistes der Freiheit und des Fortschritts" mobil zu
machen. In Rom ließ man am 20. September Reden halten für den „heiligen
Krieg des italienischen Volkes", und im Mai dieses Jahres ließ die Loge in
Mailand ein „Manifest" los, in dem vom „Sturze der Weltherrschaft des
Papsttums" die Rede war. Im September vorigen Jahres hatten die
italienischen Freimaurer einen Kongreß nach Mailand einberufen. Da führten
die Franzosen das große Wort, und man nahm hier schon offen Stellung
gegen den Dreibund. Die italienische Freimaurerei verpflichtete sich im geheimen
dafür zu sorgen, daß zur gegebenen Zeit die Rüstungen zum Eingreifen in die
kriegerischen Ereignisse fertig seien. Die „Annalen" des italienischen Großorients
endlich schrieben im April dieses Jahres unter dem Titel: „Der Kampf gegen
den Pangermanismus": „Wir wollen den Krieg gegen die beiden Zentralmächte,
welche die Barbarei gegenüber dem Fortschritt darstellen. Wir wollen den


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[0376] Die Freimaurer und der Weltkrieg formgewandte, phrasenreiche Gelegenheitsreduer, der sie anzuregen versteht schlägt ihn durch die nichtssagendsten und unlogischsten Reden bis zur Vernunft- losigkeit in Fesseln. Das beweisen die Reden Salandras und d'Anunzios. Für den freimaurerischen Gedanken der Humanität hat der Italiener nicht das geringste Verständnis. Er tut ihn mit einigen schwülstigen Phrasen ab und lacht im Stillen darüber. Deshalb hat er wahre Freimaurerei auch niemals kennen gelernt, und die Logen sind für ihn nur die Schlupfwinkel der Verschwörer gewesen. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts erfüllte den Italiener, soweit er überhaupt denkt, nur der Gedanke an Einheit und Freiheit. Aber er hat niemals einen Einheitstraum gehabt, wie der Deutsche. Der italienische Einheitsgedanke lebte je und je nur in einzelnen großen Köpfen, wie Cesare Borgia, Macchiavelli und anderen. Nur der Freiheitsgedauke begeisterte aller Herzen. Der Italiener ist eben von der Freiheit erst zur Einheit gekommen. Seine Freiheitsliebe aber war angefacht von der französischen Revolution, und daher ist alles, was mit ihr im Zusammenhang steht, revolutionär¬ demokratisch. Auch die Charakterlosigkeit und den Wankelmut hat der italienische Freimaurer, wie der französische, von seiner Rasse geerbt. Vom „Tyrannen" wendet er sich mit Abscheu fort. Und dennoch schämte sich die italienische Freimaurerei nicht, „dem großen Mitbürger Napoleon" sich willfährig zu zeigen. In ihrer Presse läßt sie unaufhörlich gegen die „preußischen Junker" als „die Unter¬ drücker der Freiheit" losschreien. Als aber Kaiser Wilhelm der Erste im Oktober 1875 in Mailand weilte, drängte sie sich unterwürfig heran und begrüßte den kaiserlichen Bruder auf das herzlichste. Durch lange Gewöhnung an politische Ausschweifung war die italienische Freimaurerei reif geworden für die Rolle, die sie in jüngster Zeit gespielt hat. Schon im August des vorigen Jahres, als kaum der Weltbrand entzündet war, versuchte der französische Groß-Orient die Logen der lateinischen Rasse gegen Deutschland und Österreich als „die Stützen des Obskurantismus", für Frank¬ reich, den Führer des „Geistes der Freiheit und des Fortschritts" mobil zu machen. In Rom ließ man am 20. September Reden halten für den „heiligen Krieg des italienischen Volkes", und im Mai dieses Jahres ließ die Loge in Mailand ein „Manifest" los, in dem vom „Sturze der Weltherrschaft des Papsttums" die Rede war. Im September vorigen Jahres hatten die italienischen Freimaurer einen Kongreß nach Mailand einberufen. Da führten die Franzosen das große Wort, und man nahm hier schon offen Stellung gegen den Dreibund. Die italienische Freimaurerei verpflichtete sich im geheimen dafür zu sorgen, daß zur gegebenen Zeit die Rüstungen zum Eingreifen in die kriegerischen Ereignisse fertig seien. Die „Annalen" des italienischen Großorients endlich schrieben im April dieses Jahres unter dem Titel: „Der Kampf gegen den Pangermanismus": „Wir wollen den Krieg gegen die beiden Zentralmächte, welche die Barbarei gegenüber dem Fortschritt darstellen. Wir wollen den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/376>, abgerufen am 29.06.2024.