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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Skandinavien und der Krieg

Durch Preußens Sieg im Jahre 1864 erhielt Deutschland geographischen
Flankenschutz für den eben vollendeten Nordostseekanal, da Holstein und Schleswig
Dänemark genommen wurden. Richtig und klug, nach skandinavischer Auf¬
fassung, hätte der Sieger gehandelt, wenn die Grenze weiter südwärts gezogen
worden wäre, so daß sie mit der scharf markierter Sprachgrenze zusammenfiel
und das dänische Element in Schleswig -- 150000 Menschen -- unter der
Krone Dänemarks verblieben wäre, was ohne strategisches Risiko für den Nord¬
ostseekanal hätte geschehen können. Indessen ist jetzt Dänemarks Lage bedeutend
erleichtert worden, da der für Deutschland unschätzbare Kanal so erweite-!
worden ist, daß die größten Kriegsschiffe aus der Nordsee in die Ostsee und
umgekehrt fahren können. Die deutsche Flotte braucht jetzt nicht mehr um
Skagen herumzufahren, um die Verbindung zwischen Kiel und Wilhelmshaven
herzustellen. Hierdurch wird ein eventuelles Trachten nach dem Besitze Jütlands
zurückgehalten. Auch liegt es -- wie der Weltkrieg schon gezeigt hat -- nicht
in Deutschlands absolutem Interesse, die Belte zu besitzen, wenn Dänemark
sich nur verpflichtet, sie englischen Kriegsschiffen zu sperren. Fordert England
seinerseits, durchgelassen zu werden, so muß Dänemark zwischen diese entgegen¬
gesetzten Forderungen auf vermittelnden Verpflichtungen als Ventil bestehen,
was ihm während des jetzigen Krieges bisher geglückt zu sein scheint. Sollte
dagegen Rußland das nördliche Schweden forcieren und festen Fuß am
Bodenlöcher Meerbusen fassen, so hat es damit eine große Strecke des Weges
nach dem Sunde in einem Sprunge zurückgelegt, und damit ist Dänemarks
Ruhe gestört, denn dann entsteht wieder ein neues, strategisch-politisches Moment
in dem Verhältnisse Deutschlands zu Dänemark, nämlich die russische Gefahr
via Schweden. Hier hängt also Dänemarks Interesse eng mit dem Schwedens
zusammen. Und umgekehrt ist es ebenso; denn wenn Deutschland wider all?s
Erwarten, vor Rußland einen Offensivschritt in der Richtung des Sundes täte,
so würde dadurch gegebenermetse ein ähnlicher Schritt russischerseits gegen
Schweden beschleunigt werden.

Deutschland würde ein Verteidigungsbündnis zwischen Schweden und Dänemark
ohne Zweifel willkommen sein, denn es verschaffte ihm Ruhe an seiner Nordgrenze,
weil es vielleicht Nußland von Skandinavien zurückhielte. Und der durchaus nicht
kleine Teil des russischen Volkes, der Frieden und soziale Reformen will, würde
sicherlich ebenfalls ein skandinavisches Bündnis zwischen Schweden, Dänemark und
Norwegen, wodurch die russische Kriegspartei eine Versuchung weniger hätte, gern
willkommen heißen. Wir können also folgende Sätze als wahrscheinlich feststellen:

1. Deutschland will nicht seinetwegen an den Sund gelangen, aber schlägt
sich Rußland dorthin durch oder rückt es eine Strecke auf dem Wege dorthin
vor, dann muß Deutschland daraus mit Gegenmaßregeln in der Richtung auf
dasselbe Ziel antworten.

2. Ein Verteidigungsbündnis zwischen Schweden und Dänemark würde
nicht nur ihre Wehrkräfte bedeutend vergrößern und den Frieden zwischen ihnen


Skandinavien und der Krieg

Durch Preußens Sieg im Jahre 1864 erhielt Deutschland geographischen
Flankenschutz für den eben vollendeten Nordostseekanal, da Holstein und Schleswig
Dänemark genommen wurden. Richtig und klug, nach skandinavischer Auf¬
fassung, hätte der Sieger gehandelt, wenn die Grenze weiter südwärts gezogen
worden wäre, so daß sie mit der scharf markierter Sprachgrenze zusammenfiel
und das dänische Element in Schleswig — 150000 Menschen — unter der
Krone Dänemarks verblieben wäre, was ohne strategisches Risiko für den Nord¬
ostseekanal hätte geschehen können. Indessen ist jetzt Dänemarks Lage bedeutend
erleichtert worden, da der für Deutschland unschätzbare Kanal so erweite-!
worden ist, daß die größten Kriegsschiffe aus der Nordsee in die Ostsee und
umgekehrt fahren können. Die deutsche Flotte braucht jetzt nicht mehr um
Skagen herumzufahren, um die Verbindung zwischen Kiel und Wilhelmshaven
herzustellen. Hierdurch wird ein eventuelles Trachten nach dem Besitze Jütlands
zurückgehalten. Auch liegt es — wie der Weltkrieg schon gezeigt hat — nicht
in Deutschlands absolutem Interesse, die Belte zu besitzen, wenn Dänemark
sich nur verpflichtet, sie englischen Kriegsschiffen zu sperren. Fordert England
seinerseits, durchgelassen zu werden, so muß Dänemark zwischen diese entgegen¬
gesetzten Forderungen auf vermittelnden Verpflichtungen als Ventil bestehen,
was ihm während des jetzigen Krieges bisher geglückt zu sein scheint. Sollte
dagegen Rußland das nördliche Schweden forcieren und festen Fuß am
Bodenlöcher Meerbusen fassen, so hat es damit eine große Strecke des Weges
nach dem Sunde in einem Sprunge zurückgelegt, und damit ist Dänemarks
Ruhe gestört, denn dann entsteht wieder ein neues, strategisch-politisches Moment
in dem Verhältnisse Deutschlands zu Dänemark, nämlich die russische Gefahr
via Schweden. Hier hängt also Dänemarks Interesse eng mit dem Schwedens
zusammen. Und umgekehrt ist es ebenso; denn wenn Deutschland wider all?s
Erwarten, vor Rußland einen Offensivschritt in der Richtung des Sundes täte,
so würde dadurch gegebenermetse ein ähnlicher Schritt russischerseits gegen
Schweden beschleunigt werden.

Deutschland würde ein Verteidigungsbündnis zwischen Schweden und Dänemark
ohne Zweifel willkommen sein, denn es verschaffte ihm Ruhe an seiner Nordgrenze,
weil es vielleicht Nußland von Skandinavien zurückhielte. Und der durchaus nicht
kleine Teil des russischen Volkes, der Frieden und soziale Reformen will, würde
sicherlich ebenfalls ein skandinavisches Bündnis zwischen Schweden, Dänemark und
Norwegen, wodurch die russische Kriegspartei eine Versuchung weniger hätte, gern
willkommen heißen. Wir können also folgende Sätze als wahrscheinlich feststellen:

1. Deutschland will nicht seinetwegen an den Sund gelangen, aber schlägt
sich Rußland dorthin durch oder rückt es eine Strecke auf dem Wege dorthin
vor, dann muß Deutschland daraus mit Gegenmaßregeln in der Richtung auf
dasselbe Ziel antworten.

2. Ein Verteidigungsbündnis zwischen Schweden und Dänemark würde
nicht nur ihre Wehrkräfte bedeutend vergrößern und den Frieden zwischen ihnen


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[0308] Skandinavien und der Krieg Durch Preußens Sieg im Jahre 1864 erhielt Deutschland geographischen Flankenschutz für den eben vollendeten Nordostseekanal, da Holstein und Schleswig Dänemark genommen wurden. Richtig und klug, nach skandinavischer Auf¬ fassung, hätte der Sieger gehandelt, wenn die Grenze weiter südwärts gezogen worden wäre, so daß sie mit der scharf markierter Sprachgrenze zusammenfiel und das dänische Element in Schleswig — 150000 Menschen — unter der Krone Dänemarks verblieben wäre, was ohne strategisches Risiko für den Nord¬ ostseekanal hätte geschehen können. Indessen ist jetzt Dänemarks Lage bedeutend erleichtert worden, da der für Deutschland unschätzbare Kanal so erweite-! worden ist, daß die größten Kriegsschiffe aus der Nordsee in die Ostsee und umgekehrt fahren können. Die deutsche Flotte braucht jetzt nicht mehr um Skagen herumzufahren, um die Verbindung zwischen Kiel und Wilhelmshaven herzustellen. Hierdurch wird ein eventuelles Trachten nach dem Besitze Jütlands zurückgehalten. Auch liegt es — wie der Weltkrieg schon gezeigt hat — nicht in Deutschlands absolutem Interesse, die Belte zu besitzen, wenn Dänemark sich nur verpflichtet, sie englischen Kriegsschiffen zu sperren. Fordert England seinerseits, durchgelassen zu werden, so muß Dänemark zwischen diese entgegen¬ gesetzten Forderungen auf vermittelnden Verpflichtungen als Ventil bestehen, was ihm während des jetzigen Krieges bisher geglückt zu sein scheint. Sollte dagegen Rußland das nördliche Schweden forcieren und festen Fuß am Bodenlöcher Meerbusen fassen, so hat es damit eine große Strecke des Weges nach dem Sunde in einem Sprunge zurückgelegt, und damit ist Dänemarks Ruhe gestört, denn dann entsteht wieder ein neues, strategisch-politisches Moment in dem Verhältnisse Deutschlands zu Dänemark, nämlich die russische Gefahr via Schweden. Hier hängt also Dänemarks Interesse eng mit dem Schwedens zusammen. Und umgekehrt ist es ebenso; denn wenn Deutschland wider all?s Erwarten, vor Rußland einen Offensivschritt in der Richtung des Sundes täte, so würde dadurch gegebenermetse ein ähnlicher Schritt russischerseits gegen Schweden beschleunigt werden. Deutschland würde ein Verteidigungsbündnis zwischen Schweden und Dänemark ohne Zweifel willkommen sein, denn es verschaffte ihm Ruhe an seiner Nordgrenze, weil es vielleicht Nußland von Skandinavien zurückhielte. Und der durchaus nicht kleine Teil des russischen Volkes, der Frieden und soziale Reformen will, würde sicherlich ebenfalls ein skandinavisches Bündnis zwischen Schweden, Dänemark und Norwegen, wodurch die russische Kriegspartei eine Versuchung weniger hätte, gern willkommen heißen. Wir können also folgende Sätze als wahrscheinlich feststellen: 1. Deutschland will nicht seinetwegen an den Sund gelangen, aber schlägt sich Rußland dorthin durch oder rückt es eine Strecke auf dem Wege dorthin vor, dann muß Deutschland daraus mit Gegenmaßregeln in der Richtung auf dasselbe Ziel antworten. 2. Ein Verteidigungsbündnis zwischen Schweden und Dänemark würde nicht nur ihre Wehrkräfte bedeutend vergrößern und den Frieden zwischen ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/308>, abgerufen am 23.07.2024.