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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Rumpfe und Hiege hinter der Front
Leonhard Schrickel von

"Krieg ist Fluch -- solange der Pflug feiert"

s gab eine Zeit, die den Krieg mit Pestilenz und Hungersnot
in eine Reihe stellte, ja, ihn als der Übel größtes, als den
schrecklichsten der Schrecken ausschrie. Für die Menschen jener
Tage war Krieg der Sammelbegriff für alles Ungeheuerliche
wie Mord, Raub, Brand, Schändung, Verwüstung und dergleichen
mehr, und seine Spuren waren Trümmer und grausige Stätten des Elends
und der Not.

Aber diese Zeiten, in denen der Pflug feierte, solange der Krieg tobte,
sind vorüber; das bezeugt just dieser Weltkrieg, wenn wir Ostpreußen und
Galizien mit den Spuren russischer Kriegführung einmal nicht in Betracht ziehen
oder als Ausnahmen die Regel bestätigen lassen. Wenigstens dicht hinter der
deutschen Front waltet tiefer Frieden. Die Dörfer und Städtchen lassen den
Durchreisenden kaum erkennen, daß die Kriegsfurie vor wenigen Tagen über
sie dahin gebraust ist, und eine Fahrt durch das Land macht alles Leid und Weh,
das man am eigenen Leibe erfahren, fast völlig vergessen.

Da stehen die niedrigen, blau und rosarot getünchten Häuschen genau so
verträumt wie sie all die langen Jahre daher gestanden, geduckt unter das
moosige Strohdach, unter dem die kleinen, schmalen Fenster, halb versteckt, nur
scheu hervorlugen. Andere stecken den First nur wie in zaghafter Neugier ein
wenig über das wogende Korn, das diese Stätten des Friedens mit seinen
goldgelben Mauern hoch umbaut, also daß es ist, als sollten die Hütten im
Segen der Ernte ersticken.

Hier und da verrät ein kalkweißes, aufgepinseltes Kreuz an der Hauswart,
daß auch der Kindersegen herangewachsen, daß ein mannbares Töchterlein des
Freiers harrt. Ist das Gütchen groß und der Feldsegen desgleichen, ist auch
die Zahl der heranpilgernden, unternehmungslustigen Heiratskandidaten nicht
klein, und ehe die Ernte geborgen oder verkauft, ist das Kreuz an der Wand
wieder verschwunden. Aber es gibt auch Häuser, die drei und vier Kreuzlein
zieren, -- mag denn hinter den Scheiben der so friedlich anmutenden Fenster
manch stilles Seufzen in die Weite gehen.

Sieht man die Schönen indessen bei Tageslicht -- und wir fahren mit
unserem 62 ? 3.-Auto an gar mancher vorüber --, lassen sie von ihrem stillen




Rumpfe und Hiege hinter der Front
Leonhard Schrickel von

„Krieg ist Fluch — solange der Pflug feiert"

s gab eine Zeit, die den Krieg mit Pestilenz und Hungersnot
in eine Reihe stellte, ja, ihn als der Übel größtes, als den
schrecklichsten der Schrecken ausschrie. Für die Menschen jener
Tage war Krieg der Sammelbegriff für alles Ungeheuerliche
wie Mord, Raub, Brand, Schändung, Verwüstung und dergleichen
mehr, und seine Spuren waren Trümmer und grausige Stätten des Elends
und der Not.

Aber diese Zeiten, in denen der Pflug feierte, solange der Krieg tobte,
sind vorüber; das bezeugt just dieser Weltkrieg, wenn wir Ostpreußen und
Galizien mit den Spuren russischer Kriegführung einmal nicht in Betracht ziehen
oder als Ausnahmen die Regel bestätigen lassen. Wenigstens dicht hinter der
deutschen Front waltet tiefer Frieden. Die Dörfer und Städtchen lassen den
Durchreisenden kaum erkennen, daß die Kriegsfurie vor wenigen Tagen über
sie dahin gebraust ist, und eine Fahrt durch das Land macht alles Leid und Weh,
das man am eigenen Leibe erfahren, fast völlig vergessen.

Da stehen die niedrigen, blau und rosarot getünchten Häuschen genau so
verträumt wie sie all die langen Jahre daher gestanden, geduckt unter das
moosige Strohdach, unter dem die kleinen, schmalen Fenster, halb versteckt, nur
scheu hervorlugen. Andere stecken den First nur wie in zaghafter Neugier ein
wenig über das wogende Korn, das diese Stätten des Friedens mit seinen
goldgelben Mauern hoch umbaut, also daß es ist, als sollten die Hütten im
Segen der Ernte ersticken.

Hier und da verrät ein kalkweißes, aufgepinseltes Kreuz an der Hauswart,
daß auch der Kindersegen herangewachsen, daß ein mannbares Töchterlein des
Freiers harrt. Ist das Gütchen groß und der Feldsegen desgleichen, ist auch
die Zahl der heranpilgernden, unternehmungslustigen Heiratskandidaten nicht
klein, und ehe die Ernte geborgen oder verkauft, ist das Kreuz an der Wand
wieder verschwunden. Aber es gibt auch Häuser, die drei und vier Kreuzlein
zieren, — mag denn hinter den Scheiben der so friedlich anmutenden Fenster
manch stilles Seufzen in die Weite gehen.

Sieht man die Schönen indessen bei Tageslicht — und wir fahren mit
unserem 62 ? 3.-Auto an gar mancher vorüber —, lassen sie von ihrem stillen


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[0232] [Abbildung] Rumpfe und Hiege hinter der Front Leonhard Schrickel von „Krieg ist Fluch — solange der Pflug feiert" s gab eine Zeit, die den Krieg mit Pestilenz und Hungersnot in eine Reihe stellte, ja, ihn als der Übel größtes, als den schrecklichsten der Schrecken ausschrie. Für die Menschen jener Tage war Krieg der Sammelbegriff für alles Ungeheuerliche wie Mord, Raub, Brand, Schändung, Verwüstung und dergleichen mehr, und seine Spuren waren Trümmer und grausige Stätten des Elends und der Not. Aber diese Zeiten, in denen der Pflug feierte, solange der Krieg tobte, sind vorüber; das bezeugt just dieser Weltkrieg, wenn wir Ostpreußen und Galizien mit den Spuren russischer Kriegführung einmal nicht in Betracht ziehen oder als Ausnahmen die Regel bestätigen lassen. Wenigstens dicht hinter der deutschen Front waltet tiefer Frieden. Die Dörfer und Städtchen lassen den Durchreisenden kaum erkennen, daß die Kriegsfurie vor wenigen Tagen über sie dahin gebraust ist, und eine Fahrt durch das Land macht alles Leid und Weh, das man am eigenen Leibe erfahren, fast völlig vergessen. Da stehen die niedrigen, blau und rosarot getünchten Häuschen genau so verträumt wie sie all die langen Jahre daher gestanden, geduckt unter das moosige Strohdach, unter dem die kleinen, schmalen Fenster, halb versteckt, nur scheu hervorlugen. Andere stecken den First nur wie in zaghafter Neugier ein wenig über das wogende Korn, das diese Stätten des Friedens mit seinen goldgelben Mauern hoch umbaut, also daß es ist, als sollten die Hütten im Segen der Ernte ersticken. Hier und da verrät ein kalkweißes, aufgepinseltes Kreuz an der Hauswart, daß auch der Kindersegen herangewachsen, daß ein mannbares Töchterlein des Freiers harrt. Ist das Gütchen groß und der Feldsegen desgleichen, ist auch die Zahl der heranpilgernden, unternehmungslustigen Heiratskandidaten nicht klein, und ehe die Ernte geborgen oder verkauft, ist das Kreuz an der Wand wieder verschwunden. Aber es gibt auch Häuser, die drei und vier Kreuzlein zieren, — mag denn hinter den Scheiben der so friedlich anmutenden Fenster manch stilles Seufzen in die Weite gehen. Sieht man die Schönen indessen bei Tageslicht — und wir fahren mit unserem 62 ? 3.-Auto an gar mancher vorüber —, lassen sie von ihrem stillen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/232>, abgerufen am 22.07.2024.