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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Skandinavien und der Krieg

verbürgen, sondern vielleicht auch aus dem Verhältnisse der beiden Länder zu
den beiden angrenzenden Großmächten, Rußland und Deutschland, den Krieg
wegorganisieren, was ebenfalls einen Friktionspunkt weniger zwischen diesen
Mächten bedeuten würde.

Wenden wir uns nun zu Norwegen, so ist seine militärische Verknüpfung
mit Dänemark, unter dem Bedürfnisgesichtspunkte betrachtet, gering, und ebenso
steht es damit auf dänischer Seite, aber desto mehr bedarf Norwegen Schwedens
unter allen Verhältnissen, wenn es sich um Rußlands atlantische Politik handelt.
Anderseits bedarf Schweden Norwegens, sobald ein russisches Vordringen im
Süden der Nordgrenze Schwedens droht. Dagegen liegt ja bloß Norwegen
Rußland im Wege, wenn das Vordringen nach dem Atlantischen Ozean im
Norden jener Grenze geschieht. Da wäre es denn unter streng schwedischen
Jnteressengesichtspunkte vielleicht nur angebracht, daß Schweden und Norwegen
ihre Verteidigungskräfte in dem Falle vereinigten, daß eine fremde Macht auf
der Südseite der schwedischen Nordgrenze vordränge. Doch ein solches nur
geographisch fixiertes Übereinkommen, das sich Schweden nützlicher erwiese als
Norwegen, würde den Schwerpunkt der nordischen Zusammengehörigkeit, der
das Gefühl skandinavischer Gemeinsamkeit ist. verrücken. Sollte ein großes
nordisches Bündnis, worin Schweden, Dänemark und Norwegen ungefähr gleiche
Wehrkräfte im Verhältnis zur Volksmenge einsetzten, Zustandekommen -- und
der Krieg kann uns jeden Augenblick dazu zwingen -- so muß gegebenerweise
auch das Finnmarkenproblem in den Rahmen des Bündnisses eingefügt werden.
Es muß übrigens selbst dann Schweden entgegen sein, daß Rußland bis an
den norwegischen Lyngenfjord am Atlantischen Ozean vorrückt, wenn wir dadurch
auch zunächst noch keinen Fußbreit eigenen Bodens einbüßen. Denn vom
Lyngenfjord. der ja nicht nur ein Ausfuhrhafen, sondern auch eine russische
Flottenstation würde, wäre Narvik bedroht, und damit würde die schwedische
Erzausfuhr unter neuen Bedingungen stattfinden, bis Nußland meint, daß auch
der Erzgrubenbetrieb nicht länger schwedischen Händen überlassen bleiben dürfe.

Mit gutem Willen kann Schweden eine halbe Million Soldaten mobilisieren.
Dänemark und Norwegen müssen zusammen ebensoviel aufstellen können, so
daß ein einiges Skandinavien durch eine Millionenarmee geschützt werden kann.
Die langen Küsten der drei Länder verlangen auch drei starke Flotten, und
durch den Reichstagsbeschluß des Jahres 1914 sind sowohl die schwedische
Armee wie die Flotte bedeutend vergrößert worden.

Der Sinn des Weltkrieges muß in dem Erschaffen eines neuen Europas
liegen, wo die rivalisierende, besonders von englischer Staatskunst gepflegte
Gleichgewichtspolitik durch eine vermittelst des Sieges Deutschlands ermöglichte
Solidaritätspolitik ersetzt wird. Kraft seiner meisterhaften Organisationsfahlgkett
und seiner hohen Bildung ist das Deutsche Reich am besten imstande, Mittel-
europa zur Sicherung eines dauernden Friedens zu vereinigen. Bevor dies
geschehen kann, muß quer durch Europa ein starker Schlagbaum als Schutz


Skandinavien und der Krieg

verbürgen, sondern vielleicht auch aus dem Verhältnisse der beiden Länder zu
den beiden angrenzenden Großmächten, Rußland und Deutschland, den Krieg
wegorganisieren, was ebenfalls einen Friktionspunkt weniger zwischen diesen
Mächten bedeuten würde.

Wenden wir uns nun zu Norwegen, so ist seine militärische Verknüpfung
mit Dänemark, unter dem Bedürfnisgesichtspunkte betrachtet, gering, und ebenso
steht es damit auf dänischer Seite, aber desto mehr bedarf Norwegen Schwedens
unter allen Verhältnissen, wenn es sich um Rußlands atlantische Politik handelt.
Anderseits bedarf Schweden Norwegens, sobald ein russisches Vordringen im
Süden der Nordgrenze Schwedens droht. Dagegen liegt ja bloß Norwegen
Rußland im Wege, wenn das Vordringen nach dem Atlantischen Ozean im
Norden jener Grenze geschieht. Da wäre es denn unter streng schwedischen
Jnteressengesichtspunkte vielleicht nur angebracht, daß Schweden und Norwegen
ihre Verteidigungskräfte in dem Falle vereinigten, daß eine fremde Macht auf
der Südseite der schwedischen Nordgrenze vordränge. Doch ein solches nur
geographisch fixiertes Übereinkommen, das sich Schweden nützlicher erwiese als
Norwegen, würde den Schwerpunkt der nordischen Zusammengehörigkeit, der
das Gefühl skandinavischer Gemeinsamkeit ist. verrücken. Sollte ein großes
nordisches Bündnis, worin Schweden, Dänemark und Norwegen ungefähr gleiche
Wehrkräfte im Verhältnis zur Volksmenge einsetzten, Zustandekommen — und
der Krieg kann uns jeden Augenblick dazu zwingen — so muß gegebenerweise
auch das Finnmarkenproblem in den Rahmen des Bündnisses eingefügt werden.
Es muß übrigens selbst dann Schweden entgegen sein, daß Rußland bis an
den norwegischen Lyngenfjord am Atlantischen Ozean vorrückt, wenn wir dadurch
auch zunächst noch keinen Fußbreit eigenen Bodens einbüßen. Denn vom
Lyngenfjord. der ja nicht nur ein Ausfuhrhafen, sondern auch eine russische
Flottenstation würde, wäre Narvik bedroht, und damit würde die schwedische
Erzausfuhr unter neuen Bedingungen stattfinden, bis Nußland meint, daß auch
der Erzgrubenbetrieb nicht länger schwedischen Händen überlassen bleiben dürfe.

Mit gutem Willen kann Schweden eine halbe Million Soldaten mobilisieren.
Dänemark und Norwegen müssen zusammen ebensoviel aufstellen können, so
daß ein einiges Skandinavien durch eine Millionenarmee geschützt werden kann.
Die langen Küsten der drei Länder verlangen auch drei starke Flotten, und
durch den Reichstagsbeschluß des Jahres 1914 sind sowohl die schwedische
Armee wie die Flotte bedeutend vergrößert worden.

Der Sinn des Weltkrieges muß in dem Erschaffen eines neuen Europas
liegen, wo die rivalisierende, besonders von englischer Staatskunst gepflegte
Gleichgewichtspolitik durch eine vermittelst des Sieges Deutschlands ermöglichte
Solidaritätspolitik ersetzt wird. Kraft seiner meisterhaften Organisationsfahlgkett
und seiner hohen Bildung ist das Deutsche Reich am besten imstande, Mittel-
europa zur Sicherung eines dauernden Friedens zu vereinigen. Bevor dies
geschehen kann, muß quer durch Europa ein starker Schlagbaum als Schutz


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[0309] Skandinavien und der Krieg verbürgen, sondern vielleicht auch aus dem Verhältnisse der beiden Länder zu den beiden angrenzenden Großmächten, Rußland und Deutschland, den Krieg wegorganisieren, was ebenfalls einen Friktionspunkt weniger zwischen diesen Mächten bedeuten würde. Wenden wir uns nun zu Norwegen, so ist seine militärische Verknüpfung mit Dänemark, unter dem Bedürfnisgesichtspunkte betrachtet, gering, und ebenso steht es damit auf dänischer Seite, aber desto mehr bedarf Norwegen Schwedens unter allen Verhältnissen, wenn es sich um Rußlands atlantische Politik handelt. Anderseits bedarf Schweden Norwegens, sobald ein russisches Vordringen im Süden der Nordgrenze Schwedens droht. Dagegen liegt ja bloß Norwegen Rußland im Wege, wenn das Vordringen nach dem Atlantischen Ozean im Norden jener Grenze geschieht. Da wäre es denn unter streng schwedischen Jnteressengesichtspunkte vielleicht nur angebracht, daß Schweden und Norwegen ihre Verteidigungskräfte in dem Falle vereinigten, daß eine fremde Macht auf der Südseite der schwedischen Nordgrenze vordränge. Doch ein solches nur geographisch fixiertes Übereinkommen, das sich Schweden nützlicher erwiese als Norwegen, würde den Schwerpunkt der nordischen Zusammengehörigkeit, der das Gefühl skandinavischer Gemeinsamkeit ist. verrücken. Sollte ein großes nordisches Bündnis, worin Schweden, Dänemark und Norwegen ungefähr gleiche Wehrkräfte im Verhältnis zur Volksmenge einsetzten, Zustandekommen — und der Krieg kann uns jeden Augenblick dazu zwingen — so muß gegebenerweise auch das Finnmarkenproblem in den Rahmen des Bündnisses eingefügt werden. Es muß übrigens selbst dann Schweden entgegen sein, daß Rußland bis an den norwegischen Lyngenfjord am Atlantischen Ozean vorrückt, wenn wir dadurch auch zunächst noch keinen Fußbreit eigenen Bodens einbüßen. Denn vom Lyngenfjord. der ja nicht nur ein Ausfuhrhafen, sondern auch eine russische Flottenstation würde, wäre Narvik bedroht, und damit würde die schwedische Erzausfuhr unter neuen Bedingungen stattfinden, bis Nußland meint, daß auch der Erzgrubenbetrieb nicht länger schwedischen Händen überlassen bleiben dürfe. Mit gutem Willen kann Schweden eine halbe Million Soldaten mobilisieren. Dänemark und Norwegen müssen zusammen ebensoviel aufstellen können, so daß ein einiges Skandinavien durch eine Millionenarmee geschützt werden kann. Die langen Küsten der drei Länder verlangen auch drei starke Flotten, und durch den Reichstagsbeschluß des Jahres 1914 sind sowohl die schwedische Armee wie die Flotte bedeutend vergrößert worden. Der Sinn des Weltkrieges muß in dem Erschaffen eines neuen Europas liegen, wo die rivalisierende, besonders von englischer Staatskunst gepflegte Gleichgewichtspolitik durch eine vermittelst des Sieges Deutschlands ermöglichte Solidaritätspolitik ersetzt wird. Kraft seiner meisterhaften Organisationsfahlgkett und seiner hohen Bildung ist das Deutsche Reich am besten imstande, Mittel- europa zur Sicherung eines dauernden Friedens zu vereinigen. Bevor dies geschehen kann, muß quer durch Europa ein starker Schlagbaum als Schutz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/309>, abgerufen am 23.07.2024.