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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Krieg und Religion

Menschenliebe, sondern die auf die höheren Werte gerichtete Liebe. Die Träger
der höheren Werte liegen in der Sphäre der Nationen. Um der allgemeinen
Menschenliebe willen darf die Liebe zur Nation nicht eingeschränkt werden;
denn diese gibt mir höhere Werte als die Menschheit. Nicht der Staat ist der
wertvollste, der am meisten zum Frieden schon beiträgt, sondern der "wert¬
vollere" Staat, der die höchsten Werte uns vermittelt, soll herrschen. Und nicht
das soll die unfruchtbare Aufgabe der Politik sein, künstlich die Balance zu
halten unter den Staaten Europas. Die Liebesidee und der Krieg stehen
sogar in Beziehung zueinander. Im Krieg werden Völker zu Staaten ver¬
bunden. Der Krieg wirkt vereinigend unter Menschen. Alte Liebesverbindungen
werden lebhafter empfunden. Krieg ist Rückkehr auf den schöpferischen Ursprung
des Staates, und er treibt das Volksleben vorwärts. Und je mehr der Zufall
in den modernen Kriegen ausgeschaltet wird, und je mehr die Kriege organisch
aus dem Volksleben herauswachsen und also, wie der Krieg zwischen Deutsch¬
land und Rußland oder zwischen uns und England gerechte Kriege find, desto
mehr wird jeder Krieg ein Gottesgericht, das die höhere Kraft zum Siege
bringt. Eine Philosophie steht vor uns, die zwar nicht den Krieg herbeisehnt,
ihm aber niemals unnötig ausweichen wird.

Zu ähnlichen Gedanken führen die Schriften des Theologen Heinrich
Scholz, der uns noch ein größeres Buch über Krieg und Christentum verspricht.
Zu einem richtigen Urteil über die großen Lebensfragen des Volkes kommt
man nicht, wenn man von den einzelnen sittlichen Eigenschaften der Menschen¬
liebe oder der Wahrhaftigkeit ausgeht. Keine Tugend besitzt einen jederzeit
unbedingten Wert. Sondern um zu einem richtigen sittlichen Urteil zu kommen,
muß man von den großen sittlichen Gütern des menschlichen Lebens ausgehen,
die da sind Wissenschaft und Wirtschaft, Recht und Staat, Kunst und Religion.
Das Sittliche ist keine Größe, die mühelos festgestellt werden kann. Und ein
sittliches Urteil über die Politik kann nur abgegeben werden in Zusammenhang
mit den Kulturwerten, die in einem Staat lebendig sind, und erst der Gang
der Geschichte, der die inneren Werte eines Volkes uns immer mehr enthüllt,
macht uns zu dieser schwersten Aufgabe fähig. Jedenfalls wird der
Idealismus für die Erhaltung und das Wachstum eines Staates, der
kulturell wertvoll ist, eintreten und wird die stumpfe Dogmatik des ewigen
Friedens bekämpfen.

So wächst aus den Lebenserfahrungen des Krieges ein neuer Reichtum
ethischer und religiöser Gedanken uns zu. Der Historiker wird sicherlich später
unsere Friedenspolitik ableiten aus der allgemeinen Friedensstimmung, die in
Religion und Philosophie vor dem August 1914 herrschte und den Krieg
weithin höchstens als notwendiges Übel wertete, und man wird aus dieser
prinzipiell falschen Lebensauffassung, der Herstellung des Friedens um jeden
Preis, vielleicht in Parallele zu der Zeit von 1796 bis 1806 die notwendige
Unfruchtbarkeit der Diplomatie herauserklären. Aus den Lebenserfahrungen


Krieg und Religion

Menschenliebe, sondern die auf die höheren Werte gerichtete Liebe. Die Träger
der höheren Werte liegen in der Sphäre der Nationen. Um der allgemeinen
Menschenliebe willen darf die Liebe zur Nation nicht eingeschränkt werden;
denn diese gibt mir höhere Werte als die Menschheit. Nicht der Staat ist der
wertvollste, der am meisten zum Frieden schon beiträgt, sondern der „wert¬
vollere" Staat, der die höchsten Werte uns vermittelt, soll herrschen. Und nicht
das soll die unfruchtbare Aufgabe der Politik sein, künstlich die Balance zu
halten unter den Staaten Europas. Die Liebesidee und der Krieg stehen
sogar in Beziehung zueinander. Im Krieg werden Völker zu Staaten ver¬
bunden. Der Krieg wirkt vereinigend unter Menschen. Alte Liebesverbindungen
werden lebhafter empfunden. Krieg ist Rückkehr auf den schöpferischen Ursprung
des Staates, und er treibt das Volksleben vorwärts. Und je mehr der Zufall
in den modernen Kriegen ausgeschaltet wird, und je mehr die Kriege organisch
aus dem Volksleben herauswachsen und also, wie der Krieg zwischen Deutsch¬
land und Rußland oder zwischen uns und England gerechte Kriege find, desto
mehr wird jeder Krieg ein Gottesgericht, das die höhere Kraft zum Siege
bringt. Eine Philosophie steht vor uns, die zwar nicht den Krieg herbeisehnt,
ihm aber niemals unnötig ausweichen wird.

Zu ähnlichen Gedanken führen die Schriften des Theologen Heinrich
Scholz, der uns noch ein größeres Buch über Krieg und Christentum verspricht.
Zu einem richtigen Urteil über die großen Lebensfragen des Volkes kommt
man nicht, wenn man von den einzelnen sittlichen Eigenschaften der Menschen¬
liebe oder der Wahrhaftigkeit ausgeht. Keine Tugend besitzt einen jederzeit
unbedingten Wert. Sondern um zu einem richtigen sittlichen Urteil zu kommen,
muß man von den großen sittlichen Gütern des menschlichen Lebens ausgehen,
die da sind Wissenschaft und Wirtschaft, Recht und Staat, Kunst und Religion.
Das Sittliche ist keine Größe, die mühelos festgestellt werden kann. Und ein
sittliches Urteil über die Politik kann nur abgegeben werden in Zusammenhang
mit den Kulturwerten, die in einem Staat lebendig sind, und erst der Gang
der Geschichte, der die inneren Werte eines Volkes uns immer mehr enthüllt,
macht uns zu dieser schwersten Aufgabe fähig. Jedenfalls wird der
Idealismus für die Erhaltung und das Wachstum eines Staates, der
kulturell wertvoll ist, eintreten und wird die stumpfe Dogmatik des ewigen
Friedens bekämpfen.

So wächst aus den Lebenserfahrungen des Krieges ein neuer Reichtum
ethischer und religiöser Gedanken uns zu. Der Historiker wird sicherlich später
unsere Friedenspolitik ableiten aus der allgemeinen Friedensstimmung, die in
Religion und Philosophie vor dem August 1914 herrschte und den Krieg
weithin höchstens als notwendiges Übel wertete, und man wird aus dieser
prinzipiell falschen Lebensauffassung, der Herstellung des Friedens um jeden
Preis, vielleicht in Parallele zu der Zeit von 1796 bis 1806 die notwendige
Unfruchtbarkeit der Diplomatie herauserklären. Aus den Lebenserfahrungen


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[0230] Krieg und Religion Menschenliebe, sondern die auf die höheren Werte gerichtete Liebe. Die Träger der höheren Werte liegen in der Sphäre der Nationen. Um der allgemeinen Menschenliebe willen darf die Liebe zur Nation nicht eingeschränkt werden; denn diese gibt mir höhere Werte als die Menschheit. Nicht der Staat ist der wertvollste, der am meisten zum Frieden schon beiträgt, sondern der „wert¬ vollere" Staat, der die höchsten Werte uns vermittelt, soll herrschen. Und nicht das soll die unfruchtbare Aufgabe der Politik sein, künstlich die Balance zu halten unter den Staaten Europas. Die Liebesidee und der Krieg stehen sogar in Beziehung zueinander. Im Krieg werden Völker zu Staaten ver¬ bunden. Der Krieg wirkt vereinigend unter Menschen. Alte Liebesverbindungen werden lebhafter empfunden. Krieg ist Rückkehr auf den schöpferischen Ursprung des Staates, und er treibt das Volksleben vorwärts. Und je mehr der Zufall in den modernen Kriegen ausgeschaltet wird, und je mehr die Kriege organisch aus dem Volksleben herauswachsen und also, wie der Krieg zwischen Deutsch¬ land und Rußland oder zwischen uns und England gerechte Kriege find, desto mehr wird jeder Krieg ein Gottesgericht, das die höhere Kraft zum Siege bringt. Eine Philosophie steht vor uns, die zwar nicht den Krieg herbeisehnt, ihm aber niemals unnötig ausweichen wird. Zu ähnlichen Gedanken führen die Schriften des Theologen Heinrich Scholz, der uns noch ein größeres Buch über Krieg und Christentum verspricht. Zu einem richtigen Urteil über die großen Lebensfragen des Volkes kommt man nicht, wenn man von den einzelnen sittlichen Eigenschaften der Menschen¬ liebe oder der Wahrhaftigkeit ausgeht. Keine Tugend besitzt einen jederzeit unbedingten Wert. Sondern um zu einem richtigen sittlichen Urteil zu kommen, muß man von den großen sittlichen Gütern des menschlichen Lebens ausgehen, die da sind Wissenschaft und Wirtschaft, Recht und Staat, Kunst und Religion. Das Sittliche ist keine Größe, die mühelos festgestellt werden kann. Und ein sittliches Urteil über die Politik kann nur abgegeben werden in Zusammenhang mit den Kulturwerten, die in einem Staat lebendig sind, und erst der Gang der Geschichte, der die inneren Werte eines Volkes uns immer mehr enthüllt, macht uns zu dieser schwersten Aufgabe fähig. Jedenfalls wird der Idealismus für die Erhaltung und das Wachstum eines Staates, der kulturell wertvoll ist, eintreten und wird die stumpfe Dogmatik des ewigen Friedens bekämpfen. So wächst aus den Lebenserfahrungen des Krieges ein neuer Reichtum ethischer und religiöser Gedanken uns zu. Der Historiker wird sicherlich später unsere Friedenspolitik ableiten aus der allgemeinen Friedensstimmung, die in Religion und Philosophie vor dem August 1914 herrschte und den Krieg weithin höchstens als notwendiges Übel wertete, und man wird aus dieser prinzipiell falschen Lebensauffassung, der Herstellung des Friedens um jeden Preis, vielleicht in Parallele zu der Zeit von 1796 bis 1806 die notwendige Unfruchtbarkeit der Diplomatie herauserklären. Aus den Lebenserfahrungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/230>, abgerufen am 23.07.2024.