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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der letzte Rheinbundminister

kleinen den Gegner noch verwunden zu können. Eine Versöhnung zwischen
dem Vertreter des siegenden und dem des überwundenen Prinzips war unmöglich.
Mit großer Wut fiel die nationalliberale Presse über Dalwigk her, und schwer¬
wiegende, offenbar inspirierte Artikel der angesehensten Zeitschriften schlössen sich
an. so in den Grenzboten und den Preußischen Jahrbüchern. Die letzteren
brachten eine scharfe Kritik seiner ganzen Ministertätigkeit und schlössen mit der
Frage, ob "ein solcher Mangel politischen Anstandes und Ehrgefühls auch jetzt
noch, im neuen Deutschland, ungestraft zur Schau getragen werden darf". Der
Artikel der Grenzboten (1371, Band I, Seite 322 ff.) aber, aus dem Haupt¬
quartier zu Versailles stammend und, wie der Herausgeber später andeutete,
von Bismarck selbst entworfen*), ist in der Tonart womöglich noch schärfer.
Er zieht -- unter dem Vorgeben, die Ansicht eines Hessen zu enthalten -- aus
einer knappen Zusammenfassung von Dalwigks Regierungshandlungen die
Forderung, daß der Minister und der Leitor des Iustizwesens, Franck, der als
Mittelpunkt aller antipreußischen Wünsche bezeichnet wird, gehen müssen, "da
die Pflichten der Ehre und des Gewissens gewöhnlicher Sterblicher für diese
Männer zu freiwilligem Rücktritt nicht ausreichen. Pflicht der gesamten
nationalen Presse ist es, die Beseitigung dieses Ministers und seines Anhangs
als eaeterum esu8so fort und fort zu verlangen." Gerade dieser Artikel,
von der gesamten offiziösen Presse aufgenommen, hat Dalwigks Stellung auf
das schwerste erschüttert. Während er sonst Presseangriffe durch Artikel seines
Regierungsorgans zu parieren pflegte, ging er gegen den Grenzbotenherausgeber
gerichtlich vor.

Immerhin wäre bei der zähen Haltung des Ministers noch ein Verbleiben
im Amte für einige Zeit möglich gewesen, wenn nicht Bismarck, der einen
solchen Mitarbeiter im neuen Reiche unmöglich brauchen konnte, nun zum
letzten Mittel gegriffen hätte. Er benutzte die Anwesenheit des Großherzogs in
Berlin, um von ihm die Beseitigung des Mißliebigen als eines Hindernisses
für das gegenseitige Vertrauen der Regierungen zu verlangen. Am 6. April
1871 wurde Dalwigk in höchsten Gnaden entlassen. Dle hessische Regierung
lenkte von nun an zwar noch nicht in liberale, aber doch in durchaus reichs¬
freundliche Bahnen ein. --

Dalwigks Auftreten bietet bei aller Peinlichkeit für unser Gefühl doch in
seinem Festhalten an dem für recht Angesehenen das Bild einer großen
Konsequenz. Die süddeutschen Politiker der sechziger Jahre waren alle vor die
Frage gestellt, ob sie umlernen oder von dem Schauplatz abtreten wollten.
Dalwigk hat beides bewußt abgelehnt. Er hat den deutschen Partikularismus
in die Reichseinheit hineingetragen. Sein Fall war notwendig, aber er
entbehrt nicht der Tragik, wenn wir ihn als den letzten Vertreter eines Prinzips



") Haus Blum, Persönliche Erinnerungen an den Fürsten Bismarck, 3. Auflage (1900),
Seite log.
Der letzte Rheinbundminister

kleinen den Gegner noch verwunden zu können. Eine Versöhnung zwischen
dem Vertreter des siegenden und dem des überwundenen Prinzips war unmöglich.
Mit großer Wut fiel die nationalliberale Presse über Dalwigk her, und schwer¬
wiegende, offenbar inspirierte Artikel der angesehensten Zeitschriften schlössen sich
an. so in den Grenzboten und den Preußischen Jahrbüchern. Die letzteren
brachten eine scharfe Kritik seiner ganzen Ministertätigkeit und schlössen mit der
Frage, ob „ein solcher Mangel politischen Anstandes und Ehrgefühls auch jetzt
noch, im neuen Deutschland, ungestraft zur Schau getragen werden darf". Der
Artikel der Grenzboten (1371, Band I, Seite 322 ff.) aber, aus dem Haupt¬
quartier zu Versailles stammend und, wie der Herausgeber später andeutete,
von Bismarck selbst entworfen*), ist in der Tonart womöglich noch schärfer.
Er zieht — unter dem Vorgeben, die Ansicht eines Hessen zu enthalten — aus
einer knappen Zusammenfassung von Dalwigks Regierungshandlungen die
Forderung, daß der Minister und der Leitor des Iustizwesens, Franck, der als
Mittelpunkt aller antipreußischen Wünsche bezeichnet wird, gehen müssen, „da
die Pflichten der Ehre und des Gewissens gewöhnlicher Sterblicher für diese
Männer zu freiwilligem Rücktritt nicht ausreichen. Pflicht der gesamten
nationalen Presse ist es, die Beseitigung dieses Ministers und seines Anhangs
als eaeterum esu8so fort und fort zu verlangen." Gerade dieser Artikel,
von der gesamten offiziösen Presse aufgenommen, hat Dalwigks Stellung auf
das schwerste erschüttert. Während er sonst Presseangriffe durch Artikel seines
Regierungsorgans zu parieren pflegte, ging er gegen den Grenzbotenherausgeber
gerichtlich vor.

Immerhin wäre bei der zähen Haltung des Ministers noch ein Verbleiben
im Amte für einige Zeit möglich gewesen, wenn nicht Bismarck, der einen
solchen Mitarbeiter im neuen Reiche unmöglich brauchen konnte, nun zum
letzten Mittel gegriffen hätte. Er benutzte die Anwesenheit des Großherzogs in
Berlin, um von ihm die Beseitigung des Mißliebigen als eines Hindernisses
für das gegenseitige Vertrauen der Regierungen zu verlangen. Am 6. April
1871 wurde Dalwigk in höchsten Gnaden entlassen. Dle hessische Regierung
lenkte von nun an zwar noch nicht in liberale, aber doch in durchaus reichs¬
freundliche Bahnen ein. —

Dalwigks Auftreten bietet bei aller Peinlichkeit für unser Gefühl doch in
seinem Festhalten an dem für recht Angesehenen das Bild einer großen
Konsequenz. Die süddeutschen Politiker der sechziger Jahre waren alle vor die
Frage gestellt, ob sie umlernen oder von dem Schauplatz abtreten wollten.
Dalwigk hat beides bewußt abgelehnt. Er hat den deutschen Partikularismus
in die Reichseinheit hineingetragen. Sein Fall war notwendig, aber er
entbehrt nicht der Tragik, wenn wir ihn als den letzten Vertreter eines Prinzips



") Haus Blum, Persönliche Erinnerungen an den Fürsten Bismarck, 3. Auflage (1900),
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[0219] Der letzte Rheinbundminister kleinen den Gegner noch verwunden zu können. Eine Versöhnung zwischen dem Vertreter des siegenden und dem des überwundenen Prinzips war unmöglich. Mit großer Wut fiel die nationalliberale Presse über Dalwigk her, und schwer¬ wiegende, offenbar inspirierte Artikel der angesehensten Zeitschriften schlössen sich an. so in den Grenzboten und den Preußischen Jahrbüchern. Die letzteren brachten eine scharfe Kritik seiner ganzen Ministertätigkeit und schlössen mit der Frage, ob „ein solcher Mangel politischen Anstandes und Ehrgefühls auch jetzt noch, im neuen Deutschland, ungestraft zur Schau getragen werden darf". Der Artikel der Grenzboten (1371, Band I, Seite 322 ff.) aber, aus dem Haupt¬ quartier zu Versailles stammend und, wie der Herausgeber später andeutete, von Bismarck selbst entworfen*), ist in der Tonart womöglich noch schärfer. Er zieht — unter dem Vorgeben, die Ansicht eines Hessen zu enthalten — aus einer knappen Zusammenfassung von Dalwigks Regierungshandlungen die Forderung, daß der Minister und der Leitor des Iustizwesens, Franck, der als Mittelpunkt aller antipreußischen Wünsche bezeichnet wird, gehen müssen, „da die Pflichten der Ehre und des Gewissens gewöhnlicher Sterblicher für diese Männer zu freiwilligem Rücktritt nicht ausreichen. Pflicht der gesamten nationalen Presse ist es, die Beseitigung dieses Ministers und seines Anhangs als eaeterum esu8so fort und fort zu verlangen." Gerade dieser Artikel, von der gesamten offiziösen Presse aufgenommen, hat Dalwigks Stellung auf das schwerste erschüttert. Während er sonst Presseangriffe durch Artikel seines Regierungsorgans zu parieren pflegte, ging er gegen den Grenzbotenherausgeber gerichtlich vor. Immerhin wäre bei der zähen Haltung des Ministers noch ein Verbleiben im Amte für einige Zeit möglich gewesen, wenn nicht Bismarck, der einen solchen Mitarbeiter im neuen Reiche unmöglich brauchen konnte, nun zum letzten Mittel gegriffen hätte. Er benutzte die Anwesenheit des Großherzogs in Berlin, um von ihm die Beseitigung des Mißliebigen als eines Hindernisses für das gegenseitige Vertrauen der Regierungen zu verlangen. Am 6. April 1871 wurde Dalwigk in höchsten Gnaden entlassen. Dle hessische Regierung lenkte von nun an zwar noch nicht in liberale, aber doch in durchaus reichs¬ freundliche Bahnen ein. — Dalwigks Auftreten bietet bei aller Peinlichkeit für unser Gefühl doch in seinem Festhalten an dem für recht Angesehenen das Bild einer großen Konsequenz. Die süddeutschen Politiker der sechziger Jahre waren alle vor die Frage gestellt, ob sie umlernen oder von dem Schauplatz abtreten wollten. Dalwigk hat beides bewußt abgelehnt. Er hat den deutschen Partikularismus in die Reichseinheit hineingetragen. Sein Fall war notwendig, aber er entbehrt nicht der Tragik, wenn wir ihn als den letzten Vertreter eines Prinzips ") Haus Blum, Persönliche Erinnerungen an den Fürsten Bismarck, 3. Auflage (1900), Seite log.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/219>, abgerufen am 23.07.2024.