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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Dichtcrheld von Przemysl

truppen von Przemysl und allen Einwohnern geläufig. Man las die Unterschrift
auf den Blättern: Gyoni Geza; von den Ungarn hörte man, wie er sich aus¬
sprach: Djooni Geesa. Geza ist der Vorname, der im Ungarischen nachgesetzt
wird, Gnon der Dichtername, die Familie heißt Achin. Die Heimat ist
Sorbodko (früher Theresienstadt) in der fruchtbaren Ebene zwischen Donau
und Theiß.

Die erste Belagerung von Przemysl, im Herbst 1914, endete mit der
Zurückdrängung des russischen Einschließungsheeres. Die so befreiten öster-
reichisch-ungarischen Truppen erweiterten sofort ihr Besetzungsgebtet. Man
kann ihren Weg nach der Ortsangabe verfolgen, die Gyoni jedem seiner Gedichte
beigefügt hat. Eines ist in Zuravina niedergeschrieben, nördlich von Przemysl,
das nächste in Siedliska, einem nach Osten vorgeschobenen Fort, ein drittes in
Pikulice, das südlich an einem kleinen Ueberflusse des San gelegen ist. Aus
Siedliska stammt ein tragisches Gedicht mit dem feierlichen Titel:

Gebet auf dem Polenhügel
Auf des Hügels Schnee ein Tuch voll Blut --
Und ein toter Held, der drunter ruht.
Auf dem Polenhügel: Seelenamtl
Spätherbstblumen, Trauerblumen,
Holzkreuz, das vom Pulverkasten stammt ....
Und die Kanonade dröhnt und flammt. Ich entfalte stumm das Tuch voll Blut,
Schau den Helden an, der drunter ruht --
Muß so edle Kraft vernichtet werden?
Bruder, eben noch voll Siegesmut,
Ausgekämpft hast du den Kampf auf Erden. Wasser hol' ich aus dem Quell herbei,
Wasche deiner Schläfe Todeswunde,
Und dein Kinn, das zarte, leg ich frei,
Deine Hände fält ich zum Gebet,
Bruder, der du hingemäht,
Todes Vorgeschmack im wehen Munde. Und des Polenhügels Herbstesglanz,
Schneefrostweißer Margeriten Kranz,
Weih' ich dir, daß er dein Lager schmückt.
Diese Blumen, die ich seufzend wand,
Bruder, nimm, als hab' nicht fremde Hand,
Sondern deine Frau sie dir gepflückt. . . . Deine treue Frau, die für und für
Deiner harrt an schmaler Gartentür,
Deiner harrt wie stets zur Dämmerstunde
Und nicht weiß, was sie so trüb berühr',
Und -- vom Polenhügel ohne Kunde --
Ach, nicht weiß, vor wem der Fremde steht
Und statt ihrer sagt das Grabgebet:

Der Dichtcrheld von Przemysl

truppen von Przemysl und allen Einwohnern geläufig. Man las die Unterschrift
auf den Blättern: Gyoni Geza; von den Ungarn hörte man, wie er sich aus¬
sprach: Djooni Geesa. Geza ist der Vorname, der im Ungarischen nachgesetzt
wird, Gnon der Dichtername, die Familie heißt Achin. Die Heimat ist
Sorbodko (früher Theresienstadt) in der fruchtbaren Ebene zwischen Donau
und Theiß.

Die erste Belagerung von Przemysl, im Herbst 1914, endete mit der
Zurückdrängung des russischen Einschließungsheeres. Die so befreiten öster-
reichisch-ungarischen Truppen erweiterten sofort ihr Besetzungsgebtet. Man
kann ihren Weg nach der Ortsangabe verfolgen, die Gyoni jedem seiner Gedichte
beigefügt hat. Eines ist in Zuravina niedergeschrieben, nördlich von Przemysl,
das nächste in Siedliska, einem nach Osten vorgeschobenen Fort, ein drittes in
Pikulice, das südlich an einem kleinen Ueberflusse des San gelegen ist. Aus
Siedliska stammt ein tragisches Gedicht mit dem feierlichen Titel:

Gebet auf dem Polenhügel
Auf des Hügels Schnee ein Tuch voll Blut —
Und ein toter Held, der drunter ruht.
Auf dem Polenhügel: Seelenamtl
Spätherbstblumen, Trauerblumen,
Holzkreuz, das vom Pulverkasten stammt ....
Und die Kanonade dröhnt und flammt. Ich entfalte stumm das Tuch voll Blut,
Schau den Helden an, der drunter ruht —
Muß so edle Kraft vernichtet werden?
Bruder, eben noch voll Siegesmut,
Ausgekämpft hast du den Kampf auf Erden. Wasser hol' ich aus dem Quell herbei,
Wasche deiner Schläfe Todeswunde,
Und dein Kinn, das zarte, leg ich frei,
Deine Hände fält ich zum Gebet,
Bruder, der du hingemäht,
Todes Vorgeschmack im wehen Munde. Und des Polenhügels Herbstesglanz,
Schneefrostweißer Margeriten Kranz,
Weih' ich dir, daß er dein Lager schmückt.
Diese Blumen, die ich seufzend wand,
Bruder, nimm, als hab' nicht fremde Hand,
Sondern deine Frau sie dir gepflückt. . . . Deine treue Frau, die für und für
Deiner harrt an schmaler Gartentür,
Deiner harrt wie stets zur Dämmerstunde
Und nicht weiß, was sie so trüb berühr',
Und — vom Polenhügel ohne Kunde —
Ach, nicht weiß, vor wem der Fremde steht
Und statt ihrer sagt das Grabgebet:

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[0290] Der Dichtcrheld von Przemysl truppen von Przemysl und allen Einwohnern geläufig. Man las die Unterschrift auf den Blättern: Gyoni Geza; von den Ungarn hörte man, wie er sich aus¬ sprach: Djooni Geesa. Geza ist der Vorname, der im Ungarischen nachgesetzt wird, Gnon der Dichtername, die Familie heißt Achin. Die Heimat ist Sorbodko (früher Theresienstadt) in der fruchtbaren Ebene zwischen Donau und Theiß. Die erste Belagerung von Przemysl, im Herbst 1914, endete mit der Zurückdrängung des russischen Einschließungsheeres. Die so befreiten öster- reichisch-ungarischen Truppen erweiterten sofort ihr Besetzungsgebtet. Man kann ihren Weg nach der Ortsangabe verfolgen, die Gyoni jedem seiner Gedichte beigefügt hat. Eines ist in Zuravina niedergeschrieben, nördlich von Przemysl, das nächste in Siedliska, einem nach Osten vorgeschobenen Fort, ein drittes in Pikulice, das südlich an einem kleinen Ueberflusse des San gelegen ist. Aus Siedliska stammt ein tragisches Gedicht mit dem feierlichen Titel: Gebet auf dem Polenhügel Auf des Hügels Schnee ein Tuch voll Blut — Und ein toter Held, der drunter ruht. Auf dem Polenhügel: Seelenamtl Spätherbstblumen, Trauerblumen, Holzkreuz, das vom Pulverkasten stammt .... Und die Kanonade dröhnt und flammt. Ich entfalte stumm das Tuch voll Blut, Schau den Helden an, der drunter ruht — Muß so edle Kraft vernichtet werden? Bruder, eben noch voll Siegesmut, Ausgekämpft hast du den Kampf auf Erden. Wasser hol' ich aus dem Quell herbei, Wasche deiner Schläfe Todeswunde, Und dein Kinn, das zarte, leg ich frei, Deine Hände fält ich zum Gebet, Bruder, der du hingemäht, Todes Vorgeschmack im wehen Munde. Und des Polenhügels Herbstesglanz, Schneefrostweißer Margeriten Kranz, Weih' ich dir, daß er dein Lager schmückt. Diese Blumen, die ich seufzend wand, Bruder, nimm, als hab' nicht fremde Hand, Sondern deine Frau sie dir gepflückt. . . . Deine treue Frau, die für und für Deiner harrt an schmaler Gartentür, Deiner harrt wie stets zur Dämmerstunde Und nicht weiß, was sie so trüb berühr', Und — vom Polenhügel ohne Kunde — Ach, nicht weiß, vor wem der Fremde steht Und statt ihrer sagt das Grabgebet:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/290>, abgerufen am 23.07.2024.