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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Staatsgedanke

hallt uns, indem wir vor aller Welt und gegen alle Welt uns als Bismarcks
Erben erklären, von allen Seiten dieselbe Anklage in neuer Form entgegen:
"Eure Kanonen sind gut, eure Gründe sind schlecht."

Mehrere unter uns finden es überflüssig, ja lächerlich, sich mit derlei
Bedenken zu befassen. Ein Leben wie das Bismarcks deute und verteidige sich
selbst und brauche keine wohlmeinenden Advokaten. Und ebensowenig brauche
eines Volkes gesunder Lebenswille eine Verteidigung. Alles Lebendige lache
der Kritik, die schulmeisterlich meint: du solltest nicht lebendig sein.

Nur daß eben Leben und Leben zweierlei ist. In dem Drange, sein
Leben hinzugeben, offenbart sich uns doch jetzt gerade die cillergrößeste Lebens¬
kraft. "Das Lebendige will ich preisen, das nach Flammentod sich sehnet."
Man braucht die natürliche Lebenskraft und Lebensfreude nicht zu mißachten und
kann doch dabei an etwas noch höheres glauben. Man kann sehr wohl die
innere Notwendigkeit und Größe an Philipp dem Zweiten bewundern und
ihm gegenüber sehr andere Gefühle haben als ein Posa. So "realpolitisch"
aber sind wir doch wohl nicht, daß wir einen Reiz zum Lachen verspüren bei
den Worten: "Sie haben Recht, Sie müssen. Doch daß Sie können, was
Sie zu müssen eingesehen, hat mich mit schaudernder Bewunderung ergriffen."
Und eben diese schaudernde Bewunderung ist die Form der Kritik, die wir
jetzt von Menschen erfahren, deren Anteilnahme an den inneren Geschicken
Deutschlands echt und erprobt ist. Wie steht es um das Recht dieser Kritik?

Stellen wir damit die Frage nach der ethischen Begründung unseres
Staates und Reiches, so ist es schwer und gefährlich, eine kurze und glatte
Antwort darauf zu geben. Schon aus dem Grunde, weil uns der Bismarcksche
Staat selbst noch viel mehr Frage und Aufgabe bedeutet als Antwort und
Lösung. Wenn wir trotzdem die Frage getrost und froh bejahend beantworten,
so geschieht es zugleich im Bewußtsein, daß wir damit auch eine Aufgabe
übernehmen. Es geschieht zugleich in der Überzeugung, daß der Bismarcksche
Staat -- in seinen tiefsten Grundlagen -- nicht Bismarcks Schöpfung, sondern
Zugleich und voraus der Friderizianisch-Steinsche Staat war, von seiner weiteren
inneren Vorgeschichte und ihren Grundlagen zu schweigen.

Wesen und Wert des neuen Deutschland hängt nicht allein von seinem
Begründer ab, denn seine Aufgabe ging nach einer ganz bestimmten, aber eben
nur nach einer Seite. Man verlangt von Friedrich dem Großen nicht, daß
er seinen Gedanken zum Gemeingut der Masse machte. Man verlangt von
Stein nicht, daß er den Wiener Kongreß mit eisernem Besen auseinanderkehrte.
Man verlangt vernünftigerweise überhaupt nicht mehr von der Geschichte als
sie geleistet hat. Alles andere kann man nur von sich selber verlangen. Man
verlange auch von Bismarck nicht, was tatsächlich nicht seine Lebensarbeit
war -- und was, grundsätzlich jedenfalls, schon da war. Genug, wenn er
diese schon gegebene Grundlage nicht bekämpfte, wenn der Bismarcksche Staats¬
körper jenen seelischen Gehalt nicht überhaupt ausschließt. Und das war schon


Der deutsche Staatsgedanke

hallt uns, indem wir vor aller Welt und gegen alle Welt uns als Bismarcks
Erben erklären, von allen Seiten dieselbe Anklage in neuer Form entgegen:
„Eure Kanonen sind gut, eure Gründe sind schlecht."

Mehrere unter uns finden es überflüssig, ja lächerlich, sich mit derlei
Bedenken zu befassen. Ein Leben wie das Bismarcks deute und verteidige sich
selbst und brauche keine wohlmeinenden Advokaten. Und ebensowenig brauche
eines Volkes gesunder Lebenswille eine Verteidigung. Alles Lebendige lache
der Kritik, die schulmeisterlich meint: du solltest nicht lebendig sein.

Nur daß eben Leben und Leben zweierlei ist. In dem Drange, sein
Leben hinzugeben, offenbart sich uns doch jetzt gerade die cillergrößeste Lebens¬
kraft. „Das Lebendige will ich preisen, das nach Flammentod sich sehnet."
Man braucht die natürliche Lebenskraft und Lebensfreude nicht zu mißachten und
kann doch dabei an etwas noch höheres glauben. Man kann sehr wohl die
innere Notwendigkeit und Größe an Philipp dem Zweiten bewundern und
ihm gegenüber sehr andere Gefühle haben als ein Posa. So „realpolitisch"
aber sind wir doch wohl nicht, daß wir einen Reiz zum Lachen verspüren bei
den Worten: „Sie haben Recht, Sie müssen. Doch daß Sie können, was
Sie zu müssen eingesehen, hat mich mit schaudernder Bewunderung ergriffen."
Und eben diese schaudernde Bewunderung ist die Form der Kritik, die wir
jetzt von Menschen erfahren, deren Anteilnahme an den inneren Geschicken
Deutschlands echt und erprobt ist. Wie steht es um das Recht dieser Kritik?

Stellen wir damit die Frage nach der ethischen Begründung unseres
Staates und Reiches, so ist es schwer und gefährlich, eine kurze und glatte
Antwort darauf zu geben. Schon aus dem Grunde, weil uns der Bismarcksche
Staat selbst noch viel mehr Frage und Aufgabe bedeutet als Antwort und
Lösung. Wenn wir trotzdem die Frage getrost und froh bejahend beantworten,
so geschieht es zugleich im Bewußtsein, daß wir damit auch eine Aufgabe
übernehmen. Es geschieht zugleich in der Überzeugung, daß der Bismarcksche
Staat — in seinen tiefsten Grundlagen — nicht Bismarcks Schöpfung, sondern
Zugleich und voraus der Friderizianisch-Steinsche Staat war, von seiner weiteren
inneren Vorgeschichte und ihren Grundlagen zu schweigen.

Wesen und Wert des neuen Deutschland hängt nicht allein von seinem
Begründer ab, denn seine Aufgabe ging nach einer ganz bestimmten, aber eben
nur nach einer Seite. Man verlangt von Friedrich dem Großen nicht, daß
er seinen Gedanken zum Gemeingut der Masse machte. Man verlangt von
Stein nicht, daß er den Wiener Kongreß mit eisernem Besen auseinanderkehrte.
Man verlangt vernünftigerweise überhaupt nicht mehr von der Geschichte als
sie geleistet hat. Alles andere kann man nur von sich selber verlangen. Man
verlange auch von Bismarck nicht, was tatsächlich nicht seine Lebensarbeit
war — und was, grundsätzlich jedenfalls, schon da war. Genug, wenn er
diese schon gegebene Grundlage nicht bekämpfte, wenn der Bismarcksche Staats¬
körper jenen seelischen Gehalt nicht überhaupt ausschließt. Und das war schon


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[0243] Der deutsche Staatsgedanke hallt uns, indem wir vor aller Welt und gegen alle Welt uns als Bismarcks Erben erklären, von allen Seiten dieselbe Anklage in neuer Form entgegen: „Eure Kanonen sind gut, eure Gründe sind schlecht." Mehrere unter uns finden es überflüssig, ja lächerlich, sich mit derlei Bedenken zu befassen. Ein Leben wie das Bismarcks deute und verteidige sich selbst und brauche keine wohlmeinenden Advokaten. Und ebensowenig brauche eines Volkes gesunder Lebenswille eine Verteidigung. Alles Lebendige lache der Kritik, die schulmeisterlich meint: du solltest nicht lebendig sein. Nur daß eben Leben und Leben zweierlei ist. In dem Drange, sein Leben hinzugeben, offenbart sich uns doch jetzt gerade die cillergrößeste Lebens¬ kraft. „Das Lebendige will ich preisen, das nach Flammentod sich sehnet." Man braucht die natürliche Lebenskraft und Lebensfreude nicht zu mißachten und kann doch dabei an etwas noch höheres glauben. Man kann sehr wohl die innere Notwendigkeit und Größe an Philipp dem Zweiten bewundern und ihm gegenüber sehr andere Gefühle haben als ein Posa. So „realpolitisch" aber sind wir doch wohl nicht, daß wir einen Reiz zum Lachen verspüren bei den Worten: „Sie haben Recht, Sie müssen. Doch daß Sie können, was Sie zu müssen eingesehen, hat mich mit schaudernder Bewunderung ergriffen." Und eben diese schaudernde Bewunderung ist die Form der Kritik, die wir jetzt von Menschen erfahren, deren Anteilnahme an den inneren Geschicken Deutschlands echt und erprobt ist. Wie steht es um das Recht dieser Kritik? Stellen wir damit die Frage nach der ethischen Begründung unseres Staates und Reiches, so ist es schwer und gefährlich, eine kurze und glatte Antwort darauf zu geben. Schon aus dem Grunde, weil uns der Bismarcksche Staat selbst noch viel mehr Frage und Aufgabe bedeutet als Antwort und Lösung. Wenn wir trotzdem die Frage getrost und froh bejahend beantworten, so geschieht es zugleich im Bewußtsein, daß wir damit auch eine Aufgabe übernehmen. Es geschieht zugleich in der Überzeugung, daß der Bismarcksche Staat — in seinen tiefsten Grundlagen — nicht Bismarcks Schöpfung, sondern Zugleich und voraus der Friderizianisch-Steinsche Staat war, von seiner weiteren inneren Vorgeschichte und ihren Grundlagen zu schweigen. Wesen und Wert des neuen Deutschland hängt nicht allein von seinem Begründer ab, denn seine Aufgabe ging nach einer ganz bestimmten, aber eben nur nach einer Seite. Man verlangt von Friedrich dem Großen nicht, daß er seinen Gedanken zum Gemeingut der Masse machte. Man verlangt von Stein nicht, daß er den Wiener Kongreß mit eisernem Besen auseinanderkehrte. Man verlangt vernünftigerweise überhaupt nicht mehr von der Geschichte als sie geleistet hat. Alles andere kann man nur von sich selber verlangen. Man verlange auch von Bismarck nicht, was tatsächlich nicht seine Lebensarbeit war — und was, grundsätzlich jedenfalls, schon da war. Genug, wenn er diese schon gegebene Grundlage nicht bekämpfte, wenn der Bismarcksche Staats¬ körper jenen seelischen Gehalt nicht überhaupt ausschließt. Und das war schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/243>, abgerufen am 23.07.2024.