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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Notwendigkeit einer deutschen Pflichtjugendwehr

zum Altar führen, als bis er auch fähig und vorbereitet sei, sein Vaterland zu
verteidigen. Freiherr vom Stein fügt diesem Vorschlag die Bemerkung hinzu:
"Man wird in allen Stadtschulen Anstalt treffen können, um Kenntnisse im
Gebrauch der Waffen und der Bewegung größerer Menschenmassen zu bewirken."

Diese Mahnungen unserer großen Führer aus eiserner Zeit sind ungehört
verhallt. Wie ein Hohn auf sie mutet die Einjährig-Freiwilligen-Prüfung an,
die für den Erwerb militärischer Befähigung nur den Nachweis geistiger
Fähigkeiten verlangt.

Seltsam genug! Die Forderung jener Helden der Befreiungskriege schallt
auch aus ganz anderem Lager zu uns. Schon 1865 forderte der Sozialdemokrat
Friedrich Engels, daß das Schwergewicht militärischer Ausbildung in die
Jugenderziehung gelegt werde. In zahlreichen Aufsätzen hat er später diese
Forderung wiederholt. So damals, fo heute! Rechts und links in Deutschland
der Ruf nach einer pflichtmäßigen Jugendwehr. Wird er endlich in diesen
Tagen Erfüllung finden?

Die verbreitete Ansicht, die Regierung bewahre in dieser Sache um des¬
willen ihre auffällige Zurückhaltung, weil sie vor den organisatorischen Schwierig¬
keiten zurückschrecke, greift sicher fehl. Gewiß mag der Ausbau der Organisation
im einzelnen Schwierigkeiten begegnen, aber sie sind gering gegenüber den ge¬
waltigen organisatorischen Aufgaben, die wir Deutsche in diesem Kriege schon haben
leisten müssen. Wo es unsere Wehr gilt, gibt es jetzt keine Schwierigkeiten mehr.

Warstat schlägt vor. die Schulen (Volks-, Fortbildungs-, Mittel- und
höhere Schulen) zu den eigentlichen Trägern der Organisation zu machen und
den Jugendkompagnien innerhalb dieser Organisation "eine gewisse Selbständig¬
keit" zu gewähren. Eine solche Regelung wäre recht bedenklich. Die Jugend¬
kompagnien sind als rein militärisch-! Einrichtung gedacht und ausgebaut.
Entkleidet man sie dieses militärischen Charakters, so entsteht ein Gebilde ohne
Fleisch und Blut. Sie müssen eine Einrichtung des Heeres, ein rein militärisches
Organ, bleiben, den militärischen Kommandostellen unterstellt sein und lediglich
militärischer Führung und Aufsicht unterworfen sein. Führer müssen im
wesentlichen nur tatkräftige, junge Offiziere und Unteroffiziere sein. Denn es
kommt vor allem auf das rein militärische Können an. Ohne dies ist der
beste Pädagoge kein guter Führer für die Jugendwehr. Jetzt, wo die militärischen
Führer meist im Felde stehen, mögen andere Führer ausreichen. Später wird
das rein soldatische im Zeichen der gewonnenen Kriegserfahrung für die
Führung der Jugendwehr entscheidendes Gewicht haben.

Jede Jugendkompagnie muß einem bestimmten Truppenteil angegliedert
werden, durch den ihm alle militärischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt
werden. Zu größeren Truppenübungen und Paraden sind die Jugendkompagnien
hinzuzuziehen, sei es als Zuschauer oder als mitwirkende Verbände. Die Ein¬
richtung der Oberleitung für den Korpsbereich und mehrerer Bezirksleitungen
für die Einzelbezirke dürfte beibehalten werden können. Aber man nehme nicht


Die Notwendigkeit einer deutschen Pflichtjugendwehr

zum Altar führen, als bis er auch fähig und vorbereitet sei, sein Vaterland zu
verteidigen. Freiherr vom Stein fügt diesem Vorschlag die Bemerkung hinzu:
„Man wird in allen Stadtschulen Anstalt treffen können, um Kenntnisse im
Gebrauch der Waffen und der Bewegung größerer Menschenmassen zu bewirken."

Diese Mahnungen unserer großen Führer aus eiserner Zeit sind ungehört
verhallt. Wie ein Hohn auf sie mutet die Einjährig-Freiwilligen-Prüfung an,
die für den Erwerb militärischer Befähigung nur den Nachweis geistiger
Fähigkeiten verlangt.

Seltsam genug! Die Forderung jener Helden der Befreiungskriege schallt
auch aus ganz anderem Lager zu uns. Schon 1865 forderte der Sozialdemokrat
Friedrich Engels, daß das Schwergewicht militärischer Ausbildung in die
Jugenderziehung gelegt werde. In zahlreichen Aufsätzen hat er später diese
Forderung wiederholt. So damals, fo heute! Rechts und links in Deutschland
der Ruf nach einer pflichtmäßigen Jugendwehr. Wird er endlich in diesen
Tagen Erfüllung finden?

Die verbreitete Ansicht, die Regierung bewahre in dieser Sache um des¬
willen ihre auffällige Zurückhaltung, weil sie vor den organisatorischen Schwierig¬
keiten zurückschrecke, greift sicher fehl. Gewiß mag der Ausbau der Organisation
im einzelnen Schwierigkeiten begegnen, aber sie sind gering gegenüber den ge¬
waltigen organisatorischen Aufgaben, die wir Deutsche in diesem Kriege schon haben
leisten müssen. Wo es unsere Wehr gilt, gibt es jetzt keine Schwierigkeiten mehr.

Warstat schlägt vor. die Schulen (Volks-, Fortbildungs-, Mittel- und
höhere Schulen) zu den eigentlichen Trägern der Organisation zu machen und
den Jugendkompagnien innerhalb dieser Organisation „eine gewisse Selbständig¬
keit" zu gewähren. Eine solche Regelung wäre recht bedenklich. Die Jugend¬
kompagnien sind als rein militärisch-! Einrichtung gedacht und ausgebaut.
Entkleidet man sie dieses militärischen Charakters, so entsteht ein Gebilde ohne
Fleisch und Blut. Sie müssen eine Einrichtung des Heeres, ein rein militärisches
Organ, bleiben, den militärischen Kommandostellen unterstellt sein und lediglich
militärischer Führung und Aufsicht unterworfen sein. Führer müssen im
wesentlichen nur tatkräftige, junge Offiziere und Unteroffiziere sein. Denn es
kommt vor allem auf das rein militärische Können an. Ohne dies ist der
beste Pädagoge kein guter Führer für die Jugendwehr. Jetzt, wo die militärischen
Führer meist im Felde stehen, mögen andere Führer ausreichen. Später wird
das rein soldatische im Zeichen der gewonnenen Kriegserfahrung für die
Führung der Jugendwehr entscheidendes Gewicht haben.

Jede Jugendkompagnie muß einem bestimmten Truppenteil angegliedert
werden, durch den ihm alle militärischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt
werden. Zu größeren Truppenübungen und Paraden sind die Jugendkompagnien
hinzuzuziehen, sei es als Zuschauer oder als mitwirkende Verbände. Die Ein¬
richtung der Oberleitung für den Korpsbereich und mehrerer Bezirksleitungen
für die Einzelbezirke dürfte beibehalten werden können. Aber man nehme nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/260>, abgerufen am 23.07.2024.