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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Kämpfe und Siege hinter der Front

Nun also, mitten im Kriege, setzt hier die deutsche Arbeit allenthalben ein.
Auch auf der Weichsel sind schon Bagger am Werk, den Fluß von den Schäden
russischer Herrschaft zu heilen. Wie lange noch und der prächtige, breit-
ausladende Strom zieht stark und mächtig durch ein fruchtbares, von freudig
schaffenden Menschen bevölkertes Land. Ich sehe schon die unaufhaltsamen
Dampfer ungefährdet und ungehemmt, von einer frohen, geschäftigen Menge
erfüllt, dahinsteuern; sehe buntbewimpelte Schleppkähne voll Waren und Reich¬
tum auf und ab getragen; aufblühende Städte krönen die Ufer und neues
Leben pulst an allen Enden. Nur ein paar Jahre deutscher Arbeit -- und alles ist
getan, denn diese Erde steht bereit, sich ganz zu geben, um sich ganz zu gewinnen.

Jenseits der Stadt, von der sich noch manch Schönes berichten ließe,
gleiten wir in einen der hohen, wundervollen Wälder. Auf engem Pfad geht
es in die kühle, grüne Dämmerung hinein, in die sich unser Wagen selbst erst
Bahn brechen muß. Wie liebkosend streichen die Zweige behutsam über unsere
Mützen und zum Willkomm dargebotene Hände strecken sich die Äste uns entgegen
und winken in den Wagen herein, so daß wir ungern nur von alledem scheiden.

Draußen empfängt uns wieder weites Land, wo sich lange Seen in das
lichte Grün der Wiesengründe gebettet haben, an denen Meister Adebar seines
Amtes waltet, geduldig des Rufes seiner schöner Freundinnen harrend.

Bald ist Lipno erreicht, wo wir wieder einmal Halt machen. Es ist ein
kleines Städtchen, das dank der Regsamkeit unserer Verwaltung und der Arbeit
unserer Landstürmer gleichfalls sauber und anmutig geworden ist. Der Markt
steht voller Vieh und Lebensmittel. Namentlich Pferde und Fohlen find in
erstaunlicher Menge da. Ein Kalb von etwa anderthalb Wochen wird für
sieben Mark gehandelt; ein El kostet fünf Pfennige, ein Pfund Butter eine
Mark! Und das sind hohe Preise, über die man zetert, zahlte der bedächtige
Bürger oder vielmehr seine rechnerisch begabte Hausfrau vor dem Kriege doch
höchstens halb so viel wie jetzt, zahlt man im benachbarten Rypin doch auch
heutigentags nur 60 bis 70 Pfenning für ein Pfund Butter, für eine Ente
60 bis 80 Pfennig, für eine Gans das Doppelte.

Die russische Wirtschaft hat natürlich auch Lipno ihre Spuren aufgeprägt,
rund um die Stadt: Sümpfe. Dafür findet sich auf der südwärts gelegenen
Höhe ein freundlicher, teils altehrwürdiger Park, in dem es sich gar gut
spazieren und träumen läßt. Schützengräben, die ihn durchschneiden, mahnen
an die jüngste Vergangenheit der Gegend und an die harte Zeit drüben an
der Front. Vom Hügelscheitel aus, auf dem wir vor der Weiterfahrt ein
Weilchen rasten, erreicht der Blick entfernte Gegenden, die wie Boten des Friedens
aus dem weiten, weiten Schweigen herübergrüßen. Im Tal zu unseren Füßen
weiden Kühe, und Mutterstuten tränken ihre Fohlen; ein Schornstein raucht
versteckt hinter Busch und Baum, und zwei Störche kreisen ohne Flügelschlag,
ihr Nest zu suchen. Irgendwo erschallt ein dünnes Kirchenglöckchen und leise
verschwimmen seine Töne in der abendlichen Ferne. Ohne Grenzen und Ende


Kämpfe und Siege hinter der Front

Nun also, mitten im Kriege, setzt hier die deutsche Arbeit allenthalben ein.
Auch auf der Weichsel sind schon Bagger am Werk, den Fluß von den Schäden
russischer Herrschaft zu heilen. Wie lange noch und der prächtige, breit-
ausladende Strom zieht stark und mächtig durch ein fruchtbares, von freudig
schaffenden Menschen bevölkertes Land. Ich sehe schon die unaufhaltsamen
Dampfer ungefährdet und ungehemmt, von einer frohen, geschäftigen Menge
erfüllt, dahinsteuern; sehe buntbewimpelte Schleppkähne voll Waren und Reich¬
tum auf und ab getragen; aufblühende Städte krönen die Ufer und neues
Leben pulst an allen Enden. Nur ein paar Jahre deutscher Arbeit — und alles ist
getan, denn diese Erde steht bereit, sich ganz zu geben, um sich ganz zu gewinnen.

Jenseits der Stadt, von der sich noch manch Schönes berichten ließe,
gleiten wir in einen der hohen, wundervollen Wälder. Auf engem Pfad geht
es in die kühle, grüne Dämmerung hinein, in die sich unser Wagen selbst erst
Bahn brechen muß. Wie liebkosend streichen die Zweige behutsam über unsere
Mützen und zum Willkomm dargebotene Hände strecken sich die Äste uns entgegen
und winken in den Wagen herein, so daß wir ungern nur von alledem scheiden.

Draußen empfängt uns wieder weites Land, wo sich lange Seen in das
lichte Grün der Wiesengründe gebettet haben, an denen Meister Adebar seines
Amtes waltet, geduldig des Rufes seiner schöner Freundinnen harrend.

Bald ist Lipno erreicht, wo wir wieder einmal Halt machen. Es ist ein
kleines Städtchen, das dank der Regsamkeit unserer Verwaltung und der Arbeit
unserer Landstürmer gleichfalls sauber und anmutig geworden ist. Der Markt
steht voller Vieh und Lebensmittel. Namentlich Pferde und Fohlen find in
erstaunlicher Menge da. Ein Kalb von etwa anderthalb Wochen wird für
sieben Mark gehandelt; ein El kostet fünf Pfennige, ein Pfund Butter eine
Mark! Und das sind hohe Preise, über die man zetert, zahlte der bedächtige
Bürger oder vielmehr seine rechnerisch begabte Hausfrau vor dem Kriege doch
höchstens halb so viel wie jetzt, zahlt man im benachbarten Rypin doch auch
heutigentags nur 60 bis 70 Pfenning für ein Pfund Butter, für eine Ente
60 bis 80 Pfennig, für eine Gans das Doppelte.

Die russische Wirtschaft hat natürlich auch Lipno ihre Spuren aufgeprägt,
rund um die Stadt: Sümpfe. Dafür findet sich auf der südwärts gelegenen
Höhe ein freundlicher, teils altehrwürdiger Park, in dem es sich gar gut
spazieren und träumen läßt. Schützengräben, die ihn durchschneiden, mahnen
an die jüngste Vergangenheit der Gegend und an die harte Zeit drüben an
der Front. Vom Hügelscheitel aus, auf dem wir vor der Weiterfahrt ein
Weilchen rasten, erreicht der Blick entfernte Gegenden, die wie Boten des Friedens
aus dem weiten, weiten Schweigen herübergrüßen. Im Tal zu unseren Füßen
weiden Kühe, und Mutterstuten tränken ihre Fohlen; ein Schornstein raucht
versteckt hinter Busch und Baum, und zwei Störche kreisen ohne Flügelschlag,
ihr Nest zu suchen. Irgendwo erschallt ein dünnes Kirchenglöckchen und leise
verschwimmen seine Töne in der abendlichen Ferne. Ohne Grenzen und Ende


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[0235] Kämpfe und Siege hinter der Front Nun also, mitten im Kriege, setzt hier die deutsche Arbeit allenthalben ein. Auch auf der Weichsel sind schon Bagger am Werk, den Fluß von den Schäden russischer Herrschaft zu heilen. Wie lange noch und der prächtige, breit- ausladende Strom zieht stark und mächtig durch ein fruchtbares, von freudig schaffenden Menschen bevölkertes Land. Ich sehe schon die unaufhaltsamen Dampfer ungefährdet und ungehemmt, von einer frohen, geschäftigen Menge erfüllt, dahinsteuern; sehe buntbewimpelte Schleppkähne voll Waren und Reich¬ tum auf und ab getragen; aufblühende Städte krönen die Ufer und neues Leben pulst an allen Enden. Nur ein paar Jahre deutscher Arbeit — und alles ist getan, denn diese Erde steht bereit, sich ganz zu geben, um sich ganz zu gewinnen. Jenseits der Stadt, von der sich noch manch Schönes berichten ließe, gleiten wir in einen der hohen, wundervollen Wälder. Auf engem Pfad geht es in die kühle, grüne Dämmerung hinein, in die sich unser Wagen selbst erst Bahn brechen muß. Wie liebkosend streichen die Zweige behutsam über unsere Mützen und zum Willkomm dargebotene Hände strecken sich die Äste uns entgegen und winken in den Wagen herein, so daß wir ungern nur von alledem scheiden. Draußen empfängt uns wieder weites Land, wo sich lange Seen in das lichte Grün der Wiesengründe gebettet haben, an denen Meister Adebar seines Amtes waltet, geduldig des Rufes seiner schöner Freundinnen harrend. Bald ist Lipno erreicht, wo wir wieder einmal Halt machen. Es ist ein kleines Städtchen, das dank der Regsamkeit unserer Verwaltung und der Arbeit unserer Landstürmer gleichfalls sauber und anmutig geworden ist. Der Markt steht voller Vieh und Lebensmittel. Namentlich Pferde und Fohlen find in erstaunlicher Menge da. Ein Kalb von etwa anderthalb Wochen wird für sieben Mark gehandelt; ein El kostet fünf Pfennige, ein Pfund Butter eine Mark! Und das sind hohe Preise, über die man zetert, zahlte der bedächtige Bürger oder vielmehr seine rechnerisch begabte Hausfrau vor dem Kriege doch höchstens halb so viel wie jetzt, zahlt man im benachbarten Rypin doch auch heutigentags nur 60 bis 70 Pfenning für ein Pfund Butter, für eine Ente 60 bis 80 Pfennig, für eine Gans das Doppelte. Die russische Wirtschaft hat natürlich auch Lipno ihre Spuren aufgeprägt, rund um die Stadt: Sümpfe. Dafür findet sich auf der südwärts gelegenen Höhe ein freundlicher, teils altehrwürdiger Park, in dem es sich gar gut spazieren und träumen läßt. Schützengräben, die ihn durchschneiden, mahnen an die jüngste Vergangenheit der Gegend und an die harte Zeit drüben an der Front. Vom Hügelscheitel aus, auf dem wir vor der Weiterfahrt ein Weilchen rasten, erreicht der Blick entfernte Gegenden, die wie Boten des Friedens aus dem weiten, weiten Schweigen herübergrüßen. Im Tal zu unseren Füßen weiden Kühe, und Mutterstuten tränken ihre Fohlen; ein Schornstein raucht versteckt hinter Busch und Baum, und zwei Störche kreisen ohne Flügelschlag, ihr Nest zu suchen. Irgendwo erschallt ein dünnes Kirchenglöckchen und leise verschwimmen seine Töne in der abendlichen Ferne. Ohne Grenzen und Ende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/235>, abgerufen am 23.07.2024.