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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Skandinavien und der Krieg

aber fie glauben nicht an das Dogma, daß sich durch Raffsuchtpolittk auf die
Dauer nationaler Wohlstand erreichen läßt. Daher ist ihre Neutralitätspolitik
anderer Art als die der Balkanvölker.

Die skandinavischen Völker glauben an ein Gesetz gemeinsamen Lebens,
das friedlicher Gewerbefleiß und alles, was an herrlichem Kampfe für Wahrheit
und Recht dazu gehört, heißt. Daher beseelt die moralische Auslandspolitik des
Friedens die Regierungen der drei Völker, hinter denen die verantwortlichen
Männer der Volksvertreter stehen. Aber wir wissen nicht, wie lange uns der
Frieden erhalten bleiben wird. Darüber bestimmt ein außerskandinavischer
Beschluß. Kommt der Krieg über uns, so haben wir unsere gemeinsame Kultur
mit all unserem Blei und all unserem Blute zu verteidigen. Wir können nur
unter der Voraussetzung, daß wir eine gemeinsame Neutralitätspolitik führen,
zusammenstehen. Sowohl unsere Klugheit wie unser Rechtsgefühl sagen uns,
daß wir uns mit dem Imperialismus nicht einlassen dürfen, sondern treu an
unserer Neutralität festhalten müssen. Aber eine passive Neutralität, bei der
jeder Staat in seinem kleinen Winkel die Hände in den Schoß legt, macht uns
schwach. Nur eine aktive Neutralität, die uns Völker des Nordens zu gemein¬
samen Beratungen über die Verstärkung unserer Wehrkräfte durch gegenseitige
Unterstützung vereinigt, kann uns eine ruhigere Zukunft verbürgen.

Der jetzt vor sich gehende Krieg hat fast ganz Europa in zwei verschiedene
Lager geteilt. Unter den neutralen Staaten besitzt Dänemark geschichtliche und
Norwegen geographische Voraussetzungen eines Sympathieverhältnisses zur
Entente, während Schwedens geschichtliche Erinnerungen und geographische Lage
es nach der entgegengesetzten Seite hinziehen, obwohl die Volksmeinung in allen
diesen drei Ländern geteilt ist. Doch dürfte die Hauptmeinung die angegebene sein.

In dieser Divergenz der verschiedenen Sympathien innerhalb Skandinaviens
liegt eine Gefahr, welcher die drei Regierungen bisher durch aktives Zusammen¬
wirken haben Herr bleiben können. Jeder, der auf ein Aufgeben der Neu¬
tralität Schwedens dringt, hämmert an einem Sprengkctle zwischen den Völkern
des Nordens und ahnt nicht, wie verhängnisvoll uns Schweden und auch
unseren skandinavischen Nachbarn eine derartige Abenteurerpolitik werden würde.
Sollte unsere und ihre Politik nach verschiedenen Großmachtsgruppen hin
gravitieren -- und das tut sie leicht, sowie wir Nordbewohner einander nicht
mehr an der Hand halten --, dann sind wir nicht mehr wir selbst. Halten
wir aber zum Schutze unserer skandinavischen Gemeinsamkeit zusammen, so
können wir etwas bedeuten. Zuerst gilt es, einzusehen, daß die Gefahr, die
den nordischen Völkern von außen her drohen kann, ihnen gemeinsam droht,
denn ohne solche Einsicht lohnt es sich gegebenerweise überhaupt nicht,
irgendwelche Formen skandinavischen Zusammenwirkens zur Verteidigung der
drei Reiche zu besprechen. Es ist nötig, daß die Völker des Nordens recht¬
zeitig den Scharfblick erlangen, der nicht wartet, bis er die Geißel des Krieges
auf seinem eigenen Rücken spürt, sondern die Vernunft schon in Friedenszeiten


Skandinavien und der Krieg

aber fie glauben nicht an das Dogma, daß sich durch Raffsuchtpolittk auf die
Dauer nationaler Wohlstand erreichen läßt. Daher ist ihre Neutralitätspolitik
anderer Art als die der Balkanvölker.

Die skandinavischen Völker glauben an ein Gesetz gemeinsamen Lebens,
das friedlicher Gewerbefleiß und alles, was an herrlichem Kampfe für Wahrheit
und Recht dazu gehört, heißt. Daher beseelt die moralische Auslandspolitik des
Friedens die Regierungen der drei Völker, hinter denen die verantwortlichen
Männer der Volksvertreter stehen. Aber wir wissen nicht, wie lange uns der
Frieden erhalten bleiben wird. Darüber bestimmt ein außerskandinavischer
Beschluß. Kommt der Krieg über uns, so haben wir unsere gemeinsame Kultur
mit all unserem Blei und all unserem Blute zu verteidigen. Wir können nur
unter der Voraussetzung, daß wir eine gemeinsame Neutralitätspolitik führen,
zusammenstehen. Sowohl unsere Klugheit wie unser Rechtsgefühl sagen uns,
daß wir uns mit dem Imperialismus nicht einlassen dürfen, sondern treu an
unserer Neutralität festhalten müssen. Aber eine passive Neutralität, bei der
jeder Staat in seinem kleinen Winkel die Hände in den Schoß legt, macht uns
schwach. Nur eine aktive Neutralität, die uns Völker des Nordens zu gemein¬
samen Beratungen über die Verstärkung unserer Wehrkräfte durch gegenseitige
Unterstützung vereinigt, kann uns eine ruhigere Zukunft verbürgen.

Der jetzt vor sich gehende Krieg hat fast ganz Europa in zwei verschiedene
Lager geteilt. Unter den neutralen Staaten besitzt Dänemark geschichtliche und
Norwegen geographische Voraussetzungen eines Sympathieverhältnisses zur
Entente, während Schwedens geschichtliche Erinnerungen und geographische Lage
es nach der entgegengesetzten Seite hinziehen, obwohl die Volksmeinung in allen
diesen drei Ländern geteilt ist. Doch dürfte die Hauptmeinung die angegebene sein.

In dieser Divergenz der verschiedenen Sympathien innerhalb Skandinaviens
liegt eine Gefahr, welcher die drei Regierungen bisher durch aktives Zusammen¬
wirken haben Herr bleiben können. Jeder, der auf ein Aufgeben der Neu¬
tralität Schwedens dringt, hämmert an einem Sprengkctle zwischen den Völkern
des Nordens und ahnt nicht, wie verhängnisvoll uns Schweden und auch
unseren skandinavischen Nachbarn eine derartige Abenteurerpolitik werden würde.
Sollte unsere und ihre Politik nach verschiedenen Großmachtsgruppen hin
gravitieren — und das tut sie leicht, sowie wir Nordbewohner einander nicht
mehr an der Hand halten —, dann sind wir nicht mehr wir selbst. Halten
wir aber zum Schutze unserer skandinavischen Gemeinsamkeit zusammen, so
können wir etwas bedeuten. Zuerst gilt es, einzusehen, daß die Gefahr, die
den nordischen Völkern von außen her drohen kann, ihnen gemeinsam droht,
denn ohne solche Einsicht lohnt es sich gegebenerweise überhaupt nicht,
irgendwelche Formen skandinavischen Zusammenwirkens zur Verteidigung der
drei Reiche zu besprechen. Es ist nötig, daß die Völker des Nordens recht¬
zeitig den Scharfblick erlangen, der nicht wartet, bis er die Geißel des Krieges
auf seinem eigenen Rücken spürt, sondern die Vernunft schon in Friedenszeiten


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[0306] Skandinavien und der Krieg aber fie glauben nicht an das Dogma, daß sich durch Raffsuchtpolittk auf die Dauer nationaler Wohlstand erreichen läßt. Daher ist ihre Neutralitätspolitik anderer Art als die der Balkanvölker. Die skandinavischen Völker glauben an ein Gesetz gemeinsamen Lebens, das friedlicher Gewerbefleiß und alles, was an herrlichem Kampfe für Wahrheit und Recht dazu gehört, heißt. Daher beseelt die moralische Auslandspolitik des Friedens die Regierungen der drei Völker, hinter denen die verantwortlichen Männer der Volksvertreter stehen. Aber wir wissen nicht, wie lange uns der Frieden erhalten bleiben wird. Darüber bestimmt ein außerskandinavischer Beschluß. Kommt der Krieg über uns, so haben wir unsere gemeinsame Kultur mit all unserem Blei und all unserem Blute zu verteidigen. Wir können nur unter der Voraussetzung, daß wir eine gemeinsame Neutralitätspolitik führen, zusammenstehen. Sowohl unsere Klugheit wie unser Rechtsgefühl sagen uns, daß wir uns mit dem Imperialismus nicht einlassen dürfen, sondern treu an unserer Neutralität festhalten müssen. Aber eine passive Neutralität, bei der jeder Staat in seinem kleinen Winkel die Hände in den Schoß legt, macht uns schwach. Nur eine aktive Neutralität, die uns Völker des Nordens zu gemein¬ samen Beratungen über die Verstärkung unserer Wehrkräfte durch gegenseitige Unterstützung vereinigt, kann uns eine ruhigere Zukunft verbürgen. Der jetzt vor sich gehende Krieg hat fast ganz Europa in zwei verschiedene Lager geteilt. Unter den neutralen Staaten besitzt Dänemark geschichtliche und Norwegen geographische Voraussetzungen eines Sympathieverhältnisses zur Entente, während Schwedens geschichtliche Erinnerungen und geographische Lage es nach der entgegengesetzten Seite hinziehen, obwohl die Volksmeinung in allen diesen drei Ländern geteilt ist. Doch dürfte die Hauptmeinung die angegebene sein. In dieser Divergenz der verschiedenen Sympathien innerhalb Skandinaviens liegt eine Gefahr, welcher die drei Regierungen bisher durch aktives Zusammen¬ wirken haben Herr bleiben können. Jeder, der auf ein Aufgeben der Neu¬ tralität Schwedens dringt, hämmert an einem Sprengkctle zwischen den Völkern des Nordens und ahnt nicht, wie verhängnisvoll uns Schweden und auch unseren skandinavischen Nachbarn eine derartige Abenteurerpolitik werden würde. Sollte unsere und ihre Politik nach verschiedenen Großmachtsgruppen hin gravitieren — und das tut sie leicht, sowie wir Nordbewohner einander nicht mehr an der Hand halten —, dann sind wir nicht mehr wir selbst. Halten wir aber zum Schutze unserer skandinavischen Gemeinsamkeit zusammen, so können wir etwas bedeuten. Zuerst gilt es, einzusehen, daß die Gefahr, die den nordischen Völkern von außen her drohen kann, ihnen gemeinsam droht, denn ohne solche Einsicht lohnt es sich gegebenerweise überhaupt nicht, irgendwelche Formen skandinavischen Zusammenwirkens zur Verteidigung der drei Reiche zu besprechen. Es ist nötig, daß die Völker des Nordens recht¬ zeitig den Scharfblick erlangen, der nicht wartet, bis er die Geißel des Krieges auf seinem eigenen Rücken spürt, sondern die Vernunft schon in Friedenszeiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/306>, abgerufen am 23.07.2024.