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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Skandinavien und der Krieg

nordische Staaiskunst bestimmen läßt. Der Schatten, den der Wellkneg nord-
wärts wirft, weist mahnend auf näheres Zusammenschließen zwischen Schweden,
Dänemark und Norwegen hin.

Schlägt man die sich über zwei Weltteile hinziehende Karte Rußlands auf,
so erscheint die skandinavische Halbinsel wie ein kleines aus dem Rtesenreiche
heraustretendeVorgebirge. Solange.wie der imperialistische Gedanke die Herrschaft
über Rußland behält, werden die russischen Staatsmänner es ganz natürlich
finden, daß der Sund, der Endpunkt des kleinen Vorgebirges und der Schlüssel
zur Ostsee, für ihre atlantische Politik dasselbe bedeutet wie der Bosporus für
ihre Mittelmeerpolitik. Die Politik eines imperialistisch regierten Rußlands
hat im Nordwesten ohne Zweifel zwei Ziele, ein näheres, das ein Hafen an
der Küste Norwegens heißt, und ein ferneres, das der Besitz des Sundes ist.
An diesem Ziele angelangt, hätte Rußland einen erdrosselnden Arm gegen
' Deutschlands Ostseeküste ausgestreckt. Doch ein solcher Plan bedeutet, daß dieses
letztere Reich zum Wettlaufe nach dem Sunde aufgefordert wird. Nußland
und Deutschland werden dann zu zwei schwerbeladener Eisenbahnwagen, die
einander entgegenrollen, und zwar nach dem Punkte der Bahnstrecke entgegenrollen,
wo Schweden und Dänemark zwischen den Puffern zerquetscht werden müssen. Dies
hat der große schwedische Politiker Adolf Hedin -- ein Verwandter Sven Hedins--
vorausgesehen, als er im Herbste 1899 die Worte schrieb: "Hier braucht nicht an
Stammverwandtschaft und Blutsbrüderschaft appelliert zu werden; die zwingenden
praktischen Gründe sprechen überlaut. Wir müssen uns nämlich mit dem
Gedanken vertraut machen, daß, falls Rußland, wenn es seinen Vormarsch
nachKoustantinopeliitchtweiter fortsetzen kann, sich, wie es einst in derKrim geschah,
am Nordmeer- militärisch zu befestigen versucht und von einem derartigen
Arsenale er der Nordwestecke Europas mächtige Flotten ausschickt. Deutschland
diese Störung des Gleichgewichts -- ein Wort und ein Motiv, die alles
bedeuten können, was man will -- damit beantworten wird, daß es die
Übermacht an den Meerengen, die aus der Ostsee er das Weltmeer führen, zu
erlangen sucht. Jeden Übergriff von selten des einen Rivalen wird der andere
seiner Meinung nach berechttgterweise auch mit einem Übergriffe beantworten --
beides auf Kosten des Dritten, der sich dazwischen befindet. Wenn wir
uns einer solchen Lage nähern, kann es sich um das Sein oder Nichtsein
der skandinavischen Länder handeln. Wir müssen dafür sorgen, daß der eine
der beiden Nebenbuhler keine Veranlassung hat, darauf zu rechnen, daß die
Skandinavier vereint oder getrennt aus einer vollständig unparteiischen, also
auch wohlgewappneten und'verteidigten Neutralität heraustreten werden, und
daß der andere keinen Grund hat, dies zu fürchten."

Soweit Adolf Hedw. In gewisser Hinsicht hat jedoch der Weltkrieg durch
das Bündnis zwischen England und Rußland den Schwerpunkt der Gefahr für
Skandinavien verschoben. Jetzt droht ihm in nächster Zeit ein Eingeklemmt-
werden zwischen diesen Großmächten.


Skandinavien und der Krieg

nordische Staaiskunst bestimmen läßt. Der Schatten, den der Wellkneg nord-
wärts wirft, weist mahnend auf näheres Zusammenschließen zwischen Schweden,
Dänemark und Norwegen hin.

Schlägt man die sich über zwei Weltteile hinziehende Karte Rußlands auf,
so erscheint die skandinavische Halbinsel wie ein kleines aus dem Rtesenreiche
heraustretendeVorgebirge. Solange.wie der imperialistische Gedanke die Herrschaft
über Rußland behält, werden die russischen Staatsmänner es ganz natürlich
finden, daß der Sund, der Endpunkt des kleinen Vorgebirges und der Schlüssel
zur Ostsee, für ihre atlantische Politik dasselbe bedeutet wie der Bosporus für
ihre Mittelmeerpolitik. Die Politik eines imperialistisch regierten Rußlands
hat im Nordwesten ohne Zweifel zwei Ziele, ein näheres, das ein Hafen an
der Küste Norwegens heißt, und ein ferneres, das der Besitz des Sundes ist.
An diesem Ziele angelangt, hätte Rußland einen erdrosselnden Arm gegen
' Deutschlands Ostseeküste ausgestreckt. Doch ein solcher Plan bedeutet, daß dieses
letztere Reich zum Wettlaufe nach dem Sunde aufgefordert wird. Nußland
und Deutschland werden dann zu zwei schwerbeladener Eisenbahnwagen, die
einander entgegenrollen, und zwar nach dem Punkte der Bahnstrecke entgegenrollen,
wo Schweden und Dänemark zwischen den Puffern zerquetscht werden müssen. Dies
hat der große schwedische Politiker Adolf Hedin — ein Verwandter Sven Hedins—
vorausgesehen, als er im Herbste 1899 die Worte schrieb: „Hier braucht nicht an
Stammverwandtschaft und Blutsbrüderschaft appelliert zu werden; die zwingenden
praktischen Gründe sprechen überlaut. Wir müssen uns nämlich mit dem
Gedanken vertraut machen, daß, falls Rußland, wenn es seinen Vormarsch
nachKoustantinopeliitchtweiter fortsetzen kann, sich, wie es einst in derKrim geschah,
am Nordmeer- militärisch zu befestigen versucht und von einem derartigen
Arsenale er der Nordwestecke Europas mächtige Flotten ausschickt. Deutschland
diese Störung des Gleichgewichts — ein Wort und ein Motiv, die alles
bedeuten können, was man will — damit beantworten wird, daß es die
Übermacht an den Meerengen, die aus der Ostsee er das Weltmeer führen, zu
erlangen sucht. Jeden Übergriff von selten des einen Rivalen wird der andere
seiner Meinung nach berechttgterweise auch mit einem Übergriffe beantworten —
beides auf Kosten des Dritten, der sich dazwischen befindet. Wenn wir
uns einer solchen Lage nähern, kann es sich um das Sein oder Nichtsein
der skandinavischen Länder handeln. Wir müssen dafür sorgen, daß der eine
der beiden Nebenbuhler keine Veranlassung hat, darauf zu rechnen, daß die
Skandinavier vereint oder getrennt aus einer vollständig unparteiischen, also
auch wohlgewappneten und'verteidigten Neutralität heraustreten werden, und
daß der andere keinen Grund hat, dies zu fürchten."

Soweit Adolf Hedw. In gewisser Hinsicht hat jedoch der Weltkrieg durch
das Bündnis zwischen England und Rußland den Schwerpunkt der Gefahr für
Skandinavien verschoben. Jetzt droht ihm in nächster Zeit ein Eingeklemmt-
werden zwischen diesen Großmächten.


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[0307] Skandinavien und der Krieg nordische Staaiskunst bestimmen läßt. Der Schatten, den der Wellkneg nord- wärts wirft, weist mahnend auf näheres Zusammenschließen zwischen Schweden, Dänemark und Norwegen hin. Schlägt man die sich über zwei Weltteile hinziehende Karte Rußlands auf, so erscheint die skandinavische Halbinsel wie ein kleines aus dem Rtesenreiche heraustretendeVorgebirge. Solange.wie der imperialistische Gedanke die Herrschaft über Rußland behält, werden die russischen Staatsmänner es ganz natürlich finden, daß der Sund, der Endpunkt des kleinen Vorgebirges und der Schlüssel zur Ostsee, für ihre atlantische Politik dasselbe bedeutet wie der Bosporus für ihre Mittelmeerpolitik. Die Politik eines imperialistisch regierten Rußlands hat im Nordwesten ohne Zweifel zwei Ziele, ein näheres, das ein Hafen an der Küste Norwegens heißt, und ein ferneres, das der Besitz des Sundes ist. An diesem Ziele angelangt, hätte Rußland einen erdrosselnden Arm gegen ' Deutschlands Ostseeküste ausgestreckt. Doch ein solcher Plan bedeutet, daß dieses letztere Reich zum Wettlaufe nach dem Sunde aufgefordert wird. Nußland und Deutschland werden dann zu zwei schwerbeladener Eisenbahnwagen, die einander entgegenrollen, und zwar nach dem Punkte der Bahnstrecke entgegenrollen, wo Schweden und Dänemark zwischen den Puffern zerquetscht werden müssen. Dies hat der große schwedische Politiker Adolf Hedin — ein Verwandter Sven Hedins— vorausgesehen, als er im Herbste 1899 die Worte schrieb: „Hier braucht nicht an Stammverwandtschaft und Blutsbrüderschaft appelliert zu werden; die zwingenden praktischen Gründe sprechen überlaut. Wir müssen uns nämlich mit dem Gedanken vertraut machen, daß, falls Rußland, wenn es seinen Vormarsch nachKoustantinopeliitchtweiter fortsetzen kann, sich, wie es einst in derKrim geschah, am Nordmeer- militärisch zu befestigen versucht und von einem derartigen Arsenale er der Nordwestecke Europas mächtige Flotten ausschickt. Deutschland diese Störung des Gleichgewichts — ein Wort und ein Motiv, die alles bedeuten können, was man will — damit beantworten wird, daß es die Übermacht an den Meerengen, die aus der Ostsee er das Weltmeer führen, zu erlangen sucht. Jeden Übergriff von selten des einen Rivalen wird der andere seiner Meinung nach berechttgterweise auch mit einem Übergriffe beantworten — beides auf Kosten des Dritten, der sich dazwischen befindet. Wenn wir uns einer solchen Lage nähern, kann es sich um das Sein oder Nichtsein der skandinavischen Länder handeln. Wir müssen dafür sorgen, daß der eine der beiden Nebenbuhler keine Veranlassung hat, darauf zu rechnen, daß die Skandinavier vereint oder getrennt aus einer vollständig unparteiischen, also auch wohlgewappneten und'verteidigten Neutralität heraustreten werden, und daß der andere keinen Grund hat, dies zu fürchten." Soweit Adolf Hedw. In gewisser Hinsicht hat jedoch der Weltkrieg durch das Bündnis zwischen England und Rußland den Schwerpunkt der Gefahr für Skandinavien verschoben. Jetzt droht ihm in nächster Zeit ein Eingeklemmt- werden zwischen diesen Großmächten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/307>, abgerufen am 23.07.2024.