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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der letzte Rheinbundminister

Truppen in den Konflikt zwischen der Treue zum Landesherrn und dem
Gehorsam gegen den Bundesfeldherrn geraten müßten.

Die Ereignisse des Juli 1870 weckten in Hessen auch bei den Gegnern
Preußens das nationale Gefühl. Die Lage der hessischen Regierung wurde auf
das äußerste beengt. Dalwigk mußte wohl oder übel den ^Vertrag mit Preußen
erfüllen; noch zögerte er. Aber schon wendete sich die öffentliche Meinung
gegen ihn. Eine öffentliche Versammlung in Darmstadt sollte auf Abberufung
des hessischen Gesandten in Paris drängen, nötigenfalls den Sturz des
Ministeriums Dalwigk fordern. Obgleich dieses Programm rechtzeitig in das
einer nationalen Kundgebung geändert wurde, verbot der zuständige Regierungs¬
beamte die Versammlung -- wie behauptet wurde, auf Betreiben des trotz
der Mobilmachung noch anwesenden französischen Gesandten -- und war
ungeschickt genug, seine Anordnung damit zu begründen, daß die Franzosen
schon in Freiburg ständen und jeder gegen sie aufreizende Beschluß der Stadt
Darmstadt schaden müsse, wenn sie siegreich dahin vorrückten. Aber jetzt, wo
es "um Hals und Kragen ging", ließ Bismarck keinen Zweifel mehr darüber,
daß er Quertreibereien im Augenblicke des Kriegsausbruches nötigenfalls mit
militärischen Mitteln verhindern werde. Der hessische Gesandte in Berlin, den
Ernst der Lage fühlend, glaubte Dalwigk den Rat geben zu müssen, nicht nur
die hessische Politik in korrekte Bahnen zu leiten, sondern auch persönlich seinen
Frieden mit dem Kanzler zu machen. Es war umsonst; umsonst auch die
drängende Bitte des Thronfolgers an den regierenden Oheim, er möge Dalwigk
entlassen; die hessische Division, die Prinz Ludwig kommandierte, war -- auch
das eine Folgerung aus der hessischen Politik -- von den übrigen süd¬
deutschen Truppen getrennt und einer rein norddeutschen Armee zugeteilt
worden.

Die stille Hoffnung Dalwigks, daß ein rascher französischer Vorstoß den
süddeutschen Staaten freie Hand geben, Osterreich zum Eingreifen bringen
werde, erfüllte sich nicht. Mit schwerem Herzen entschloß er sich, an den Ver¬
handlungen über den Beitritt des Südens zum Norddeutschen Bunde sich zu
beteiligen. Bismarck zeigte ihm unverhohlen seine Abneigung; zu den sonstigen
Gründen war ein neuer getreten: unter den erbeuteten Papieren des Ministers
Rouher hatte sich auch ein Dalwigk kompromittierender Bericht des französischen
Gesandten in Darmstadt befunden, durch den Bismarck vollen Einblick in die
Beziehungen Dalwigks zu Frankreich gewann*). Am 15. November unter¬
zeichnete der hessische Minister den Eintritt seines Staates in den erweiterten
Bund.

Das Schicksal des deutschen Volkes war über Dalwigk weggegangen. Der
Minister hat es dennoch nicht verstanden, sich zur Niederlegung seines Amtes
zu entschließen. Nun das Opfer gebracht war, meinte er durch Opposition im



*) Vergleiche Deutsche Revue 1912, Band III, Seite 346, 347.
Der letzte Rheinbundminister

Truppen in den Konflikt zwischen der Treue zum Landesherrn und dem
Gehorsam gegen den Bundesfeldherrn geraten müßten.

Die Ereignisse des Juli 1870 weckten in Hessen auch bei den Gegnern
Preußens das nationale Gefühl. Die Lage der hessischen Regierung wurde auf
das äußerste beengt. Dalwigk mußte wohl oder übel den ^Vertrag mit Preußen
erfüllen; noch zögerte er. Aber schon wendete sich die öffentliche Meinung
gegen ihn. Eine öffentliche Versammlung in Darmstadt sollte auf Abberufung
des hessischen Gesandten in Paris drängen, nötigenfalls den Sturz des
Ministeriums Dalwigk fordern. Obgleich dieses Programm rechtzeitig in das
einer nationalen Kundgebung geändert wurde, verbot der zuständige Regierungs¬
beamte die Versammlung — wie behauptet wurde, auf Betreiben des trotz
der Mobilmachung noch anwesenden französischen Gesandten — und war
ungeschickt genug, seine Anordnung damit zu begründen, daß die Franzosen
schon in Freiburg ständen und jeder gegen sie aufreizende Beschluß der Stadt
Darmstadt schaden müsse, wenn sie siegreich dahin vorrückten. Aber jetzt, wo
es „um Hals und Kragen ging", ließ Bismarck keinen Zweifel mehr darüber,
daß er Quertreibereien im Augenblicke des Kriegsausbruches nötigenfalls mit
militärischen Mitteln verhindern werde. Der hessische Gesandte in Berlin, den
Ernst der Lage fühlend, glaubte Dalwigk den Rat geben zu müssen, nicht nur
die hessische Politik in korrekte Bahnen zu leiten, sondern auch persönlich seinen
Frieden mit dem Kanzler zu machen. Es war umsonst; umsonst auch die
drängende Bitte des Thronfolgers an den regierenden Oheim, er möge Dalwigk
entlassen; die hessische Division, die Prinz Ludwig kommandierte, war — auch
das eine Folgerung aus der hessischen Politik — von den übrigen süd¬
deutschen Truppen getrennt und einer rein norddeutschen Armee zugeteilt
worden.

Die stille Hoffnung Dalwigks, daß ein rascher französischer Vorstoß den
süddeutschen Staaten freie Hand geben, Osterreich zum Eingreifen bringen
werde, erfüllte sich nicht. Mit schwerem Herzen entschloß er sich, an den Ver¬
handlungen über den Beitritt des Südens zum Norddeutschen Bunde sich zu
beteiligen. Bismarck zeigte ihm unverhohlen seine Abneigung; zu den sonstigen
Gründen war ein neuer getreten: unter den erbeuteten Papieren des Ministers
Rouher hatte sich auch ein Dalwigk kompromittierender Bericht des französischen
Gesandten in Darmstadt befunden, durch den Bismarck vollen Einblick in die
Beziehungen Dalwigks zu Frankreich gewann*). Am 15. November unter¬
zeichnete der hessische Minister den Eintritt seines Staates in den erweiterten
Bund.

Das Schicksal des deutschen Volkes war über Dalwigk weggegangen. Der
Minister hat es dennoch nicht verstanden, sich zur Niederlegung seines Amtes
zu entschließen. Nun das Opfer gebracht war, meinte er durch Opposition im



*) Vergleiche Deutsche Revue 1912, Band III, Seite 346, 347.
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[0218] Der letzte Rheinbundminister Truppen in den Konflikt zwischen der Treue zum Landesherrn und dem Gehorsam gegen den Bundesfeldherrn geraten müßten. Die Ereignisse des Juli 1870 weckten in Hessen auch bei den Gegnern Preußens das nationale Gefühl. Die Lage der hessischen Regierung wurde auf das äußerste beengt. Dalwigk mußte wohl oder übel den ^Vertrag mit Preußen erfüllen; noch zögerte er. Aber schon wendete sich die öffentliche Meinung gegen ihn. Eine öffentliche Versammlung in Darmstadt sollte auf Abberufung des hessischen Gesandten in Paris drängen, nötigenfalls den Sturz des Ministeriums Dalwigk fordern. Obgleich dieses Programm rechtzeitig in das einer nationalen Kundgebung geändert wurde, verbot der zuständige Regierungs¬ beamte die Versammlung — wie behauptet wurde, auf Betreiben des trotz der Mobilmachung noch anwesenden französischen Gesandten — und war ungeschickt genug, seine Anordnung damit zu begründen, daß die Franzosen schon in Freiburg ständen und jeder gegen sie aufreizende Beschluß der Stadt Darmstadt schaden müsse, wenn sie siegreich dahin vorrückten. Aber jetzt, wo es „um Hals und Kragen ging", ließ Bismarck keinen Zweifel mehr darüber, daß er Quertreibereien im Augenblicke des Kriegsausbruches nötigenfalls mit militärischen Mitteln verhindern werde. Der hessische Gesandte in Berlin, den Ernst der Lage fühlend, glaubte Dalwigk den Rat geben zu müssen, nicht nur die hessische Politik in korrekte Bahnen zu leiten, sondern auch persönlich seinen Frieden mit dem Kanzler zu machen. Es war umsonst; umsonst auch die drängende Bitte des Thronfolgers an den regierenden Oheim, er möge Dalwigk entlassen; die hessische Division, die Prinz Ludwig kommandierte, war — auch das eine Folgerung aus der hessischen Politik — von den übrigen süd¬ deutschen Truppen getrennt und einer rein norddeutschen Armee zugeteilt worden. Die stille Hoffnung Dalwigks, daß ein rascher französischer Vorstoß den süddeutschen Staaten freie Hand geben, Osterreich zum Eingreifen bringen werde, erfüllte sich nicht. Mit schwerem Herzen entschloß er sich, an den Ver¬ handlungen über den Beitritt des Südens zum Norddeutschen Bunde sich zu beteiligen. Bismarck zeigte ihm unverhohlen seine Abneigung; zu den sonstigen Gründen war ein neuer getreten: unter den erbeuteten Papieren des Ministers Rouher hatte sich auch ein Dalwigk kompromittierender Bericht des französischen Gesandten in Darmstadt befunden, durch den Bismarck vollen Einblick in die Beziehungen Dalwigks zu Frankreich gewann*). Am 15. November unter¬ zeichnete der hessische Minister den Eintritt seines Staates in den erweiterten Bund. Das Schicksal des deutschen Volkes war über Dalwigk weggegangen. Der Minister hat es dennoch nicht verstanden, sich zur Niederlegung seines Amtes zu entschließen. Nun das Opfer gebracht war, meinte er durch Opposition im *) Vergleiche Deutsche Revue 1912, Band III, Seite 346, 347.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/218>, abgerufen am 22.07.2024.