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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Freimaurer und der Weltkrieg

Deutsche Brüder! Denkt an die Ketten, welche man euch schmieden will,
denkt an eure Vernunft, welche man einschränken will, denkt an eure Kinder,
die ihr mit so viel Liebe und Zärtlichkeit erzieht, und welche der Raub des
preußischen Minotaurus werden sollen. Denkt an die Freiheit, wie wir, strengt
euch an. Seid frei! Denkt an die Zukunft, denkt an den Fortschritt; die
Eisenbahnen und die Elektrizität haben die Entfernungen verschwinden lassen,
sie haben die innigen Beziehungen der Menschen herbeigeführt, welche es täglich
mehr lernen, sich zu verstehen; die Rassen stehen im Begriff, sich zu verschmelzen,
die Sprachstämme sich zu mischen, die Bedürfnisse identisch zu werden. Lasset
uns gleich sein! Die herkömmlichen Schranken, welche die Staaten trennen,
sollen verschwinden. Das Bestehen der Armeen wird keinen Sinn mehr haben,
und diese letzten Metzeleien -- durch Fürsten befohlen -- werden eine Mauer
von Menschengebeinen errichten, so hoch, so dick, so breit, daß der Krieg aus
unseren Sitten verschwinden muß durch die einzige Tatsache eines unsagbaren
Schreckens. Lasset uns Brüder sein! Wir Pariser Freimaurer sind ohne Furcht
über den Ausgang des Kampfes; wir haben ihn nicht gesucht; aber angesichts
der Barbarei, welche mit dem Fortschritt Krieg führt, ist unsere Pflicht vor¬
gezeichnet, wir werden sie zu erfüllen wissen. Was auch kommen mag, Paris
wird nicht untergehen, es kann nicht untergehen, es schließt die Idee, den Fort¬
schritt, die Zukunft der Völker in sich. Nichts davon kann untergehen, und an
dem glücklichen Tage, da die Zivilisation noch einmal über die Barbarei
triumphieren wird, kommt zu uns: als edelmütige Brüder werden wir euch mit
Freuden aufnehmen und werden auf eure Wunden den tröstenden Balsam der
Brüderlichkeit ausgießen!"

Derselbe Stil herrscht noch heute in den französischen Logen. Auch hier
berauscht sich die französische Eitelkeit immer aufs neue an dem veralteten
Gedanken, das erste Kulturvolk der Welt zu sein. In den französischen Frei¬
maurerlogen ist der Revanchegedanken gepflegt worden, sogar durch rituelle
Handlungen. So deutete man drei symbolische Handlungen in: "I^a l'ranLe" --
,,^l3aLe" -- "I^orraine" -- um.

Der Groß-Orient selbst hat sich bei der Frechheit seiner zehn Pariser Logen
im Jahre 1870 zurückgehalten und diese allein- handeln lassen. Er hat die Tat
geduldet und lange Zeit kein Wort der Mißbilligung dafür gefunden. Selbst¬
verständlich brachen die deutschen Großlogen sofort alle offiziellen Beziehungen
zur französischen Freimaurerei ab. Sie sind nie wieder in aller Form auf¬
genommen worden. Von Frankreich wurde zuerst vor wenigen Jahren eine
Versöhnung wieder anzubahnen versucht, nachdem der Groß-Orient nachträglich
eine Art von Entschuldigung oder Mißbilligung der alten Schuld vorgebracht
hatte. Nur widerwillig haben denn auch erst in allerletzter Zeit die drei alt¬
preußischen Großlogen dem Drängen im deutschen Großlogenbunde nachgegeben,
um zunächst mit der neugebildeten "Großen Loge von Frankreich", die erst in
den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einer Anzahl besonnener


Die Freimaurer und der Weltkrieg

Deutsche Brüder! Denkt an die Ketten, welche man euch schmieden will,
denkt an eure Vernunft, welche man einschränken will, denkt an eure Kinder,
die ihr mit so viel Liebe und Zärtlichkeit erzieht, und welche der Raub des
preußischen Minotaurus werden sollen. Denkt an die Freiheit, wie wir, strengt
euch an. Seid frei! Denkt an die Zukunft, denkt an den Fortschritt; die
Eisenbahnen und die Elektrizität haben die Entfernungen verschwinden lassen,
sie haben die innigen Beziehungen der Menschen herbeigeführt, welche es täglich
mehr lernen, sich zu verstehen; die Rassen stehen im Begriff, sich zu verschmelzen,
die Sprachstämme sich zu mischen, die Bedürfnisse identisch zu werden. Lasset
uns gleich sein! Die herkömmlichen Schranken, welche die Staaten trennen,
sollen verschwinden. Das Bestehen der Armeen wird keinen Sinn mehr haben,
und diese letzten Metzeleien — durch Fürsten befohlen — werden eine Mauer
von Menschengebeinen errichten, so hoch, so dick, so breit, daß der Krieg aus
unseren Sitten verschwinden muß durch die einzige Tatsache eines unsagbaren
Schreckens. Lasset uns Brüder sein! Wir Pariser Freimaurer sind ohne Furcht
über den Ausgang des Kampfes; wir haben ihn nicht gesucht; aber angesichts
der Barbarei, welche mit dem Fortschritt Krieg führt, ist unsere Pflicht vor¬
gezeichnet, wir werden sie zu erfüllen wissen. Was auch kommen mag, Paris
wird nicht untergehen, es kann nicht untergehen, es schließt die Idee, den Fort¬
schritt, die Zukunft der Völker in sich. Nichts davon kann untergehen, und an
dem glücklichen Tage, da die Zivilisation noch einmal über die Barbarei
triumphieren wird, kommt zu uns: als edelmütige Brüder werden wir euch mit
Freuden aufnehmen und werden auf eure Wunden den tröstenden Balsam der
Brüderlichkeit ausgießen!"

Derselbe Stil herrscht noch heute in den französischen Logen. Auch hier
berauscht sich die französische Eitelkeit immer aufs neue an dem veralteten
Gedanken, das erste Kulturvolk der Welt zu sein. In den französischen Frei¬
maurerlogen ist der Revanchegedanken gepflegt worden, sogar durch rituelle
Handlungen. So deutete man drei symbolische Handlungen in: „I^a l'ranLe" —
,,^l3aLe" — „I^orraine" — um.

Der Groß-Orient selbst hat sich bei der Frechheit seiner zehn Pariser Logen
im Jahre 1870 zurückgehalten und diese allein- handeln lassen. Er hat die Tat
geduldet und lange Zeit kein Wort der Mißbilligung dafür gefunden. Selbst¬
verständlich brachen die deutschen Großlogen sofort alle offiziellen Beziehungen
zur französischen Freimaurerei ab. Sie sind nie wieder in aller Form auf¬
genommen worden. Von Frankreich wurde zuerst vor wenigen Jahren eine
Versöhnung wieder anzubahnen versucht, nachdem der Groß-Orient nachträglich
eine Art von Entschuldigung oder Mißbilligung der alten Schuld vorgebracht
hatte. Nur widerwillig haben denn auch erst in allerletzter Zeit die drei alt¬
preußischen Großlogen dem Drängen im deutschen Großlogenbunde nachgegeben,
um zunächst mit der neugebildeten „Großen Loge von Frankreich", die erst in
den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einer Anzahl besonnener


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[0352] Die Freimaurer und der Weltkrieg Deutsche Brüder! Denkt an die Ketten, welche man euch schmieden will, denkt an eure Vernunft, welche man einschränken will, denkt an eure Kinder, die ihr mit so viel Liebe und Zärtlichkeit erzieht, und welche der Raub des preußischen Minotaurus werden sollen. Denkt an die Freiheit, wie wir, strengt euch an. Seid frei! Denkt an die Zukunft, denkt an den Fortschritt; die Eisenbahnen und die Elektrizität haben die Entfernungen verschwinden lassen, sie haben die innigen Beziehungen der Menschen herbeigeführt, welche es täglich mehr lernen, sich zu verstehen; die Rassen stehen im Begriff, sich zu verschmelzen, die Sprachstämme sich zu mischen, die Bedürfnisse identisch zu werden. Lasset uns gleich sein! Die herkömmlichen Schranken, welche die Staaten trennen, sollen verschwinden. Das Bestehen der Armeen wird keinen Sinn mehr haben, und diese letzten Metzeleien — durch Fürsten befohlen — werden eine Mauer von Menschengebeinen errichten, so hoch, so dick, so breit, daß der Krieg aus unseren Sitten verschwinden muß durch die einzige Tatsache eines unsagbaren Schreckens. Lasset uns Brüder sein! Wir Pariser Freimaurer sind ohne Furcht über den Ausgang des Kampfes; wir haben ihn nicht gesucht; aber angesichts der Barbarei, welche mit dem Fortschritt Krieg führt, ist unsere Pflicht vor¬ gezeichnet, wir werden sie zu erfüllen wissen. Was auch kommen mag, Paris wird nicht untergehen, es kann nicht untergehen, es schließt die Idee, den Fort¬ schritt, die Zukunft der Völker in sich. Nichts davon kann untergehen, und an dem glücklichen Tage, da die Zivilisation noch einmal über die Barbarei triumphieren wird, kommt zu uns: als edelmütige Brüder werden wir euch mit Freuden aufnehmen und werden auf eure Wunden den tröstenden Balsam der Brüderlichkeit ausgießen!" Derselbe Stil herrscht noch heute in den französischen Logen. Auch hier berauscht sich die französische Eitelkeit immer aufs neue an dem veralteten Gedanken, das erste Kulturvolk der Welt zu sein. In den französischen Frei¬ maurerlogen ist der Revanchegedanken gepflegt worden, sogar durch rituelle Handlungen. So deutete man drei symbolische Handlungen in: „I^a l'ranLe" — ,,^l3aLe" — „I^orraine" — um. Der Groß-Orient selbst hat sich bei der Frechheit seiner zehn Pariser Logen im Jahre 1870 zurückgehalten und diese allein- handeln lassen. Er hat die Tat geduldet und lange Zeit kein Wort der Mißbilligung dafür gefunden. Selbst¬ verständlich brachen die deutschen Großlogen sofort alle offiziellen Beziehungen zur französischen Freimaurerei ab. Sie sind nie wieder in aller Form auf¬ genommen worden. Von Frankreich wurde zuerst vor wenigen Jahren eine Versöhnung wieder anzubahnen versucht, nachdem der Groß-Orient nachträglich eine Art von Entschuldigung oder Mißbilligung der alten Schuld vorgebracht hatte. Nur widerwillig haben denn auch erst in allerletzter Zeit die drei alt¬ preußischen Großlogen dem Drängen im deutschen Großlogenbunde nachgegeben, um zunächst mit der neugebildeten „Großen Loge von Frankreich", die erst in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einer Anzahl besonnener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/352>, abgerufen am 23.07.2024.