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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Letten in den baltischen Provinzen, besonders in Kurland

daß es allen Feinden des Volkes so ergehen würde, da wagte niemand mehr
den neu einberufenen konstituierenden Versammlungen fern zu bleiben. Als dann
auf diesen Versammlungen, angesichts der meistens scheu schweigenden Bauernhofs¬
besitzer, von kleinen lärmenden Trupps städtischer, bewaffneter Revolutionäre,
unter Beihilfe von Volksschullehrern, Gemeindeschreibern und Studenten die
bisherigen Gemeindeverwaltungen aufgehoben und neue gewählt wurden ---
gewöhnlich fünf bis sieben Personen, darunter immer nur einzelne Hofbesitzer,
die Majorität bildeten die fremden angereihten Elemente und die Landarbeiter
der benachbarten Rittergutshöfe --, und überall verkündet wurde, daß der deutsche
Großgrundbesitznunmehr als Staatseigentum der neuen lettischen Republik anzusehen
sei, seine Äcker und Wiesen an die besitzlose Masse verteilt, die lettischen Bauernhofs¬
besitzer aber im Besitze ihrer Höfe verbleiben würden, soweit sie mit der Republik gingen,
da war es ja mehr als natürlich, daß die breite Masse der Leute, die schutzlos
allem preisgegeben war, aufatmete, als durch diese Entwicklung die anarchistische
Horde und die besitzlose Masse von ihnen auf den deutschen Großgrundbesitz
abgelenkt schienen. Sie verhielten sich passiv und sahen mit den Händen in
den Taschen dem Treiben des wahnsinnig gewordenen Teils ihrer Volksgenossen
zu. In wenigen Wochen hatten sich alle Bande der Ordnung im ganzen
Reiche gelöst, die anarchistischen Elemente erlangten die vollkommene Herrschaft,
und in wenigen Tagen gingen Hunderte von deutschen Gutshöfen in Flammen
auf, aus denen sich die Besitzer mit größter Not gerettet hatten, oder auch
gefangen genommen, zum Teil ermordet worden waren. Diejenigen, die
ihren Besitz mit der Waffe in der Hand verteidigt haben, haben ihn sich auch
erhalten. Endlich kam Militär ins Land; da alle russischen Beamten geflohen
waren, stellten sich die wenigen deutschen zurückgebliebenen Großgrundbesitzer
der Militärverwaltung zur Verfügung. Aus ihrer Mitte wurden sofort einige
zu Kreischefs ernannt, andere als Zivilkommissare den Militärs beigegeben
und unter ihrer Leitung wurde das Land in wenigen Monaten pazifiziert und von
den verbrecherischen Elementen gesäubert. Tausende flohen nach Amerika,
Tausende wurden nach Sibirien verbannt, Hunderte standrechtlich erschossen, und
bei der Liquidation dieser Revolution zeigte es sich, daß es doch trotz allem,
was vorangegangen war, einen Zusammenhang zwischen deutschen Großgrund¬
besitzern und keltischen Bauern gab. Denn durch die mit peinlichster Gewissen¬
haftigkeit von den ortseingesessenen Herren geführten Untersuchungen wurde
vermieden, daß Unschuldige unter dem Kriegsrecht litten, es wurden nur die
wirklich verbrecherischen Elemente gefaßt und denen, die passiv mitgelaufen
waren ihre völlige Schutzlosigkeit in der schrecklichen Zeit in vollem Maße
zugute geschrieben. Das Volk atmete auf, es begann wieder eine Zeit ruhiger
wirtschaftlicher Entwicklung, scheu verbargen die schlimmen Elemente ihr Haupt,
überall waren wieder die deutschen Elemente in die Verwaltung gekommen, und
in begeisterter Arbeit sammelte das baltische Deutschtum in neu entstehenden
Nationalverbänden sein Volkstum.


Die Letten in den baltischen Provinzen, besonders in Kurland

daß es allen Feinden des Volkes so ergehen würde, da wagte niemand mehr
den neu einberufenen konstituierenden Versammlungen fern zu bleiben. Als dann
auf diesen Versammlungen, angesichts der meistens scheu schweigenden Bauernhofs¬
besitzer, von kleinen lärmenden Trupps städtischer, bewaffneter Revolutionäre,
unter Beihilfe von Volksschullehrern, Gemeindeschreibern und Studenten die
bisherigen Gemeindeverwaltungen aufgehoben und neue gewählt wurden —-
gewöhnlich fünf bis sieben Personen, darunter immer nur einzelne Hofbesitzer,
die Majorität bildeten die fremden angereihten Elemente und die Landarbeiter
der benachbarten Rittergutshöfe —, und überall verkündet wurde, daß der deutsche
Großgrundbesitznunmehr als Staatseigentum der neuen lettischen Republik anzusehen
sei, seine Äcker und Wiesen an die besitzlose Masse verteilt, die lettischen Bauernhofs¬
besitzer aber im Besitze ihrer Höfe verbleiben würden, soweit sie mit der Republik gingen,
da war es ja mehr als natürlich, daß die breite Masse der Leute, die schutzlos
allem preisgegeben war, aufatmete, als durch diese Entwicklung die anarchistische
Horde und die besitzlose Masse von ihnen auf den deutschen Großgrundbesitz
abgelenkt schienen. Sie verhielten sich passiv und sahen mit den Händen in
den Taschen dem Treiben des wahnsinnig gewordenen Teils ihrer Volksgenossen
zu. In wenigen Wochen hatten sich alle Bande der Ordnung im ganzen
Reiche gelöst, die anarchistischen Elemente erlangten die vollkommene Herrschaft,
und in wenigen Tagen gingen Hunderte von deutschen Gutshöfen in Flammen
auf, aus denen sich die Besitzer mit größter Not gerettet hatten, oder auch
gefangen genommen, zum Teil ermordet worden waren. Diejenigen, die
ihren Besitz mit der Waffe in der Hand verteidigt haben, haben ihn sich auch
erhalten. Endlich kam Militär ins Land; da alle russischen Beamten geflohen
waren, stellten sich die wenigen deutschen zurückgebliebenen Großgrundbesitzer
der Militärverwaltung zur Verfügung. Aus ihrer Mitte wurden sofort einige
zu Kreischefs ernannt, andere als Zivilkommissare den Militärs beigegeben
und unter ihrer Leitung wurde das Land in wenigen Monaten pazifiziert und von
den verbrecherischen Elementen gesäubert. Tausende flohen nach Amerika,
Tausende wurden nach Sibirien verbannt, Hunderte standrechtlich erschossen, und
bei der Liquidation dieser Revolution zeigte es sich, daß es doch trotz allem,
was vorangegangen war, einen Zusammenhang zwischen deutschen Großgrund¬
besitzern und keltischen Bauern gab. Denn durch die mit peinlichster Gewissen¬
haftigkeit von den ortseingesessenen Herren geführten Untersuchungen wurde
vermieden, daß Unschuldige unter dem Kriegsrecht litten, es wurden nur die
wirklich verbrecherischen Elemente gefaßt und denen, die passiv mitgelaufen
waren ihre völlige Schutzlosigkeit in der schrecklichen Zeit in vollem Maße
zugute geschrieben. Das Volk atmete auf, es begann wieder eine Zeit ruhiger
wirtschaftlicher Entwicklung, scheu verbargen die schlimmen Elemente ihr Haupt,
überall waren wieder die deutschen Elemente in die Verwaltung gekommen, und
in begeisterter Arbeit sammelte das baltische Deutschtum in neu entstehenden
Nationalverbänden sein Volkstum.


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[0034] Die Letten in den baltischen Provinzen, besonders in Kurland daß es allen Feinden des Volkes so ergehen würde, da wagte niemand mehr den neu einberufenen konstituierenden Versammlungen fern zu bleiben. Als dann auf diesen Versammlungen, angesichts der meistens scheu schweigenden Bauernhofs¬ besitzer, von kleinen lärmenden Trupps städtischer, bewaffneter Revolutionäre, unter Beihilfe von Volksschullehrern, Gemeindeschreibern und Studenten die bisherigen Gemeindeverwaltungen aufgehoben und neue gewählt wurden —- gewöhnlich fünf bis sieben Personen, darunter immer nur einzelne Hofbesitzer, die Majorität bildeten die fremden angereihten Elemente und die Landarbeiter der benachbarten Rittergutshöfe —, und überall verkündet wurde, daß der deutsche Großgrundbesitznunmehr als Staatseigentum der neuen lettischen Republik anzusehen sei, seine Äcker und Wiesen an die besitzlose Masse verteilt, die lettischen Bauernhofs¬ besitzer aber im Besitze ihrer Höfe verbleiben würden, soweit sie mit der Republik gingen, da war es ja mehr als natürlich, daß die breite Masse der Leute, die schutzlos allem preisgegeben war, aufatmete, als durch diese Entwicklung die anarchistische Horde und die besitzlose Masse von ihnen auf den deutschen Großgrundbesitz abgelenkt schienen. Sie verhielten sich passiv und sahen mit den Händen in den Taschen dem Treiben des wahnsinnig gewordenen Teils ihrer Volksgenossen zu. In wenigen Wochen hatten sich alle Bande der Ordnung im ganzen Reiche gelöst, die anarchistischen Elemente erlangten die vollkommene Herrschaft, und in wenigen Tagen gingen Hunderte von deutschen Gutshöfen in Flammen auf, aus denen sich die Besitzer mit größter Not gerettet hatten, oder auch gefangen genommen, zum Teil ermordet worden waren. Diejenigen, die ihren Besitz mit der Waffe in der Hand verteidigt haben, haben ihn sich auch erhalten. Endlich kam Militär ins Land; da alle russischen Beamten geflohen waren, stellten sich die wenigen deutschen zurückgebliebenen Großgrundbesitzer der Militärverwaltung zur Verfügung. Aus ihrer Mitte wurden sofort einige zu Kreischefs ernannt, andere als Zivilkommissare den Militärs beigegeben und unter ihrer Leitung wurde das Land in wenigen Monaten pazifiziert und von den verbrecherischen Elementen gesäubert. Tausende flohen nach Amerika, Tausende wurden nach Sibirien verbannt, Hunderte standrechtlich erschossen, und bei der Liquidation dieser Revolution zeigte es sich, daß es doch trotz allem, was vorangegangen war, einen Zusammenhang zwischen deutschen Großgrund¬ besitzern und keltischen Bauern gab. Denn durch die mit peinlichster Gewissen¬ haftigkeit von den ortseingesessenen Herren geführten Untersuchungen wurde vermieden, daß Unschuldige unter dem Kriegsrecht litten, es wurden nur die wirklich verbrecherischen Elemente gefaßt und denen, die passiv mitgelaufen waren ihre völlige Schutzlosigkeit in der schrecklichen Zeit in vollem Maße zugute geschrieben. Das Volk atmete auf, es begann wieder eine Zeit ruhiger wirtschaftlicher Entwicklung, scheu verbargen die schlimmen Elemente ihr Haupt, überall waren wieder die deutschen Elemente in die Verwaltung gekommen, und in begeisterter Arbeit sammelte das baltische Deutschtum in neu entstehenden Nationalverbänden sein Volkstum.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/34>, abgerufen am 29.06.2024.