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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Dichterhelö von Przcmysl
Heißer Fluch fahr' in des Mörders Brust,
Fluch der Mutter um des Sohn's Verlust,
Fluch der Liebsten um des Mann's VerlustI
Dörren soll sein Satansleib,
Dörren, daß kein Saft drin bleib I
Auf sein Auge senke Schlaf sich nicht,
Fiebernd fürcht' er Krötengiftgezücht,
Fäulnis brenn' die Haut ihm wund,
Und bor seines Atems eklen Hauch
Flieh' sein eigner Hund.
Schaudernd weich' vor ihm die Liebste auch,
Honig werde bitter ihm im Mund --
Ihm, durch den du frühen Tod erfahren,
Ihm und die ihm meuchelnd Helfer waren
In dem Höllenreich des Weißen Zaren I
Lodre, lodre, du mein heißer Fluch I
Amen! Amen!
-- Und nun drauf und trank
Drauf! Dem Feind zu trutzigem Besuch!
Drauf! Stürmt kühn und blutig an,
Wo dem Sieger volle Ernte lacht!
Nur noch einmal deine Hand gib mir,
Bruder, teurer, der du hier
Mit dem Tod mich hast vertraut gemacht!

Das Gebet ist ein Fluch, een Fluch voll Wildheit und zügelloser Rachsucht.
Man soll nicht vorschnell urteilen, daß solche Empfindungen Kennzeichen des
Maßlosen Überschäumens der ungarischen Seele sind, denn man muß sich vor
^ugen halten, daß hier ein durch die Greuel des Schlachtfeldes überhitztes Gemüt
den ungeheueren Schmerz über die dem Vaterland zugefügte Schmach austobt.
Das Gedicht trägt die Widmung: "Frau Alice Jbranyi, der Oberin des Roten
Kreuzes". Daraus darf man schließen, daß die letzte Absicht des Dichters
"icht blutige Rachgier gewesen ist, ein Gefühl, das doch gerade einer Oberin
des Roten Kreuzes fremd sein muß, sondern der Trieb strafender Gerechtigkeit,
der freilich, der kriegerischen Zeit angepaßt, in der schärfsten Form lebendig wird.

Ein späteres Gedicht läßt erkennen, wie meisterlich es Gyoni versteht,
kriegerischen Ernst mit neckischer Satire, Wirklichkeit und Märchenstimmung zu einem
künstlerischen Bilde zu vereinigen. Den Aufzeichnungen nach entstanden die Verse
Mr Zeit des grimmigen Nahkampfes zwischen Ungarn und Russen. Der Titel lautet:

Wachtfeuer
(Bei den Namen ist zu beachten, daß sie alle auf der ersten Silbe betont
werden. Sie sind, wie auch an anderen Stellen, in Abweichung von
der ungarischen Schreibform der ungarischen Aussprache angepatzt worden.)
Die Truppe ruht. Die Wache halte ich,
Mit mir die Sterne, die da droben hangen.
Im Glutschein röter die Gesichter sich --
Heut ist's uns wieder einmal gut ergangen.

Der Dichterhelö von Przcmysl
Heißer Fluch fahr' in des Mörders Brust,
Fluch der Mutter um des Sohn's Verlust,
Fluch der Liebsten um des Mann's VerlustI
Dörren soll sein Satansleib,
Dörren, daß kein Saft drin bleib I
Auf sein Auge senke Schlaf sich nicht,
Fiebernd fürcht' er Krötengiftgezücht,
Fäulnis brenn' die Haut ihm wund,
Und bor seines Atems eklen Hauch
Flieh' sein eigner Hund.
Schaudernd weich' vor ihm die Liebste auch,
Honig werde bitter ihm im Mund —
Ihm, durch den du frühen Tod erfahren,
Ihm und die ihm meuchelnd Helfer waren
In dem Höllenreich des Weißen Zaren I
Lodre, lodre, du mein heißer Fluch I
Amen! Amen!
— Und nun drauf und trank
Drauf! Dem Feind zu trutzigem Besuch!
Drauf! Stürmt kühn und blutig an,
Wo dem Sieger volle Ernte lacht!
Nur noch einmal deine Hand gib mir,
Bruder, teurer, der du hier
Mit dem Tod mich hast vertraut gemacht!

Das Gebet ist ein Fluch, een Fluch voll Wildheit und zügelloser Rachsucht.
Man soll nicht vorschnell urteilen, daß solche Empfindungen Kennzeichen des
Maßlosen Überschäumens der ungarischen Seele sind, denn man muß sich vor
^ugen halten, daß hier ein durch die Greuel des Schlachtfeldes überhitztes Gemüt
den ungeheueren Schmerz über die dem Vaterland zugefügte Schmach austobt.
Das Gedicht trägt die Widmung: „Frau Alice Jbranyi, der Oberin des Roten
Kreuzes". Daraus darf man schließen, daß die letzte Absicht des Dichters
"icht blutige Rachgier gewesen ist, ein Gefühl, das doch gerade einer Oberin
des Roten Kreuzes fremd sein muß, sondern der Trieb strafender Gerechtigkeit,
der freilich, der kriegerischen Zeit angepaßt, in der schärfsten Form lebendig wird.

Ein späteres Gedicht läßt erkennen, wie meisterlich es Gyoni versteht,
kriegerischen Ernst mit neckischer Satire, Wirklichkeit und Märchenstimmung zu einem
künstlerischen Bilde zu vereinigen. Den Aufzeichnungen nach entstanden die Verse
Mr Zeit des grimmigen Nahkampfes zwischen Ungarn und Russen. Der Titel lautet:

Wachtfeuer
(Bei den Namen ist zu beachten, daß sie alle auf der ersten Silbe betont
werden. Sie sind, wie auch an anderen Stellen, in Abweichung von
der ungarischen Schreibform der ungarischen Aussprache angepatzt worden.)
Die Truppe ruht. Die Wache halte ich,
Mit mir die Sterne, die da droben hangen.
Im Glutschein röter die Gesichter sich —
Heut ist's uns wieder einmal gut ergangen.

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[0291] Der Dichterhelö von Przcmysl Heißer Fluch fahr' in des Mörders Brust, Fluch der Mutter um des Sohn's Verlust, Fluch der Liebsten um des Mann's VerlustI Dörren soll sein Satansleib, Dörren, daß kein Saft drin bleib I Auf sein Auge senke Schlaf sich nicht, Fiebernd fürcht' er Krötengiftgezücht, Fäulnis brenn' die Haut ihm wund, Und bor seines Atems eklen Hauch Flieh' sein eigner Hund. Schaudernd weich' vor ihm die Liebste auch, Honig werde bitter ihm im Mund — Ihm, durch den du frühen Tod erfahren, Ihm und die ihm meuchelnd Helfer waren In dem Höllenreich des Weißen Zaren I Lodre, lodre, du mein heißer Fluch I Amen! Amen! — Und nun drauf und trank Drauf! Dem Feind zu trutzigem Besuch! Drauf! Stürmt kühn und blutig an, Wo dem Sieger volle Ernte lacht! Nur noch einmal deine Hand gib mir, Bruder, teurer, der du hier Mit dem Tod mich hast vertraut gemacht! Das Gebet ist ein Fluch, een Fluch voll Wildheit und zügelloser Rachsucht. Man soll nicht vorschnell urteilen, daß solche Empfindungen Kennzeichen des Maßlosen Überschäumens der ungarischen Seele sind, denn man muß sich vor ^ugen halten, daß hier ein durch die Greuel des Schlachtfeldes überhitztes Gemüt den ungeheueren Schmerz über die dem Vaterland zugefügte Schmach austobt. Das Gedicht trägt die Widmung: „Frau Alice Jbranyi, der Oberin des Roten Kreuzes". Daraus darf man schließen, daß die letzte Absicht des Dichters "icht blutige Rachgier gewesen ist, ein Gefühl, das doch gerade einer Oberin des Roten Kreuzes fremd sein muß, sondern der Trieb strafender Gerechtigkeit, der freilich, der kriegerischen Zeit angepaßt, in der schärfsten Form lebendig wird. Ein späteres Gedicht läßt erkennen, wie meisterlich es Gyoni versteht, kriegerischen Ernst mit neckischer Satire, Wirklichkeit und Märchenstimmung zu einem künstlerischen Bilde zu vereinigen. Den Aufzeichnungen nach entstanden die Verse Mr Zeit des grimmigen Nahkampfes zwischen Ungarn und Russen. Der Titel lautet: Wachtfeuer (Bei den Namen ist zu beachten, daß sie alle auf der ersten Silbe betont werden. Sie sind, wie auch an anderen Stellen, in Abweichung von der ungarischen Schreibform der ungarischen Aussprache angepatzt worden.) Die Truppe ruht. Die Wache halte ich, Mit mir die Sterne, die da droben hangen. Im Glutschein röter die Gesichter sich — Heut ist's uns wieder einmal gut ergangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/291>, abgerufen am 23.07.2024.