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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Kämpfe und Siege hinter der Front

Da wird zum Beispiel schon viel deutsch gesprochen, freier als sonst,
reiner als früher. Da sind viel deutsche Aufschriften an den Geschäften zu
lesen. Da gibt es fast überall eine Kaiser-Wilhelmstraße, eine Hindenburgstraße;
auch eine Bayernstraße und Württemberger Straße sind zu finden. Deutsche
Zeitungen werden feilgeboten; Zeitungen, die im Lande geleitet, geschrieben und
gedruckt sind und eine Kulturarbeit leisten, deren Wert und Wirkung noch gar
nicht abzuschätzen sind. Und überall ist deutsche Ordnung. In Plock zum Beispiel:
saubere Straßen, von grünen Bäumen eingefaßt, die förmlich prunken und
-- bei allem Respekt vor den zweifellos hübschen, zierlichen oder auch feurig¬
stattlichen, mit allen Reizen vollgültiger Weiblichkeit ausgestatteten Damen von
Plock -- die weißgekleideten Ehrenjungfrauen für diesmal durchaus ersetzen.
Die Anlagen der Plätze sind gepflegt und wirkliche Schmuckstücke ohne Hühner-
mist und Frühstückspapiere. Hochgelegen, breitet sich zu Füßen der Stadt das
weite Land aus mit der breit dahinziehenden, tiefgrünen Weichsel.

Die abziehenden Russen haben auch hier die Brücke gesprengt, und manches
Wrack und manche Trümmer ragen trostlos aus dem Wasser empor; aber längst
haben unsere unermüdlichen Pioniere eine neue Brücke geschlagen, ein Riesen¬
werk, das in wenigen Tagen trotz aller Schwierigkeiten vollendet worden und
über das -- ungeachtet der mit gewissenhafter Regelmäßigkeit vorbeigeworfenen
Bomben russischer Flieger -- jetzt fährt und marschiert, was nur immer von
Ufer zu Ufer strebt. Und am Ankerplatz und auf den wandernden Wellen, was
für eine bunte Menge von Dampfern und Lastkähnen I Das drängt sich und
engt sich, tutet und flutet. Wohin das Auge sich wendet: wehende Wimpel.
Und alle deutsch, alle deutsch! Man möchte die Arme ausstrecken und dies
Bild aufjauchzenden, heimatlichen Lebens umfassen, denn man liebt auch diesen
dienstwilligen, reichsdeutschen Gauen zustrebenden Strom und alles, was er
hegt und trägt; liebt dieses Stück Erde, das so viele Opfer gekostet, wie man
just dasjenige Kind am meisten liebt, das einem das herbste Leid getan.

Freilich bedarf es der Fürsorge noch durch manches Jahr. Wie Plock,
die ehemalige russische Gouvernementsstadt, kein noch so kleines Bähnchen hat,
das die Stadt mit der Außenwelt verbindet, vielmehr, so ganz im Gegensatz
zu deutscher Art und Ordnung, völlig vereinsamt abseits vom Strome des
großen Geschehens gehalten wurde, so ist auch die Weichsel sich völlig selber über¬
lassen worden, also daß weite Sandbänke die Schiffahrt erschweren.

Die russische Methode wollte nun einmal, daß alle Wege zu Wasser und
zu Lande dem Untergange anheimfielen, damit das polnische Land ohnmächtig
werde; die Moskowiter sargten es ein und sogen es nach Leibeskräften aus,
heiligen Pillendrehern vergleichbar; sie ernteten ohne zu säen. Und wie sie
zum Beispiel in Lodz die Taschen der Bürger plünderten, angeblich um eine
Wasserleitung und Kanalisation zu schaffen, während die Rübelchen nach Peters¬
burg in die Kassen der wahren Patrioten rollten, so wirtschafteten sie auch das
flache Land und die Kleinstädte kunstgerecht und sachgemäß ab.


Kämpfe und Siege hinter der Front

Da wird zum Beispiel schon viel deutsch gesprochen, freier als sonst,
reiner als früher. Da sind viel deutsche Aufschriften an den Geschäften zu
lesen. Da gibt es fast überall eine Kaiser-Wilhelmstraße, eine Hindenburgstraße;
auch eine Bayernstraße und Württemberger Straße sind zu finden. Deutsche
Zeitungen werden feilgeboten; Zeitungen, die im Lande geleitet, geschrieben und
gedruckt sind und eine Kulturarbeit leisten, deren Wert und Wirkung noch gar
nicht abzuschätzen sind. Und überall ist deutsche Ordnung. In Plock zum Beispiel:
saubere Straßen, von grünen Bäumen eingefaßt, die förmlich prunken und
— bei allem Respekt vor den zweifellos hübschen, zierlichen oder auch feurig¬
stattlichen, mit allen Reizen vollgültiger Weiblichkeit ausgestatteten Damen von
Plock — die weißgekleideten Ehrenjungfrauen für diesmal durchaus ersetzen.
Die Anlagen der Plätze sind gepflegt und wirkliche Schmuckstücke ohne Hühner-
mist und Frühstückspapiere. Hochgelegen, breitet sich zu Füßen der Stadt das
weite Land aus mit der breit dahinziehenden, tiefgrünen Weichsel.

Die abziehenden Russen haben auch hier die Brücke gesprengt, und manches
Wrack und manche Trümmer ragen trostlos aus dem Wasser empor; aber längst
haben unsere unermüdlichen Pioniere eine neue Brücke geschlagen, ein Riesen¬
werk, das in wenigen Tagen trotz aller Schwierigkeiten vollendet worden und
über das — ungeachtet der mit gewissenhafter Regelmäßigkeit vorbeigeworfenen
Bomben russischer Flieger — jetzt fährt und marschiert, was nur immer von
Ufer zu Ufer strebt. Und am Ankerplatz und auf den wandernden Wellen, was
für eine bunte Menge von Dampfern und Lastkähnen I Das drängt sich und
engt sich, tutet und flutet. Wohin das Auge sich wendet: wehende Wimpel.
Und alle deutsch, alle deutsch! Man möchte die Arme ausstrecken und dies
Bild aufjauchzenden, heimatlichen Lebens umfassen, denn man liebt auch diesen
dienstwilligen, reichsdeutschen Gauen zustrebenden Strom und alles, was er
hegt und trägt; liebt dieses Stück Erde, das so viele Opfer gekostet, wie man
just dasjenige Kind am meisten liebt, das einem das herbste Leid getan.

Freilich bedarf es der Fürsorge noch durch manches Jahr. Wie Plock,
die ehemalige russische Gouvernementsstadt, kein noch so kleines Bähnchen hat,
das die Stadt mit der Außenwelt verbindet, vielmehr, so ganz im Gegensatz
zu deutscher Art und Ordnung, völlig vereinsamt abseits vom Strome des
großen Geschehens gehalten wurde, so ist auch die Weichsel sich völlig selber über¬
lassen worden, also daß weite Sandbänke die Schiffahrt erschweren.

Die russische Methode wollte nun einmal, daß alle Wege zu Wasser und
zu Lande dem Untergange anheimfielen, damit das polnische Land ohnmächtig
werde; die Moskowiter sargten es ein und sogen es nach Leibeskräften aus,
heiligen Pillendrehern vergleichbar; sie ernteten ohne zu säen. Und wie sie
zum Beispiel in Lodz die Taschen der Bürger plünderten, angeblich um eine
Wasserleitung und Kanalisation zu schaffen, während die Rübelchen nach Peters¬
burg in die Kassen der wahren Patrioten rollten, so wirtschafteten sie auch das
flache Land und die Kleinstädte kunstgerecht und sachgemäß ab.


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[0234] Kämpfe und Siege hinter der Front Da wird zum Beispiel schon viel deutsch gesprochen, freier als sonst, reiner als früher. Da sind viel deutsche Aufschriften an den Geschäften zu lesen. Da gibt es fast überall eine Kaiser-Wilhelmstraße, eine Hindenburgstraße; auch eine Bayernstraße und Württemberger Straße sind zu finden. Deutsche Zeitungen werden feilgeboten; Zeitungen, die im Lande geleitet, geschrieben und gedruckt sind und eine Kulturarbeit leisten, deren Wert und Wirkung noch gar nicht abzuschätzen sind. Und überall ist deutsche Ordnung. In Plock zum Beispiel: saubere Straßen, von grünen Bäumen eingefaßt, die förmlich prunken und — bei allem Respekt vor den zweifellos hübschen, zierlichen oder auch feurig¬ stattlichen, mit allen Reizen vollgültiger Weiblichkeit ausgestatteten Damen von Plock — die weißgekleideten Ehrenjungfrauen für diesmal durchaus ersetzen. Die Anlagen der Plätze sind gepflegt und wirkliche Schmuckstücke ohne Hühner- mist und Frühstückspapiere. Hochgelegen, breitet sich zu Füßen der Stadt das weite Land aus mit der breit dahinziehenden, tiefgrünen Weichsel. Die abziehenden Russen haben auch hier die Brücke gesprengt, und manches Wrack und manche Trümmer ragen trostlos aus dem Wasser empor; aber längst haben unsere unermüdlichen Pioniere eine neue Brücke geschlagen, ein Riesen¬ werk, das in wenigen Tagen trotz aller Schwierigkeiten vollendet worden und über das — ungeachtet der mit gewissenhafter Regelmäßigkeit vorbeigeworfenen Bomben russischer Flieger — jetzt fährt und marschiert, was nur immer von Ufer zu Ufer strebt. Und am Ankerplatz und auf den wandernden Wellen, was für eine bunte Menge von Dampfern und Lastkähnen I Das drängt sich und engt sich, tutet und flutet. Wohin das Auge sich wendet: wehende Wimpel. Und alle deutsch, alle deutsch! Man möchte die Arme ausstrecken und dies Bild aufjauchzenden, heimatlichen Lebens umfassen, denn man liebt auch diesen dienstwilligen, reichsdeutschen Gauen zustrebenden Strom und alles, was er hegt und trägt; liebt dieses Stück Erde, das so viele Opfer gekostet, wie man just dasjenige Kind am meisten liebt, das einem das herbste Leid getan. Freilich bedarf es der Fürsorge noch durch manches Jahr. Wie Plock, die ehemalige russische Gouvernementsstadt, kein noch so kleines Bähnchen hat, das die Stadt mit der Außenwelt verbindet, vielmehr, so ganz im Gegensatz zu deutscher Art und Ordnung, völlig vereinsamt abseits vom Strome des großen Geschehens gehalten wurde, so ist auch die Weichsel sich völlig selber über¬ lassen worden, also daß weite Sandbänke die Schiffahrt erschweren. Die russische Methode wollte nun einmal, daß alle Wege zu Wasser und zu Lande dem Untergange anheimfielen, damit das polnische Land ohnmächtig werde; die Moskowiter sargten es ein und sogen es nach Leibeskräften aus, heiligen Pillendrehern vergleichbar; sie ernteten ohne zu säen. Und wie sie zum Beispiel in Lodz die Taschen der Bürger plünderten, angeblich um eine Wasserleitung und Kanalisation zu schaffen, während die Rübelchen nach Peters¬ burg in die Kassen der wahren Patrioten rollten, so wirtschafteten sie auch das flache Land und die Kleinstädte kunstgerecht und sachgemäß ab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/234>, abgerufen am 23.07.2024.