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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Freimaurer und der Weltkrieg

Italien sei, und daß die Freimaurer verpflichtet wären, diesen nationalen
Gedanken bis zu den äußersten Konsequenzen zu verfolgen und zu fördern. Das
revolutionär-demokratische politische Treiben setzte denn auch programmgemäß
mit offener Agitation ein. Das erste Ergebnis war die Beseitigung des
Religionsunterrichtes aus allen Schulen Italiens. Das paßte aber einer Minder¬
heit von Freimaurern nicht, die unter Führung Salandras auftrat und eine
neue Loge gründete. Die zurückgebliebene Mehrheit setzte sich nun aus den
radikalsten Demokraten und Republikanern zusammen, die von nun an ganz
offen für die republikanische Staatsform in Italien arbeiteten. Frankreich
dirigierte das Ganze. Das Papsttum und das mit ihm verbündete Österreich
waren in Mazzinis Gedankenkreise die Hauptfeinde der italienischen Freiheit
von jeher gewesen. Daher der besondere Haß aller italienischen Freimaurer
gegen Österreich und gegen das Papsttum. Nicht darüber braucht man sich
also zu wundern, daß heute der Dreibundvertrag ohne jeden Grund zerrissen
wurde, sondern darüber, daß es Crispi und seine Freunde einst fertig brachten,
Hu überhaupt zu schließen und über dreißig Jahre festzuhalten. Der größte
Schreier gegen Österreich ist in den letztverflossenen Zeiten der uneheliche Sohn
und Erbe Mazzinis und der Sarah Nathan, der Bürgermeister von Rom
Ernesto Nathan, gewesen. Von 1896 ab war dieser bis vor kurzem Gro߬
meister der italienischen Freimaurerei. "Mazzini hatte die Logen zu politischen
Klubs herunterorganisieren lassen. Sein Sohn Ernesto Nathan führte die
Freimaurerei auf die Straße und gewöhnte sie an die Straßenwanieren und
an den Gassenjungenton."

Ein wirksames Gegengewicht gegen das politische Treiben der Freimaurer
gab es in Italien nicht mehr. Sie hatten die mit französischem Gelde bezahlie
maßgebende Presse auf ihrer Seite. Hier wurde im Auftrage der französischen
Freimaurer die französische Republik, "die vor wenigen Jahren gegen das
klerikale Pfaffengesindel vorging", als der Hort der Freiheit und der Kultur
angepriesen; hier wurde dafür geworben, daß mit dem "heiligen Gaukler in
Rom" ein Ende gemacht würde; hier hetzte man gegen die "preußischen Junker"
und das "von Pfaffen beherrschte Österreich" zum Kriege bis aufs Messer; hier
malte man dem Volke die Zukunft in einem "von Thronen und Altären befreiten
Zeitalter der allgemeinen Völkerverbrüderung" aus.

Diese Entwicklung der italienischen Freimaurerei ist psychologisch aus dem
Charakter des italienischen Volkes und aus seiner politischen Geschichte leicht
erklärt. Hier wie in Frankreich ist das Wesen der Freimaurerei von Anfang
an erdrückt worden durch das Überwiegen des Formenwesens, durch das Streben
nach Äußerlichkeiten, nach einer Hülle, der die Innerlichkeit, der Kern der Sache,
geopfert wird. Glühender Ehrgeiz und unbändige Freude an der schönen
Form, das sind nach dem Urteile eines Kenners die hervorstechenden Eigenschaften
des Jtalieners. Von Treue, von Hingabe an eine Aufgabe, von innerer
Vertiefung weiß er nichts. Aber Ruhmbegierde reizt ihn, und der kluge.


Die Freimaurer und der Weltkrieg

Italien sei, und daß die Freimaurer verpflichtet wären, diesen nationalen
Gedanken bis zu den äußersten Konsequenzen zu verfolgen und zu fördern. Das
revolutionär-demokratische politische Treiben setzte denn auch programmgemäß
mit offener Agitation ein. Das erste Ergebnis war die Beseitigung des
Religionsunterrichtes aus allen Schulen Italiens. Das paßte aber einer Minder¬
heit von Freimaurern nicht, die unter Führung Salandras auftrat und eine
neue Loge gründete. Die zurückgebliebene Mehrheit setzte sich nun aus den
radikalsten Demokraten und Republikanern zusammen, die von nun an ganz
offen für die republikanische Staatsform in Italien arbeiteten. Frankreich
dirigierte das Ganze. Das Papsttum und das mit ihm verbündete Österreich
waren in Mazzinis Gedankenkreise die Hauptfeinde der italienischen Freiheit
von jeher gewesen. Daher der besondere Haß aller italienischen Freimaurer
gegen Österreich und gegen das Papsttum. Nicht darüber braucht man sich
also zu wundern, daß heute der Dreibundvertrag ohne jeden Grund zerrissen
wurde, sondern darüber, daß es Crispi und seine Freunde einst fertig brachten,
Hu überhaupt zu schließen und über dreißig Jahre festzuhalten. Der größte
Schreier gegen Österreich ist in den letztverflossenen Zeiten der uneheliche Sohn
und Erbe Mazzinis und der Sarah Nathan, der Bürgermeister von Rom
Ernesto Nathan, gewesen. Von 1896 ab war dieser bis vor kurzem Gro߬
meister der italienischen Freimaurerei. „Mazzini hatte die Logen zu politischen
Klubs herunterorganisieren lassen. Sein Sohn Ernesto Nathan führte die
Freimaurerei auf die Straße und gewöhnte sie an die Straßenwanieren und
an den Gassenjungenton."

Ein wirksames Gegengewicht gegen das politische Treiben der Freimaurer
gab es in Italien nicht mehr. Sie hatten die mit französischem Gelde bezahlie
maßgebende Presse auf ihrer Seite. Hier wurde im Auftrage der französischen
Freimaurer die französische Republik, „die vor wenigen Jahren gegen das
klerikale Pfaffengesindel vorging", als der Hort der Freiheit und der Kultur
angepriesen; hier wurde dafür geworben, daß mit dem „heiligen Gaukler in
Rom" ein Ende gemacht würde; hier hetzte man gegen die „preußischen Junker"
und das „von Pfaffen beherrschte Österreich" zum Kriege bis aufs Messer; hier
malte man dem Volke die Zukunft in einem „von Thronen und Altären befreiten
Zeitalter der allgemeinen Völkerverbrüderung" aus.

Diese Entwicklung der italienischen Freimaurerei ist psychologisch aus dem
Charakter des italienischen Volkes und aus seiner politischen Geschichte leicht
erklärt. Hier wie in Frankreich ist das Wesen der Freimaurerei von Anfang
an erdrückt worden durch das Überwiegen des Formenwesens, durch das Streben
nach Äußerlichkeiten, nach einer Hülle, der die Innerlichkeit, der Kern der Sache,
geopfert wird. Glühender Ehrgeiz und unbändige Freude an der schönen
Form, das sind nach dem Urteile eines Kenners die hervorstechenden Eigenschaften
des Jtalieners. Von Treue, von Hingabe an eine Aufgabe, von innerer
Vertiefung weiß er nichts. Aber Ruhmbegierde reizt ihn, und der kluge.


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[0375] Die Freimaurer und der Weltkrieg Italien sei, und daß die Freimaurer verpflichtet wären, diesen nationalen Gedanken bis zu den äußersten Konsequenzen zu verfolgen und zu fördern. Das revolutionär-demokratische politische Treiben setzte denn auch programmgemäß mit offener Agitation ein. Das erste Ergebnis war die Beseitigung des Religionsunterrichtes aus allen Schulen Italiens. Das paßte aber einer Minder¬ heit von Freimaurern nicht, die unter Führung Salandras auftrat und eine neue Loge gründete. Die zurückgebliebene Mehrheit setzte sich nun aus den radikalsten Demokraten und Republikanern zusammen, die von nun an ganz offen für die republikanische Staatsform in Italien arbeiteten. Frankreich dirigierte das Ganze. Das Papsttum und das mit ihm verbündete Österreich waren in Mazzinis Gedankenkreise die Hauptfeinde der italienischen Freiheit von jeher gewesen. Daher der besondere Haß aller italienischen Freimaurer gegen Österreich und gegen das Papsttum. Nicht darüber braucht man sich also zu wundern, daß heute der Dreibundvertrag ohne jeden Grund zerrissen wurde, sondern darüber, daß es Crispi und seine Freunde einst fertig brachten, Hu überhaupt zu schließen und über dreißig Jahre festzuhalten. Der größte Schreier gegen Österreich ist in den letztverflossenen Zeiten der uneheliche Sohn und Erbe Mazzinis und der Sarah Nathan, der Bürgermeister von Rom Ernesto Nathan, gewesen. Von 1896 ab war dieser bis vor kurzem Gro߬ meister der italienischen Freimaurerei. „Mazzini hatte die Logen zu politischen Klubs herunterorganisieren lassen. Sein Sohn Ernesto Nathan führte die Freimaurerei auf die Straße und gewöhnte sie an die Straßenwanieren und an den Gassenjungenton." Ein wirksames Gegengewicht gegen das politische Treiben der Freimaurer gab es in Italien nicht mehr. Sie hatten die mit französischem Gelde bezahlie maßgebende Presse auf ihrer Seite. Hier wurde im Auftrage der französischen Freimaurer die französische Republik, „die vor wenigen Jahren gegen das klerikale Pfaffengesindel vorging", als der Hort der Freiheit und der Kultur angepriesen; hier wurde dafür geworben, daß mit dem „heiligen Gaukler in Rom" ein Ende gemacht würde; hier hetzte man gegen die „preußischen Junker" und das „von Pfaffen beherrschte Österreich" zum Kriege bis aufs Messer; hier malte man dem Volke die Zukunft in einem „von Thronen und Altären befreiten Zeitalter der allgemeinen Völkerverbrüderung" aus. Diese Entwicklung der italienischen Freimaurerei ist psychologisch aus dem Charakter des italienischen Volkes und aus seiner politischen Geschichte leicht erklärt. Hier wie in Frankreich ist das Wesen der Freimaurerei von Anfang an erdrückt worden durch das Überwiegen des Formenwesens, durch das Streben nach Äußerlichkeiten, nach einer Hülle, der die Innerlichkeit, der Kern der Sache, geopfert wird. Glühender Ehrgeiz und unbändige Freude an der schönen Form, das sind nach dem Urteile eines Kenners die hervorstechenden Eigenschaften des Jtalieners. Von Treue, von Hingabe an eine Aufgabe, von innerer Vertiefung weiß er nichts. Aber Ruhmbegierde reizt ihn, und der kluge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/375>, abgerufen am 26.06.2024.