Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rrieg und Religion

Nur in langsamem Prozeß durchdringen die höchsten Ideale die menschlichen
Verhältnisse. O. Eißfeldt gibt in den Schlußabschnitten seines Buches ("Krieg
und Bibel") eine Lösung, die die Gegensätze "Krieg und christliche Liebe"
mildert. Das Neue Testament kennt einen Kampf gegen das Böse. Und inso¬
fern Menschen das Böse vertreten, hat Jesus eine Grenze des Liebesgebotes
gekannt (Matth. 10, 34. 7, 6). Und von hier aus meint er feststellen zu
können, daß im Verfolg dieser Gedankenreihen der Krieg gegen Frevel und
Unrecht zur Wahrung sittlicher Güter als Gottes Krieg auch vom Evangelium
aus beurteilt werden kann. Aber ist man mit diesen Gedanken nicht schon
hinausgeschritten über das einfache Evangelium Jesu? Wenn die Ethik Jesu
rein individualistisch gestimmt ist und wenn die großen Gemeinschaftsformen
bei ihm nicht zu ihrem Recht gekommen sind, so ist es unmöglich. Bergpredigt
und Krieg zu vereinen. Und doch braucht Krieg nichts unsittliches, ja nicht
einmal widerchristliches zu sein.

Ein positives Begreifen und Erfassen des Krieges findet sich erst in der
ethisch bedeutsamen Schrift von Max Scheler, "der Genius des Krieges und
der deutsche Krieg" (Verlag der weißen Bücher in Leipzig. Preis 5 Mary und
in den Heften von Heinrich Scholz ("Der Idealismus als Träger des Kriegs¬
gedankens"; "Politik und Moral". Verlag von Perthes in Gotha. Preis
60 Pfennig). Die politische Seite des Buches von Max Scheler ist in den
Rezensionen der Tageszeitungen meist in den Vordergrund gestellt. Der
Philosoph wagt es, wie einst in den großen Tagen der Griechen, vom
philosophisch-wissenschaftlichen Denken aus, politische Ziele aufzuweisen. Und
angesichts der Fülle wertvoller Gedanken, psychologischer Betrachtungen über
Volkstum und Nasse, den Nachweisen von Zusammenhängen des Geistigen und
Religiösen mit der Kraft der Völker wird keiner wagen, den Philosophen in
die Schranken seines engeren Faches zurückzuweisen. Sondern das Buch kann
"n Zeichen dafür sein, daß unsere Philosophie auf dem besten Wege dahin ist,
nicht mehr nur Logik und Erkenntnistheorie zu sein, sondern ein alles Leben
umfassende Wissenschaft zu werden. Es stehen uns große Tage idealistischer
Philosophie bevor, die den Tagen der Griechen gleichen und sie in dem Maß
in den Schatten stellen werden, wie die Grundlagen unseres Lebens breitere
und kompliziertere geworden sind. Wer den Krieg ethisch erfassen will, darf
an den philosophischen Grundlagen des Buches nicht vorübergehen. Der Krieg
wird herauserklärt aus der Wachstumtendenz der Völker, aus dem Streben nach
Macht und Tat. Er darf nicht materialistisch als Kampf um den Futterplatz
erklärt werden. In diesem Falle wäre die Möglichkeit da, daß er verschwindet, je
mehr die Interessen der Völker ineinander übergehen. Krieg ist nicht Streit, der
nach Regeln entscheidbar ist. sondern er ist "eine Funktion des konkreten einmaligen
Wachsens- und Werdensprozesses der Völker". Ein Staat, der sich im Wachstum
beschränkt, ist ein toter Staat. Und diese Wachstumstendenz widerspricht nicht
der Liebesidee. Denn die höherwertige Liebe ist nicht schon die allgemeine


Rrieg und Religion

Nur in langsamem Prozeß durchdringen die höchsten Ideale die menschlichen
Verhältnisse. O. Eißfeldt gibt in den Schlußabschnitten seines Buches („Krieg
und Bibel") eine Lösung, die die Gegensätze „Krieg und christliche Liebe"
mildert. Das Neue Testament kennt einen Kampf gegen das Böse. Und inso¬
fern Menschen das Böse vertreten, hat Jesus eine Grenze des Liebesgebotes
gekannt (Matth. 10, 34. 7, 6). Und von hier aus meint er feststellen zu
können, daß im Verfolg dieser Gedankenreihen der Krieg gegen Frevel und
Unrecht zur Wahrung sittlicher Güter als Gottes Krieg auch vom Evangelium
aus beurteilt werden kann. Aber ist man mit diesen Gedanken nicht schon
hinausgeschritten über das einfache Evangelium Jesu? Wenn die Ethik Jesu
rein individualistisch gestimmt ist und wenn die großen Gemeinschaftsformen
bei ihm nicht zu ihrem Recht gekommen sind, so ist es unmöglich. Bergpredigt
und Krieg zu vereinen. Und doch braucht Krieg nichts unsittliches, ja nicht
einmal widerchristliches zu sein.

Ein positives Begreifen und Erfassen des Krieges findet sich erst in der
ethisch bedeutsamen Schrift von Max Scheler, „der Genius des Krieges und
der deutsche Krieg" (Verlag der weißen Bücher in Leipzig. Preis 5 Mary und
in den Heften von Heinrich Scholz („Der Idealismus als Träger des Kriegs¬
gedankens"; „Politik und Moral". Verlag von Perthes in Gotha. Preis
60 Pfennig). Die politische Seite des Buches von Max Scheler ist in den
Rezensionen der Tageszeitungen meist in den Vordergrund gestellt. Der
Philosoph wagt es, wie einst in den großen Tagen der Griechen, vom
philosophisch-wissenschaftlichen Denken aus, politische Ziele aufzuweisen. Und
angesichts der Fülle wertvoller Gedanken, psychologischer Betrachtungen über
Volkstum und Nasse, den Nachweisen von Zusammenhängen des Geistigen und
Religiösen mit der Kraft der Völker wird keiner wagen, den Philosophen in
die Schranken seines engeren Faches zurückzuweisen. Sondern das Buch kann
«n Zeichen dafür sein, daß unsere Philosophie auf dem besten Wege dahin ist,
nicht mehr nur Logik und Erkenntnistheorie zu sein, sondern ein alles Leben
umfassende Wissenschaft zu werden. Es stehen uns große Tage idealistischer
Philosophie bevor, die den Tagen der Griechen gleichen und sie in dem Maß
in den Schatten stellen werden, wie die Grundlagen unseres Lebens breitere
und kompliziertere geworden sind. Wer den Krieg ethisch erfassen will, darf
an den philosophischen Grundlagen des Buches nicht vorübergehen. Der Krieg
wird herauserklärt aus der Wachstumtendenz der Völker, aus dem Streben nach
Macht und Tat. Er darf nicht materialistisch als Kampf um den Futterplatz
erklärt werden. In diesem Falle wäre die Möglichkeit da, daß er verschwindet, je
mehr die Interessen der Völker ineinander übergehen. Krieg ist nicht Streit, der
nach Regeln entscheidbar ist. sondern er ist „eine Funktion des konkreten einmaligen
Wachsens- und Werdensprozesses der Völker". Ein Staat, der sich im Wachstum
beschränkt, ist ein toter Staat. Und diese Wachstumstendenz widerspricht nicht
der Liebesidee. Denn die höherwertige Liebe ist nicht schon die allgemeine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324202"/>
          <fw type="header" place="top"> Rrieg und Religion</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_677" prev="#ID_676"> Nur in langsamem Prozeß durchdringen die höchsten Ideale die menschlichen<lb/>
Verhältnisse. O. Eißfeldt gibt in den Schlußabschnitten seines Buches (&#x201E;Krieg<lb/>
und Bibel") eine Lösung, die die Gegensätze &#x201E;Krieg und christliche Liebe"<lb/>
mildert. Das Neue Testament kennt einen Kampf gegen das Böse. Und inso¬<lb/>
fern Menschen das Böse vertreten, hat Jesus eine Grenze des Liebesgebotes<lb/>
gekannt (Matth. 10, 34. 7, 6). Und von hier aus meint er feststellen zu<lb/>
können, daß im Verfolg dieser Gedankenreihen der Krieg gegen Frevel und<lb/>
Unrecht zur Wahrung sittlicher Güter als Gottes Krieg auch vom Evangelium<lb/>
aus beurteilt werden kann. Aber ist man mit diesen Gedanken nicht schon<lb/>
hinausgeschritten über das einfache Evangelium Jesu? Wenn die Ethik Jesu<lb/>
rein individualistisch gestimmt ist und wenn die großen Gemeinschaftsformen<lb/>
bei ihm nicht zu ihrem Recht gekommen sind, so ist es unmöglich. Bergpredigt<lb/>
und Krieg zu vereinen. Und doch braucht Krieg nichts unsittliches, ja nicht<lb/>
einmal widerchristliches zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_678" next="#ID_679"> Ein positives Begreifen und Erfassen des Krieges findet sich erst in der<lb/>
ethisch bedeutsamen Schrift von Max Scheler, &#x201E;der Genius des Krieges und<lb/>
der deutsche Krieg" (Verlag der weißen Bücher in Leipzig. Preis 5 Mary und<lb/>
in den Heften von Heinrich Scholz (&#x201E;Der Idealismus als Träger des Kriegs¬<lb/>
gedankens"; &#x201E;Politik und Moral".  Verlag von Perthes in Gotha. Preis<lb/>
60 Pfennig).  Die politische Seite des Buches von Max Scheler ist in den<lb/>
Rezensionen der Tageszeitungen meist in den Vordergrund gestellt. Der<lb/>
Philosoph wagt es, wie einst in den großen Tagen der Griechen, vom<lb/>
philosophisch-wissenschaftlichen Denken aus, politische Ziele aufzuweisen. Und<lb/>
angesichts der Fülle wertvoller Gedanken, psychologischer Betrachtungen über<lb/>
Volkstum und Nasse, den Nachweisen von Zusammenhängen des Geistigen und<lb/>
Religiösen mit der Kraft der Völker wird keiner wagen, den Philosophen in<lb/>
die Schranken seines engeren Faches zurückzuweisen.  Sondern das Buch kann<lb/>
«n Zeichen dafür sein, daß unsere Philosophie auf dem besten Wege dahin ist,<lb/>
nicht mehr nur Logik und Erkenntnistheorie zu sein, sondern ein alles Leben<lb/>
umfassende Wissenschaft zu werden. Es stehen uns große Tage idealistischer<lb/>
Philosophie bevor, die den Tagen der Griechen gleichen und sie in dem Maß<lb/>
in den Schatten stellen werden, wie die Grundlagen unseres Lebens breitere<lb/>
und kompliziertere geworden sind.  Wer den Krieg ethisch erfassen will, darf<lb/>
an den philosophischen Grundlagen des Buches nicht vorübergehen. Der Krieg<lb/>
wird herauserklärt aus der Wachstumtendenz der Völker, aus dem Streben nach<lb/>
Macht und Tat.  Er darf nicht materialistisch als Kampf um den Futterplatz<lb/>
erklärt werden. In diesem Falle wäre die Möglichkeit da, daß er verschwindet, je<lb/>
mehr die Interessen der Völker ineinander übergehen. Krieg ist nicht Streit, der<lb/>
nach Regeln entscheidbar ist. sondern er ist &#x201E;eine Funktion des konkreten einmaligen<lb/>
Wachsens- und Werdensprozesses der Völker". Ein Staat, der sich im Wachstum<lb/>
beschränkt, ist ein toter Staat.  Und diese Wachstumstendenz widerspricht nicht<lb/>
der Liebesidee. Denn die höherwertige Liebe ist nicht schon die allgemeine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0229] Rrieg und Religion Nur in langsamem Prozeß durchdringen die höchsten Ideale die menschlichen Verhältnisse. O. Eißfeldt gibt in den Schlußabschnitten seines Buches („Krieg und Bibel") eine Lösung, die die Gegensätze „Krieg und christliche Liebe" mildert. Das Neue Testament kennt einen Kampf gegen das Böse. Und inso¬ fern Menschen das Böse vertreten, hat Jesus eine Grenze des Liebesgebotes gekannt (Matth. 10, 34. 7, 6). Und von hier aus meint er feststellen zu können, daß im Verfolg dieser Gedankenreihen der Krieg gegen Frevel und Unrecht zur Wahrung sittlicher Güter als Gottes Krieg auch vom Evangelium aus beurteilt werden kann. Aber ist man mit diesen Gedanken nicht schon hinausgeschritten über das einfache Evangelium Jesu? Wenn die Ethik Jesu rein individualistisch gestimmt ist und wenn die großen Gemeinschaftsformen bei ihm nicht zu ihrem Recht gekommen sind, so ist es unmöglich. Bergpredigt und Krieg zu vereinen. Und doch braucht Krieg nichts unsittliches, ja nicht einmal widerchristliches zu sein. Ein positives Begreifen und Erfassen des Krieges findet sich erst in der ethisch bedeutsamen Schrift von Max Scheler, „der Genius des Krieges und der deutsche Krieg" (Verlag der weißen Bücher in Leipzig. Preis 5 Mary und in den Heften von Heinrich Scholz („Der Idealismus als Träger des Kriegs¬ gedankens"; „Politik und Moral". Verlag von Perthes in Gotha. Preis 60 Pfennig). Die politische Seite des Buches von Max Scheler ist in den Rezensionen der Tageszeitungen meist in den Vordergrund gestellt. Der Philosoph wagt es, wie einst in den großen Tagen der Griechen, vom philosophisch-wissenschaftlichen Denken aus, politische Ziele aufzuweisen. Und angesichts der Fülle wertvoller Gedanken, psychologischer Betrachtungen über Volkstum und Nasse, den Nachweisen von Zusammenhängen des Geistigen und Religiösen mit der Kraft der Völker wird keiner wagen, den Philosophen in die Schranken seines engeren Faches zurückzuweisen. Sondern das Buch kann «n Zeichen dafür sein, daß unsere Philosophie auf dem besten Wege dahin ist, nicht mehr nur Logik und Erkenntnistheorie zu sein, sondern ein alles Leben umfassende Wissenschaft zu werden. Es stehen uns große Tage idealistischer Philosophie bevor, die den Tagen der Griechen gleichen und sie in dem Maß in den Schatten stellen werden, wie die Grundlagen unseres Lebens breitere und kompliziertere geworden sind. Wer den Krieg ethisch erfassen will, darf an den philosophischen Grundlagen des Buches nicht vorübergehen. Der Krieg wird herauserklärt aus der Wachstumtendenz der Völker, aus dem Streben nach Macht und Tat. Er darf nicht materialistisch als Kampf um den Futterplatz erklärt werden. In diesem Falle wäre die Möglichkeit da, daß er verschwindet, je mehr die Interessen der Völker ineinander übergehen. Krieg ist nicht Streit, der nach Regeln entscheidbar ist. sondern er ist „eine Funktion des konkreten einmaligen Wachsens- und Werdensprozesses der Völker". Ein Staat, der sich im Wachstum beschränkt, ist ein toter Staat. Und diese Wachstumstendenz widerspricht nicht der Liebesidee. Denn die höherwertige Liebe ist nicht schon die allgemeine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/229
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/229>, abgerufen am 23.07.2024.